Schaustellergeschäfte A - Z

Rotor

Fassade des Rotors nach Neugestaltung durch die Firma Mack 1973 © Archiv Opitz
Name(n) des Geschäftes Rotor
Typologische Bauaufgabe Belustigungsgeschäft
Bauform Sonderbau
Baujahr 1949
Hersteller der Fassade Hoffmeister; Schwarzkopf; Mack; Dietz
Maler Hilbert; Heinz-Werner Opitz u.a.
Bauherr / Inhaber Daniel Hoffmeister; Lillian Knobel; Familie Pluschies
Baugeschichte

Der Rotor ist eines der Belustigungsgeschäfte, das mehrere Umbauten bei verschiedenen Herstellerfirmen zu verzeichnen hat.
Begonnen hat die Historie dieses interessanten,  gegenwärtig erfolgreich auf der Reise ist mit einer Patentanmeldung.
Der Maschinenbau Ingenieur W. Ernst Hoffmeister meldete 1948 beim deutschen Patentamt die Patentschrift Nr. 819520 für seine Erfindung an. Er beschrieb sie als:

„Hohlen Rotationszylinders für Volksbelustigungen, bestehend aus einem vorzugsweise oben offen Zylinder, der in so schnelle Umdrehung versetzt werden kann, dass im Zylinder befindliche Personen an dessen Innenwand durch Zentrifugalkraft festgehalten werden, […]“[1] an.

Der Rotationszylinder wurde namengebend für das bis zur Gegenwart bekannte Belustigungsgeschäft Rotor. Der Rotor startete seine Premiere 1949 zum Münchner Oktoberfest. Durch ein einfaches physikalisches Prinzip, wonach durch Fliehkraft und Reibungswiderstand der Anziehungspunkt überwunden werden kann, war ein interdisziplinäres Vergnügen zwischen Fahr- und Showgeschäft eingeleitet worden.
Ernst Hoffmeister bemühte sich um internationale Patente für seine Erfindung. Für den deutschen Markt sollten es keine Lizenzverträge geben, sondern der Rotor nur für den Eigenvertrieb bleiben. Die Bauform des Prototyps wählte Hoffmeister auch für den internationalen Markt. Er ließ 1951 den ersten englischen Rotor bei Orton & Spooner in Burton-on-Trent bauen. Es folgte die Verschiffung nach Amerika.
Hoffmeister selber ließ sich einen Rotor für Kanada bauen. Dort gründete er die Firma „Rotors Canada Limited“ und wurde 1953 als unabhängiger Schausteller beim größten Vergnügungskonzern des Landes, Canada´s Conklin Shows, engagiert. Hoffmeister blieb bis zum Ende der 1960er Jahre in Kanada und vermarktete seine, nach wie vor geschützte Erfindung weiter.

Auch in Amerika blieb der Erfolg nicht aus. Auf der Weltausstellung 1962 in Seattle war neben dem Karussell Calypso der deutschen Karussellbaufirma Mack, einer Wilden Maus der Firma Zierer, ein Pressluftflieger Fabrikat Klaus auch der Rotor von Ernst Hoffmeister ausgestellt.

In Deutschland hatte indessen Hoffmeisters Tochter Lillian Knobel das Geschäft des Vaters weitergeführt. Mit der wachsenden Mobilität der Schausteller wurde der Auf- und Abbau des Prototyps zu aufwändig. Deshalb wurde die Firma Anton Schwarzkopf 1955 mit dem Bau eines neuen Rotors beauftragt. Der Zylinder des Ur-Rotors wurde verschrottet, die Fassade jedoch eingelagert.

1970 übernahm die Firma Manfred Pluschies den Rotor mit sämtlichen Patentrechten. Es folgten weitere Um- und Neubauten.

1973 gab Pluschies nach den Plänen Hoffmeisters und Vorlagen von Schwarzkopf der Firma Siemens den Auftrag, einen zusätzlichen Trommelzylinder auf einem Mittelbauwagen der Hamburger Fahrzeugbaufirma Schonäcker zu bauen.
Die alte Fassade von 1955 wurde davorgesetzt.
Später wurde diese Anlage nur als Ersatzgeschäft genutzt.

Konstruktion

Prototyp im Jahre 1948. Das Fundament bildete eine kreuzförmig, waagerecht ausgelegte Konstruktion, auf der ein aus Mannesmann-Stahlrohren gefertigter 4,20 Meter hoher Trommel-Zylinder aufgestellt wurde. Um die Trommel führte ein sechsstöckiger, spiralförmig angelegter hölzerner Aufgang. Er mündete in einen Umgang des Trommelzylinders, auf dem Zuschauer Platz fanden und von oben in die offene Trommel einsehen und somit passiv an dem Vergnügen teilnehmen konnten.

Der Trommel-Zylinder lag unten auf sechs Autoreifen auf und war seitlich an sechs weiteren Autoreifen gelagert. Mit Hilfe eines Elektromotors wurde die Drehung der Trommel angetrieben. Sie hatte einen Durchmesser von 3,60 Meter und drehte sich mit 28 Umdrehungen in der Minute. Der Trommelboden konnte schon nach 30 bis 45 Sekunden durch eine Hydraulikanlage herabgesenkt werden.
Maximal 30 Fahrgäste wurden im Stillstand durch eine Tür von außen in die Trommel eingelassen. Sie blieben während der schnellen Drehung, nach Absinken des Fußbodens, sozusagen an der Innenwand ohne Bodenkontakt gepresst kleben.
Von einem Fahrstand, der über der Trommel platziert war, erfolgte die Steuerung und der Animation der Fahrgäste.
Der Anlage war eine Fassade vorgelagert, welche die Möglichkeit zur Bemalung und Dekoration bot.

1955 baute die Firma Anton Schwarzkopf eine neue Anlage

Die Trommel war auf einem Mittelbauwagen konzipiert und hatte nur noch drei, ebenfalls spiralförmig angelegte Zuschaueraufgänge. Der Durchmesser wurde wegen dem größeren Fassungsvermögen auf 4,60 Meter erweitert.
Für das Auf- und Ab des Trommelbodens sorgte ein Kettenzug.
Der neue Trommelzylinder verschwand fast ganz hinter einem Fassadenvorbau, der seine gewaltigen Dimensionen eingebüßt hatte.

Dekoration

Zur Eröffnung der neuen Volksbelustigung im Jahr 1949 war der Konstruktion eine Fassade vorgesetzt, die dem Stil der Neuen Sachlichkeit entsprach. Sie bestand aus einer großen, glatten, rechteckigen Fläche mit gelbem Farbauftrag. Darauf waren halbfigürlich dargestellte Menschengruppen gemalt. Sie sahen als Zuschauer dem Spektakel hinter der Fassade zu.

1955 wurde die Firma Anton Schwarzkopf mit der Gestaltung eines neuen Rotors beauftragt. Schwarzkopf stellte der Konstruktion eine, einem Wohnhaus ähnliche, zweistöckige Fassade mit gestuftem Giebel vor.
Die Geschosse waren horizontal mit schmalen Gesimsen unterteilt. Über einer schmalen Sockelzone erhob sich die untere Etage.
Im Zentrum war das Kassenhaus platziert. Rechts und links waren Schaukästen aufgehängt mit Fotografien von Fahrgästen, die zum Teil auf dem Kopf stehend, an den Wänden des Rotors klebten.
Im ersten Stock ersetzten Werbetafeln die gewöhnliche Fensterreihe. Dazwischen waren auf Wandvorsprüngen Lichtleisten senkrecht angebracht. Darüber zierten der Schriftzug Rotor sowie drei senkrecht stehende Bildtafeln mit grafischen Mustern den Giebel.

Einige Jahre später wurde der orange Farbauftrag der Fassade gegen weiße Farbe ausgetauscht. Rechts und links wurde der Anlage eine sogenannte Blinde Front angegliedert und dem Eingangsbereich ein Podium mit Einzäunung vorgesetzt.

1972 neue Fassade von der Firma Mack

1972 wurde die alte Fassade entfernt und Pluschies beauftragte die Firma Heinrich Mack mit der Neugestaltung.
Ein offener Eingangsbereich, in dem in der Mitte die Kasse platziert war, ließ den Blick in die Treppenaufgänge frei. Darüber erhob sich über einem schmalen Dachvorsprung eine gewaltige geschwungene Fassade.
Völlig neu in der formalen Gestaltung, weg von der langjährigen Hausfassaden-Ansicht, öffnete sich zum Betrachter hin eine riesige Trommel. Sie zeigte die Belustigungsmöglichkeiten im Inneren der Anlage.
Die Trommel wurde gerahmt von großen geschwungenen Flächen mit unterschiedlichem Farbauftrag.
Der große beleuchtete Schriftzug Rotor akzentuierte die Fassade. Der Oberkörper eines übermenschlichen, beweglichen und motorisch angetriebenen Wesens, war über der Kasse zur Animation der Festplatzbesucher angebracht.

1985 wieder eine neue Fassade bei der Firma Dietz

1985 erfolgte bei der Firma Dietz ein Neubau der Vorhangfassade. Die geschwungene großflächige Fassade wurde gegen die freie Nachahmung einer klassizistischen Fassade, im Stil der Südstaatenarchitektur, ausgetauscht.
Dem fünfachsigen Bau wurde ein von Kolossalsäulen getragener Portikus vorgesetzt. Darüber erhebt sich ein gesprengter Giebel.
Die zweistöckige Schauseite ist horizontal mit umlaufenden Balkonen unterteilt, die mit Schmuckgittern abgegrenzt sind.

In den kommenden Jahren folgten weitere Restaurierungen der Fassade und der Farbauftrag wechselte. Außerdem wurden einige Effekte zur Belustigung eingebaut. Auch die Beleuchtung der Fassade wurde fortwährend ergänzt und modifiziert.

Verbleib

Noch immer ist die Belustigungsanlage Rotor auf vielen großen Volksfesten im gesamten Bundesgebiet anzutreffen. Der Anziehungspunkt von Fliehkraft und Reibungswiderstand im Rotor, erfreut das Publikum als Akteure und besonders als Zuschauer .

W. Ernst Hoffmeisters Erfindung aus dem Jahre 1948, durch ein einfaches physikalisches Prinzip, ein interdisziplinäres Vergnügen zwischen Fahr- und Showgeschäft zu schaffen, ist aufgegangen.

© Margit Ramus

[1] Bonhoff, Michael, K: Original Rotor, Entwicklungsgeschichte Teil 1. In: Kirmes Revue Für Schausteller, Marktkaufleute und Volksfestfans, Ausgabe 9 / 1996 S. 3f.
Ramus 2013. Kat. Nr. 31.
Gespräch der Verfasserin mit Familie Pluschies in Crange 2011.
Der Text wurde von Manfred Pluschies Korrektur gelesen.

 

Schreiben Sie uns einen Kommentar

Haben Sie ergänzende Informationen? Über sachdienliche Hinweise freuen wir uns.

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *