Schausteller in Corona Zeiten A - Z

08 2020 Corona und das Kulturgut Volksfest

Mondräumer der Firma Kuckartz © Sammlung Stork/Brotte 

Wie wird es weitergehen mit der Schaustellerbranche?

Verehrte Leser und Leserinnen,
wir als Träger der Volksfeste dürfen nicht aufgeben! Wir müssen an unser Kulturgut Volksfest glauben und für den Erhalt kämpfen.
Immer wieder wird von vielen Seiten beteuert, dass Volksfeste und Weihnachtsmärkte aus unserem kulturellen Leben nicht mehr fortzudenken sind. Auch bezweifelt niemand, dass Schausteller und Schaustellerinnen als Träger der Volksfest-Kultur gewohnt sind zu kämpfen und schon so manche Lebens- oder finanzielle Krise überstanden haben!
Aber nicht ohne Grund blicken alle Schaustellerfamilien mit Sorge in die Zukunft, denn die Corona-Pandemie bestimmt inzwischen weltweit die Gegenwart aller Menschen.
Wenn Corona überstanden ist, wird nicht das Rad neu erfunden werden, aber eine neue Zeit wird beginnen. Vielleicht wird auch die Schaustellerbranche noch einmal an die Vergangenheit anknüpfen müssen?
Eine Vergangenheit, in der nicht nur die Tradition, sondern auch die Wertigkeit vieler Dinge eine andere Bedeutung hatten.
Wir haben in Deutschland von allen europäischen Ländern die meisten Volksfeste mit den höchsten Besucherzahlen. Unsere deutsche Volksfest-Kultur ist einzigartig.
Wir waren weltweit jahrzehntelang führend in der Herstellung von Fahrgeschäften und allen anderen Schaustellergeschäften.
Wie konnte es passieren, dass wir diesen 1. Platz verloren haben? Wir sind doch gewohnt um unsere Plätze zu kämpfen.
Was ist aus der Erfolgsgeschichte des deutschen Karussell- und Fahrzeugbaues und aus den führenden Herstellern von Fahr-, Belustigungs-, Verkaufs- und Spielgeschäften und dem dazugehörenden Wagenmaterial oder den Wohnwagen geworden?

Ein kurzer Rückblick zu den Ursprüngen des professionellen Karussellbaus

In Großbritannien entwickelte Thomas Bradshaw 1862 das erste dampfangetriebene Bodenkarussell. Die Dampfmaschine stand im Mittelbau des Karussells. Sidney Soames verbesserte die neue Art des Antriebes durch eine neben dem Karussell freistehende Dampfmaschine. Zeitgleich konstruierte Frederick Savage ein „Velociped-Karussell“. Auf einer runden Holzbahn drehten sich, durch einen Rahmen verbunden, Räder, welche vom Fahrgast selbst angekurbelt wurden.
Es entwickelte sich eine Rivalität in der Patentierung neuer Ideen zwischen Frederick Savage, Reynolds & King, der den Kurbelwellenantrieb für Karussells erfand, und Robert Tidmann, der Dampfkarussells in leichterer Bauweise herstellte.
Deutsche Schausteller importierten diese ersten dampfangetriebenen Karussells aus England, und der Nachbau begann.

Durch die deutschen Konstrukteure Fritz Bothmann, Hugo Haase u.a. wurde die englische Vorrangstellung im technischen Fortschritt im Karussellbau schon bald ein- und überholt. Den deutschen Herstellern gelang es in knapp 10 Jahren die Engländer einfach zu überrollen.
Es folgte eine weltweite Vermarktung, denn die deutschen Karussells waren in Form, Funktion und Dekoration einzigartig und für den schnellen Auf- und Abbau perfektioniert.
Dies blieb auch in den USA nicht unbeachtet. Insbesondere da die Wurzeln des amerikanischen Karussellbaus bei den deutschen Einwanderern lagen. Zum Beispiel verließ Gustav A. Dentzel im Jahre 1860 seine Heimatstadt Bad Kreuznach und folgte seinem Bruder Jacob nach Amerika. Gustav A. Dentzel wurde später ein bedeutender Karussellbauer in seiner neuen Heimat. Bereits sein Vater Michael Dentzel hatte 1839 als Stellmacher in Bad Kreuznach ein Karussell gebaut und war damit auf die Reise gegangen.
1870 gelang auch dem 18-jährigen Karl J.D. Looff aus Schleswig-Holstein zusammen mit seiner Frau Anna die Einwanderung nach Elles Island. Er fand Arbeit als Holzschnitzer in einer Möbelfabrik in Brooklyn. Später entwickelte auch er sich zu einem der bekanntesten Karussellbauer in den USA.

Deutsche Karussell- und Wagenbaugeschichte

Friedrich Heyn (1870-1959) war der erste Zulieferer von Karussell-Besatzungen im Osten Deutschlands. Später kamen ganze Karussellkonstruktionen dazu. Die Firma wurde 1959 durch einen Konkurs geschlossen.
Fritz Bothmann gründete 1883 die erste Manufaktur für den professionellen Bau von Karussells und anderen Volksbelustigungen. Bothmann produzierte, wie sich aus dem Schriftverkehr mit internationalen Kunden belegen lässt, die gesamte Palette von Fahrgeschäften jener Zeit. Bothmann nutzte als Erster die serielle Fertigung von Einzelelementen. Seine Konstruktionen gelangten über den Seeweg fast in die ganze Welt. Der Betrieb wurde durch eine Zwangsversteigerung am 18.11.1930 geschlossen.
Hugo Haase (1887-1967) hatte fast zeitgleich mit Bothmann sein erstes Karussell nach Vorbild eines englischen Schiffskarussell gebaut. Er konstruierte, baute und betrieb seine Schaustellergeschäfte selbst und dekorierte jedes seiner Objekte mit viel Liebe zum Detail. Nach seinem Tod 1933 gründete seine Witwe mit einigen ehemaligen Mitarbeitern eine Kommanditgesellschaft. Weil die Firmenräume in Roßla nach dem Zweiten Weltkrieg geräumt werden mussten, zog die Firma nach Bodenteich bei Uelzen um. Die kleine Werkstatt wurde nur zur Restauration der übrig gebliebenen zehn Anlagen von Haase genutzt.

In Thüringen gab es noch weitere Karussellbauer wie z.B. Stuhr, Gundelwein, Poeppig, Schulze u.a. Leider konnte sich niemand lange halten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich, bedingt durch die politische Situation, der Schwerpunkt der Standorte der Hersteller vom Osten in den Südwesten Deutschlands.

Im Westen wurde Heinrich Mack (1780 gegr.) marktführend im Bau von Wohn- und Packwagen, Autoskootern, Geisterbahnen, Rundfahr- und Schienengeschäfte. Ab 2005 ging die Firma Mack neue Wege und spezialisierte sich auf Anlagen für Freizeitparks weltweit. Seitdem heißt die Firma: „Mack-Rides GmbH & Co KG“ Waldkirch/Breisgau.
Eberhardt Stork (1919-1984) baute neben Wohnwagen und Packwagen unzählige Schiesswagen, Verlosungswagen, Automatenwagen, Imbiss- und Ausschank-Geschäfte. Die Firma musste 1984 schließen.
1950 baute Kaspar Klaus das erste Luftfliegerkarussell. Klaus begrenzte jedoch die Stückzahl seiner hydraulischen Karussells auf geringe Mengen. 1970 stieg er aus dem Karussellbau aus.
Anton Schwarzkopf baute 1954 die Düsenspirale und einige Rundfahrgeschäfte. Später spezialisierte er sich auf Achterbahnen und sonstige schienengebundene Fahrgeschäfte. Sein erster Konkurs im Jahre 1983 änderte die Geschäftsführung. Das endgültige Aus kam 1993.
Josef Hennecke baute 1923 sein erstes Karussell. Er wurde in der frühen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts marktführend im Bau von Kinderkarussells, die ihre Vorbilder in den Originalzeichnungen von Fritz Bothmann fanden. Wegen finanziellen Schwierigkeiten wurde die Produktion 1974 eingestellt.
Josef Zierer (1930 gegr.) wird in der Schaustellerbranche vor allem mit der Konstruktion von Wellenfliegern in Verbindung gebracht. Der 161. Wellenflieger verließ 2003 die Firma, danach wurde dieses Geschäft nicht mehr gebaut.
Heinrich Huss baute 1969 sein erstes Karussell. Er ist der Erste, der seine Karusselltypen wieder seriell herstellte und den Kunden Innovationen oft erst nach Fertigstellung der Planung anbot. Die Firma schloss 2006 ihren Betrieb in Bremen durch ein Insolvenz-Verfahren.
Andreas Dietz (1928 gegr.) ist neben dem Bau vieler Reihengeschäfte bis zur Gegenwart spezialisiert auf die thematische Fassadengestaltung von Lauf- und Belustigungsanlagen, sowie Spiel- und Verkaufsgeschäften nach den individuellen Wünschen seiner Auftraggeber. Die Qualität seiner Arbeit und seine Geschäftsphilosophie haben sich bis heute bewährt.

Fazit

Es fällt auf, dass bis auf die Firmen „Dietz Fahrzeugbau“ und „Mack-Rides GmbH & Co KG“ alle deutschen Herstellerfirmen ihre Produktionen beendeten oder in Konkurs gegangen sind. Und dies in Zeiten der Hochblüten des Schaustellergewerbes.
Die Frage, wie dies geschehen konnte, wird kaum jemand beantworten können. Aber die Frage, warum wir dies geschehen ließen, können wir uns nur selber beantworten.
Vielleicht hat die serielle Massenherstellung und diverse Vermarktung von Rundfahrgeschäften, beginnend in den 1970/80er Jahren, dazu beigetragen?
Die „Reise“ war irgendwann gesättigt und die Nachfrage nach deutscher Qualitätsarbeit ging immer weiter zurück.
Ausländische Firmen konnten billiger produzieren und übernahmen den kleiner werdenden Markt.

Von allen hier aufgeführten deutschen Herstellern sind noch immer unzählige Schaustellergeschäfte auf der Reise oder in internationale Freizeitparks integriert, denn ihre Qualität hat sich über Jahrzehnte bewährt. Zum Beispiel ist „Die Süße Lokomotive“, das einzige Süßwarengeschäft in dieser Bauform von Heinrich Mack aus 1983, heute noch im Original in Betrieb. Es würde den Rahmen des Artikels sprengen, alle Schaustellergeschäfte dieser Hersteller aufzuzählen. Sie beginnen bei A wie Autoskooter und enden bei Z wie Zeppelin.

Aber es sind nicht nur die Erinnerungen an die Herstellerfirmen, sondern auch an die vielen Maler, die oft kunsthistorisch relevante Kunstgenüsse auf die Schmuckfassaden aller Arten von Schaustellergeschäften gebracht haben. Leider sind viele dieser Malereien übermalt oder auch gänzlich verloren gegangen, ohne dass ihr Wert erkannt worden war.

In den 1970/80er Jahren reihte sich auf einem Volksfestplatz die Wohnwagen der Hersteller Mack, Stork oder Müller-Ründeroth aneinander. Sie waren weltweit unvergleichlich.
Irgendwann wurde die Produktion der Luxus-Wohnwagen eingestellt. Sie waren alle als Einzelstücke in Handarbeit und nach den Wünschen der Kunden geplant und gebaut worden. Vielleicht wurden die Ansprüche zu hoch? Die Herstellung wurde jedenfalls zu teuer und der Trend ging in Richtung Camping-Wagen und später zum amerikanischen Auflieger, kurz Ami genannt. Meist blieben aber die Wohnwagen im Besitz in der Familie und wurden an die nächste Generation weitergegeben.

Wir haben in der Vergangenheit nicht gekämpft für den Erhalt unserer weltweiten Vorrangstellung in vielen Bereichen des Kulturguts Volksfest.

Jetzt ist die Zeit gekommen und wir dürfen nicht aufgeben zu kämpfen, zu hoffen und uns bemerkbar zu machen. Damit unsere Volksfeste bald wieder stattfinden können.

Am Beispiel der Firmengeschichte einer der erfolgreichen Hersteller unserer jüngsten Vergangenheit zeigt sich, wie schnell etwas oder jemand in Vergessenheit geraten kann.
Deshalb möchte ich Ihnen die Firma Eberhard Stork in Erinnerung bringen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute, gehend Sie umsichtig mit sich und Ihrer Familie um und bleiben Sie gesund.
© Margit Ramus

Die ausführliche Biografie der Firma Eberhard Stork & Söhne finden Sie hier:

Stork

 

 

 

 

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