Kunsthistorische Betrachtung der Dekorationen A - Z

A Zusammenfassung der Architektur und Dekorationen von 1880 bis zur Gegenwart

Jaguar der Familie Schoeneseifen, später Ramus und 1991 an die Firma Neutzsch verkauft © Sammlung Ramus

Wenn man genauer auf Architektur und dekorative Gestaltung der Schaustellergeschäfte schaut, so wird man leicht erkennen, dass sich hier in dieser illusionistischen Welt Architekturkunst und Baukultur sowie Lebens- und Erlebniskultur volksnah wiederfinden.

Auf kleinstem Raum sind alle Bauformen der klassischen Architektur zu sehen:

  • Der Rundbau mit Zelt- oder Kuppeldach stellte sich als geeigneter Baukör-per heraus für Karussells, die sich um die eigene Achse drehen
  • Der Hallenbau für Autoskooter, Geisterbahnen sowie Lauf- und Belustigungsgeschäfte.
  • Der Skelettbau, das berühmteste Beispiel für einen Skelettbau ist der Eiffelturm in Paris, den Gustave Eiffel als „Schaustück“ für die Pariser Weltausstellung von 1889, konstruierte.
    Ein Gegenstück entwickelte der Amerikaner George Ferris für die Weltausstellung 1893 in Chicago, das „Ferris Wheel“, eine gigantische Radkonstruktion, aus der sich dann die unzähligen kleine und große Riesenräder entwickelten, die wir in vielen Parks, auf Volksfesten und auch als eigenständige „Attraktion“ wiederfinden.
    Zu den Skelettbauten im Schaustellergewerbe gehören auch die Achterbahnen, die schon kurz nach der Wende zum 20. Jahrhundert auf den Volksfesten auf-tauchten.
  • Der Pavillonbau, die Bauform des Pavillons eignete sich für Verkaufsbuden, Spiel- und Geschicklichkeitsgeschäfte.
    Die baulichen Dekorationselemente orientierten sich dabei ebenfalls an verschiedenen Formen der Architektur von Wohn- und Bürgerhäusern, z.B. Fachwerk, Dachformen, Dachgauben, Brezelfries usw.
Dekorationen von 1880 bis 1939

Von Beginn des professionellen Karussellbaus an bis in die 1930er Jahre waren die Objekte aller vier Bauformen im Schaustellergewerbe im neubarocken Stil oder mit Jugendstilelementen gestaltet.
Daneben wurden zu Anfang des 20. Jahrhunderts vereinzelt zeitgenössische Entwicklungen in Technik und Gestaltung aufgegriffen. Hier kann als Beispiele das Flieger– oder das Autokarussell genannt werden.
Die Nutzung der Elektrizität zum Beleuchten der Karussells und anderer Belustigungen begann eher zögerlich, während in der Architektur die Beleuchtung als gestalterisches Element der Nachtfassade bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt worden war.

Dekoration der 1950er Jahre

Schon bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die wachsende Lebens-freude der Generation der Aufbaujahre auf die Dekoration und Gestaltung von Schaustellergeschäften übertragen.
Der „American way of life“ brachte den jungen deutschen „Halbstarken“ den Rock’n’Roll und die Röhrenjeans. Dementsprechend änderte sich die Dekoration der Schaustellergeschäfte.
Die barocken Schmuckdachkanten der „Raupen“ wurden abgenommen und durch neue, mit abstrakten Motiven bemalte Bildtafeln ersetzt.
Die Kirmesorgeln verschwanden und aus den Lautsprechern der „Raupe“ oder „Raketenbahn“ dröhnte Bill Haley’s „One two three c’clock“ und andere rockige Lieder und drückten das neue Lebensgefühl aus.

Die Nutzung der Beleuchtungskörper entwickelte sich nun – zwar noch verhalten – auch in der Volksfestarchitektur zum dekorativen Element.
Dies wird besonders an den dekorativen Veränderungen der Autoskooter deutlich. Bei jedem neuen Modell dieser Baureihe steigerte sich der Einsatz von Neonröhren und Lichtleisten und die Malerei trat mehr und mehr in den Hintergrund. Und nach und nach ist dann auch bei vielen anderen Schaustellergeschäften die gleiche dekorative Gestaltung der Schmuckdachkanten festzustellen.
Bei den Dekorationen der Lauf- und Belustigungsgeschäfte hatten die Auftraggeber verschiedene Gestaltungswünsche. Zum einen wurden die Vorhangfassaden kühl und sachlich mit monochromen Farbflächen und Schriften bemalt, zum anderen wurden soziale Verhaltensweisen wie z.B. Berliner Hinterhofszenen, humorvoll oder klischeehaft dargestellt. Außerdem wurden zwei verschiedene Beleuchtungsmöglichkeiten angewandt: das Konturieren oder die flächige Beleuchtung der Fassade. Beides wurde durch Glühbirnen, Neonröhren oder Scheinwerfer gestaltet.
Bei den neuen Kinderkarussells blieb es jedoch auch in den 1950er Jahren bei den formalen und dekorativen Gestaltungselementen des Barocks. Auf kleinen Kartuschen wurden Grimms Märchen, deutsches Liedgut, die Abenteuer von Mecki oder Donald Duck thematisiert.
Die Fassadenmalereien von Schiesswagen standen dagegen zum ersten Mal in unmittelbarem Bezug zur Funktion der Bauform, indem Jagdszenen dargestellt wurden.

Dekorationen der 1960er Jahre

In den 1960er Jahre erfolgte zunächst kein wesentlicher Wandel im Dekorationsstil, sondern nur eine Erweiterung der Themen in der bildhaften Gestaltung.
Bereits seit 1936 waren Berg- und Talbahnen mit winterlichen Dekorationen gestaltet worden Im Jahre 1959 bot eine neue Bauform, ein Karussell ohne Bedachung mit einer Wand, die das Karussell, „Calypso“, nach hinten abgrenzte, eine neue Möglichkeit zur Dekoration.
Es folgten neue Karussellkonstruktionen wie „Bobbahnen“, „Sprungschanze“, „Bayernkurve“ oder „Schlittenexpress“. Sie wurden zwar noch immer mit verschneiten Landschaften gemalt, aber auf eine Beleuchtung mit Neonröhren wurde verzichtet. Stattdessen wurden die Konturen der Schmuckdachkanten und bei den sogenannten „Offenen Rundfahrgeschäften“ die Rückwände mit Lichtleisten akzentuiert. Zusätzlich setzte man beleuchtete Figuren als Blickfang ein oder schloss die Fassade mit dem Namen des Schaustellergeschäfts in Leuchtbuchstaben mach oben ab.
Daneben veränderten in diesen Jahren die neuen Hydraulikkarussells in Skelettbauweise den Gesamteindruck der Volksfestplätze. Der gesamte Skelettbau – als reiner Funktionsbau – hatte ohne zusätzliche dekorative Elemente seine Vorbilder in der formalen Gestaltung der zeitgenössischen Raumfahrt gefunden.
Interessant ist, dass die Formen der Schmuckdachkanten von Autoskootern aus-geprägter wurden. Sie zeigten konvexe oder konkave Schwingungen und waren mit geometrischen, insbesondere rautenförmigen Mustern bemalt.

Die Amerikanisierung machte sich ebenfalls in einzelnen Dekorationen von Spielgeschäften breit, auf deren Fassaden kulissenartig etwa die Skyline von Manhattan zu bewundern war.
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zog die neue Welle der Flower-Power-Zeit auch in die Dekoration des von der Firma Heinrich Mack gebauten „Musik-express“ und bei dem Karussell „Hully Gully“ ein. Aufgelegte Lichtleisten in Bogen-, Stern- und Halbkreisformen. Musik, Tanz, Dynamik, bunte Blumen und Maikäfer eroberten die Dekoration. Später in den 1980er Jahren wurden diese Fronten oft in die moderne Pop Art umgestaltet.
Buntes Kolorit war angesagt; dies zeigte sich auch auf den Vorhangfassaden der Belustigungsgeschäfte die Heinrich Mack in den 1960er Jahren baute und von Heinz Opitz sen. mit einer lustigen bayrischen Gaudi bemalt wurden.

Dekorationen der 1970er Jahren

In den 1970er Jahren setzte sich die Gleichzeitigkeit verschiedener Stile und Themen der Dekoration fort. Schneebedeckte Landschaften wurden nicht nur auf Schmuckdachkanten von Karussells, sondern auch übergreifend auf anderen Fahrgeschäften z.B. beim „Alpenblitz“ gemalt.
Josef Zierer stellte Anfang der 1970er Jahre ein altbekanntes Fliegerkarussell mit zeitgemäßen technischen Raffinessen als „Wellenflieger“ vor. Er orientierte sich an den neubarocken Dekorationen der Wende zum 20. Jahrhundert und beauftragte die Maler Hilbert und ab 1976 auch Josef Wallner romantische Landschaf-ten, Blumen und Ornamente für die Dachkanten zu malen.
Der Landschafts- und Tiermaler Fritz Laube fertigte in diesem Jahrzehnt die flächigen Fassaden einer Serie von Schiesswagen des Herstellers Eberhard Stork. Laube blieb bei dem bereits bekannten Thema Jagd. Aber im Gegensatz zu den statischen Darstellungen der 1950er Jahre fand er nun für seine agierenden Protagonisten Vorbilder in den zeitgenössischen Fernsehserien, wie „Hatarie“ u.a.
Gleichzeitig präsentierten die Hersteller Mack und Zierer einen neuen, kulissen-artigen Aufbau der Dachdekoration der Schiesswagen. Thematisiert wurde der „Wilde Westen der USA“ im 19. Jahrhundert.
Daneben begann die Thematisierung anderer Kulturen, indem zum Beispiel die fernöstliche Tempelarchitektur in vielen unterschiedlichen Weisen in die Fassaden von Verlosungen, Schiesswagen und anderen Spielgeschäften eingebracht wurde.
Ab Mitte des Jahrzehnts fand dann die futuristische Form und Funktion der Karussells „Swing Around“, „Turbo Star“ und „Tri Star“ ohne zusätzliche Dekoration Bestand. Bei neuen Offenen Rundfahrgeschäften inspirierte die amerikanische Fernsehserie „Enterprise“, die die Abenteuer eines Raumschiffs im Weltall zeigte, die Namengebung und Dekoration, so zum Beispiel beim „Enterprise“ und „UFO 2000“, deren Gestaltung der junge Maler Harry Knorrn übernahm.
Neben den genannten Neuentwicklungen gab es auch technische und dekorative Innovationen bei den Lauf- und Belustigungsgeschäften. Im Jahr 1976 baute die Firma Willi Dietz einen Irrgarten, dessen Baukörper fest auf einem Wagen installiert war. Neu war das Interesse für die Welt der Mayas und Pharaonen, die ebenfalls auch hier von Harry Knorrn malerisch dargestellt wurde.
Ende der 1970er Jahre gab es weitere Neuheiten im Fahrgeschäftsbereich. Etwa zeitgleich zu den Firmen Zierer und Schwarzkopf stellte Huss 1978 eine Baureihe von großen Schaukeln vor. Die Vorlagen zur Gestaltung der Großschiffs-schaukeln lieferten Abenteuer- und Piratenfilme, aber auch die bereits aus dem 17. Jahrhundert stammende niederländische Marinemalerei fand ihre Verwendung auf den Fassaden von Schaustellergeschäften.

Dekorationen der 1980er Jahre

In den 1980er Jahre etablierte sich, beginnend mit den großflächigen Malereien von Harry Knorrn, ein neuer Malstil. Knorrn stellte in seiner Malerei collageartig Elemente aus „Surrealismus“, „Pop Art“, „Fotorealismus“ und „Street Art“ nebeneinander.
Die kulissenbauartigen Fassaden in der geschlossenen Szenendarstellung der Malergruppe ‚afaw‘ fanden 1984 beim „Break Dancer“ des Herstellers Huss Anwendung. Der Name Break Dancer stand in Bezug zu dem gerade in den Ki-nos anlaufenden Film „Breakdance Sensation 84“, der eine neue akrobatische Tanzform zeigte. Schon bald übernahmen mehrere bildende Künstler die Bemalung dieser Baureihe. Darunter war auch Jacques Courtois, der bis 1993 unzählige Rückwände von Offenen Fahrgeschäften aus dem Hause Huss in seinem Atelier in Paris bemalte.
Die afaw-Maler verzichteten in ihren figürlichen Szenen weitgehend auf eine perspektivische Anordnung. Die Malerei wurde flächig und in kräftigen bunten Farben ausgeführt. Der Vergleich mit Pop-Art-Künstlern wie James Rosenquist, Tom Wesselmann oder Malern wie Alex Katz drängt sich auf. Jacques Courtois malte ähnliche Motive, aber mit einer erstaunlichen räumlichen Tiefe.
In den 1980er Jahren wurden auf den Fassaden der neuen Lauf- und Belustigungsgeschäfte des Herstellers Dietz der Orient, Horror- und Geisterszenen und das amerikanische Südstaaten-Klischee thematisiert. Die einfachen, flachen Vorhangfassaden waren längst zu drei- und vierstöckigen Kulissenbauten mutiert. Viele der Dekorationsmalereien griffen populäre Kino- und Fernsehfilme auf.

Dekorationen ab der 1990er Jahre

Auch in den 1990er Jahren wurden die großen Rückwände der Offenen Rundfahrgeschäfte weiterhin mit vielfiguralen Szenen bemalt. Die wichtigen Künstler blieben das afaw-Team und Courtois.
Als neue Sujets der Bildinhalte etablierten sich, neben den bereits vorgestellten, die „Surfer- und Skater Szene“ sowie eine neue „Science-Fiction-Thematik“ oft auch mit Darstellungen weiblicher Führerinnen der futuristischen Himmelskör-per.
Der Beweis für die Gleichzeitigkeit und Stilvielfalt der verschiedenen Dekorationsstile der letzten 60 Jahre bringt ein Bummel über die großen Volksfeste Deutschlands, angefangen vom Aachener Bend bis zur Allerheiligen Kirmes in Soest.
Hier entdeckt der Besucher das „Bodenkarussell“ von der Wende zum 20. Jahr-hundert mit barocken Stilelementen. Das „Holzriesenrad“ – im Jahre 1902 von Bothmann gebaut – dreht sich noch immer. Die alte „Rutsche Toboggan“ aus dem Jahre 1906 oder die „Kinderschaukel“ im gleichen Stil dekoriert, sind noch im Einsatz. Auch die 1950er Jahre sind mit einigen Objekten vertreten. Die „Raupe“ von Heyn oder Achtendung ist wieder gesellschaftsfähig und zeigt sich in einer 1950er Jahre Dekoration. Der „Looping de Loop“ einer Ikone der Amerikanisierung begeistert auch die Teens und Twens unserer Zeit.
Viele Karussells der vergangenen Jahrzehnte sind erhalten, manche wurden neu-gestaltet wie der „Calypso“ auf den Münchner Wiesen ab 2011 zu sehen oder das alte Bothmann Karussell „Fahrt ins Paradies“ von 1936. Daneben stehen ausgereifte technische computergesteuerte Anlagen in Skelettweise mit sehr auf-wendigen Beleuchtungsmodulen.
Auch bei den Spiel- und Verkaufsgeschäften ist eine Gleichzeitigkeit der Dekorationsstile festzustellen, die von den neubarocken Fassaden bis zu den kulissenartig gestalteten Dachaufbauten oder einer Bemalung in „Pop Art“ alles erfassen, was in 125 Jahren Dekorationsgeschichte von Schaustellergeschäften geschaffen wurde.

©  Margit Ramus

 

 

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