Aufsätze zum Kulturgut Volksfest A - Z

Schausteller – Fahrendes Volk von einst

© Ramus 2009

Zur Kulturgeschichte vieler Orte – meist solcher, wo Märkte abgehalten wurden – gehörte seit dem frühen Mittelalter das Fahrende Volk. Zu ihm zählten: Gaukler, Spielleute, Moritatenmaler, Bänkelsänger, Kunstreiter, Seiltänzer, Tierbändiger, Händler, Scherenschleifer sowie Quacksalber oder Barbiere. Die Fahrenden standen nicht unter dem Schutz des bürgerlichen Gesetzes, durften nicht die Tracht des freien Mannes tragen und auch nicht die Heiligen Sakramente empfangen. Dennoch waren ihre Darbietungen, Schaustellungen und Dienstleistungen auf den jährlich stattfindenden Märkten bei Arm und Reich, Jung und Alt sehr beliebt. In der Literatur gibt es einige wissenschaftlich fundierte Publikationen über das Fahrende Volk, aber nur wenige Veröffentlichungen stellen dar, dass beim Fahrenden Volk der Ursprung vieler Berufe liegt und technische Errungenschaften meist auf Jahrmärkten dem Volk vorgestellt worden sind. Der Jahrmarkt galt als allgemeiner Schauplatz, Zusammenkunft vieler Professionen, Künsten, Handel und Handwerk.
Als Beispiel sind hier zu nennen: Bänkelsänger wanderten von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und verkündeten die neuesten Nachrichten zum Zeitgeschehen. Sie stillten die Neugier und Sensationslust der Bevölkerung mit Schauergeschichten über Verbrechen, Familientragödien und sonstige Katastrophen. Dazu zeichneten Moritatenmaler Karikaturen und Werbetafeln und verkauften Druckschriften oder Bilderbögen zum Nach- und Vorlesen. Auch die ersten Bücher wurden auf den großen Jahrmärkten vertrieben. Barbiere oder Quacksalber zogen mit Pferd und Wagen von Ort zu Ort. Sie behandelten große und kleine Wehwehchen der Menschen.
Außerdem verkauften sie Wunderheilmittel in Form von Pulvern und Salben und stellten manchmal auch Abnormitäten zur Schau.
Die faszinierende Welt der Jahrmärkte zog auch Wanderbühnen an. Neben Lyrik, Poesie wurden auch politische- und soziale Kritik geboten. Sie gelten als die Vorgänger der stationären Hoftheater und Nationaltheater und aus den Wanderschauspielern wuchsen die Berufsschauspieler heran.
Seit dem 16. Jahrhundert erfreute auch der Guckkasten die Bevölkerung. Durch eine lupenartige Linse im Loch eines Holzkastens sah das Auge naturgetreue Ansichten und Abbilder. In dieser Miniaturwelt vermochten schaurige Szenen, ausländische Städte, Schlachten und Schönheiten, sternklare Nächte und sonnige Tage bewundert werden.
Es folgte die Laterna Magica. Eine Zauberlaterne, die aus einem Gehäuse bestand, in dessen Inneren eine Lichtquelle durch einen Hohlspiegel an der Rückwand verstärkt, die Strahlen parallel nach vorne warf. An der Vorderseite wurde ein Rohr angebracht, in dem zwei konvexe Linsen senkrecht befestigt wurden. Hinter dem gemeinsamen Brennpunkt dieser beiden Linsen schob man das transparente Bild spiegelverkehrt und auf dem Kopf stehend ein. Spezielle Szenerien auf Glasplatten gemalt und ganze Geschichten konnten so illustriert werden. Dieser Darstellungsform schloss sich der Kinematograph an, dessen Durchbruch mit der Vorführung der ersten beweglichen Bilder auf Jahrmärkten die Ära der Filmgeschichte einläutete. Schon diese kleine Auswahl zeigt, dass viele unserer kulturellen Güter ihren Ursprung oder Verbreitung beim Fahrenden Volk haben. 

Schausteller der Gegenwart

Über die Entwicklung des Fahrenden Volkes des Mittelalters hin zum heutigen Schausteller ist nur wenig schriftlich festgehalten worden. Obwohl es eine Anzahl von Literatur über das Fahrende Volk von einst, über Schausteller und Volksfeste gibt, haben fast alle gemeinsam, dass sie von Außenstehenden der Berufsgruppe Schausteller geschrieben und unter diesem Blickwinkel die Realität der sozialen Lebensweise oft nicht erfassen.

Die Verfasserin und ihre Familie üben seit vielen Generationen den Schaustellerberuf aus, deshalb möchte sie versuchen, auf den Spuren ihrer eigenen Vergangenheit sowie als Kunsthistorikerin die Lebensart der Schausteller, allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit ergänzend aufzuzeichnen.

Zunächst zum Begriff Schausteller. Der Zeitpunkt seiner Entstehung und Definition lässt sich nicht exakt bestimmen. Er soll 1822 erstmals bei Theodor Heinsius aufgetaucht sein. Heinsius erklärt, dass ein Schausteller etwas zur Schau stellt oder etwas anbietet, das belustigt oder unterhält. (Heinsius 1822, S. 122) Wahrscheinlich war der Begriff Schausteller bereits früher gebräuchlich, da das Fahrende Volk typischerweise auch etwas zur Schau stellte. Sicher ist, dass es auf den Jahrmärkten ein buntes Treiben von Schaustellungen, Gesang und Tanz gab. Daneben wurden Essen, Trinken und der Verkauf von Waren aller Art angeboten. Dies entspricht auch der Definition von Theodor Hampe, der im Jahre 1902 über Schausteller schreibt: „In der Hauptsache begreift man darunter diejenigen Fahrenden, die sich die Erheiterung und Unterhaltung ihrer Mitmenschen zum Beruf und zu ihrem Geschäft gemacht haben.“ (Hampe 1902, S. 7)

Der Historiker Hermann Arnold glaubt, dass „die heutige Sozialgruppe der Schausteller erst mit der modernen Schaustellerei entstanden ist.“ (Arnold 1980, S. 265) Mit modern meint er sicherlich, das Betreiben von Fahrgeschäften, welches erst mit Ende des 19. Jahrhunderts in der heute üblichen Weise begonnen wurde. Ohne Zweifel ist das Schaustellergewerbe durch die Industrialisierung, die Dampfmaschine und Eisenbahn mit sich brachte, zu der heute bekannten Form gewachsen. Dem widerspricht jedoch nicht die Annahme, dass sich der Schausteller aus den fahrenden Marktleuten des Mittelalters entwickelt hat, zu denen sich in den vergangenen Jahrhunderten Menschen verschiedener Herkunft und Ausbildung, seien es Zuckerbäcker, Schlächter, Wirtsleute, Händler, Handwerker wie Schmiede, Schlosser, Tischler und Kaufleute gesellten. Daneben gab es musisch und artistisch begabte Menschen, die mit Tanz, Gesang, Menagerien und sonstigen artistischen Darstellungen den mittelalterlichen Markt bereicherten. Viele dieser Komödianten haben noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg als Artisten in Kleinzirkusunternehmen oder in Menagerien gearbeitet und danach haben sie ihren Erwerbszweig gewechselt und sind ins Schaustellergewerbe umgestiegen. Heute haben sich die Komödianten in die Gemeinschaft der Schausteller integriert, obwohl sie sich eine eigene Lebensphilosophie, die Neigung zu Musik und Tanz oder auch zum Teil sprachliche Eigentümlichkeiten über Generationen hinweg bewahrt haben.

Gewerbeordnung

Noch bis ins 18. Jahrhundert zählten nahezu alle, die keinem sogenannten ehrbaren Beruf nachgingen, keinen festen Wohnsitz besaßen und daher in keine Gesellschaftsform hineinpassten, zu den Fahrenden. Das Leben war hart und gefahrenreich, denn die fahrenden Leute galten als vogelfrei. Mit dem Preußisch Allgemeinen Landrecht von 1794 ergaben sich grundlegende Veränderungen der rechtlichen Situation für das Fahrende Volk. Die Gewerbefreiheit wurde eingeführt und die zuständigen Behörden vergaben zum ersten Mal begrenzte Konzessionen für Schausteller, eine bestimmte Zeit in einem gewissen Territorium zu reisen. Die Form der Gewerbeausübung wurde in der Wandergewerbeordnung festgelegt. Belegt ist, dass am 9.11.1864 von der Königlichen Bezirksregierung Arnsberg der Witwe Heinrich Heitmann aus Kamen für das „Aufstellen einen Karussells mit Musikbegleitung auf einer Drehorgel im Regierungsbezirk Münster 1865“ ein Gewerbeschein ausgestellt worden ist. (Stadtarchiv von Münster. Stadtmuseum Münster 1986, S. 129) Die Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 sowie die Verdichtung des Eisenbahnnetzes ermöglichte eine enorme Ausbreitung des Reisegebietes.

Informationsvernetzung und Berufsorganisationen

Im Jahre 1883 wurde die erste Fachzeitschrift der Schausteller der „Komet – Fachblatt für das Reisegewerbe und den Markthandel in Pirmasens gegründet“. Im Komet inserierten Hersteller- und Zulieferfirmen, Städte und Gemeinden warben für Veranstaltungen, neue Gewerbeordnungen und Auflagen wurden veröffentlicht, Arbeitsgesuche und angebote sowie An- und Verkäufe von Schaustellerbedarf wurden kundgegeben, außerdem verbanden Familienanzeigen die wachsende Gemeinschaft der Schausteller. Bis in die Gegenwart ist der Komet noch immer das wichtigste Forum der deutschen Schausteller. Durch ihn wird regionale und überregionale Verbundenheit gepflegt, dadurch bleiben lokale Traditionen lebendig. Inzwischen hat sich auch die 1997 gegründete Zeitschrift „Kirmes- und Park Revue“ etabliert. Neben ähnlichen Themen der Zeitschrift Komet, werden seriell Schaustellerchroniken veröffentlicht, neue Fahrgeschäfte vorgestellt und dem Verbleib von alten Geschäften nachgegangen. Etwa zeitgleich mit der Gründung des Fachorgans Komet institutionalisierten sich die Schausteller in allen größeren Städten in eigenen Interessenverbänden. Im Vorfeld war bereits 1858 der erste Verband „Freundschaft“ in Pirmasens gegründet worden. Nun folgten viele andere lokale Verbände. Am 1. April 1936 konstituierte sich die Organisation: Hauptvereinigung des Ambulanten Gewerbes und der Schausteller in Deutschland e.V. (HAGD) Sie war in drei Fachgruppen unterteilt: 1. Gewerbe nach Schaustellerart, (was bedeutete: mit Wohn- und Packwagen und einem Schaustellergeschäft von Kirmes zu Kirmes zu reisen) 2. Ambulanter Warenhandel und 3. Ambulanter Lebensmittelhandel. (Komet 1983, S. 49)

Es gab in Ländern und Städten der Organisation, angeschlossene Vereinigungen. In den 1990er Jahren wurde der Verein in „Bundesverband Deutscher Schausteller und Marktkaufleute e.V.“ kurz ‚BSM’ umbenannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, 1949 wurde der „Deutsche Schaustellerbund, Sitz Berlin“ kurz DSB genannt gegründet. (Schwäke 1983, S. 8) Die auf kommunaler oder Landesebene tätigen Schaustellervereine oder verbände waren später in einem der beiden Dachorganisationen DSB oder HAGD/BSM organisiert. Zu den Aufgaben der beiden Schaustellerverbänden gehört die Wahrnehmung der rechtlichen und wirtschaftlichen Belange des Schaustellergewerbes, die Erhaltung der traditionellen Volksfeste, sowie die kulturelle Anerkennung zu verbessern. Im Jahre 1954 schlossen sich zwölf nationale Mitgliedsverbände reisender Schausteller zur „Europäische Schausteller Union“ (ESU) zusammen. Dieser Organisation sind auch der „Europäische Frauenbund“ und die „Europäische Schausteller Jugend Union“ angeschlossen. 1980 erwarb die ESU, Sitz und Stimme im Kulturausschuss des Europarates in Straßburg. Seit 2006 unter der Präsidentschaft von Albert Ritter. Trotz der Anerkennung der Schausteller im Kulturausschuss des Europarates haben sich gewisse Vorurteile und Intoleranzen erhalten. Obschon das Schaustellergewerbe wirtschaftlich längst einem mittelständischen Dienstleistungs- oder Einzelhandelsbetrieb gleichzusetzen ist, muss es bedauerlicherweise auch heute noch um Gleichberechtigung zu anderen Gewerbezweigen und die Anerkennung als Lehrberuf kämpfen.

Die Saison der Schausteller beginnt gewöhnlich im März oder April eines Jahres. Nach den durchschnittlich 100 Spieltagen, an denen die Geschäfte geöffnet sind, schließen viele Schausteller ihre Saison mit den zahlreich gewordenen Weihnachtsmärkten ab. Eine Studie vom DSB ergab, dass 178.000 Millionen Menschen im Jahre 2007 die ca. 12.000 Volksfeste in Deutschland besuchten. Manche deutsche Stadt hat ihren Bekanntheitsgrad im Ausland einem Volksfest zu verdanken. Noch immer strömen Menschen verschiedenen Alters und Herkunft zum bunten Treiben. Sie suchen den Nervenkitzel und den Genuss vieler Köstlichkeiten auf unsere Volksfestplätzen.

Soziale Lebensweise

Die Lebensweise der Schausteller wird nicht selten von der Bevölkerung abenteuerlich und vielleicht sogar urtümlich gesehen. Dabei geht es in der eher männerbetonten Schaustellerwelt noch recht konservativ zu.

Das Leben im Schaustellerbetrieb lässt sich mit landwirtschaftlichen Familienbetrieben vergleichen, weil hier und dort das Zusammenleben und -arbeiten den Alltag bestimmen. Erfolge können durch Fleiß und Zuverlässigkeit, ein wenig Raffinesse und Glück, einem guten Leumund bei Behörden und Lieferanten, mit einem gepflegten Geschäft, sei es groß oder klein und gutem Service erreicht werden. Ehen werden oft innerhalb der Berufsgruppe geschlossen. Im Umfeld der Autorin ergaben sich in den 1970er Jahren einige Partnerschaften zwischen Schaustellermänner und weiblichen Personen, die in die Schaustellergemeinschaft aufgenommen wurden. Umgekehrt ist es eher selten. In den letzten Jahrzehnten liegt der Trend jedoch wieder darin, innerhalb des Schaustellermilieus zu heiraten. Die Frauen spielen, ähnlich einem stationären Familienunternehmen, eine wichtige Rolle im Mittelpunkt der Familie. Sie vereinigen alles in einer Person: Ehefrau, Mutter, Köchin, Buchhalterin, Kauffrau, Chefin und mehr. Sie betreiben die Kassen oder sonstige Geschäfte und sind Ansprechpartner für Alltagsprobleme in der Familie und Betrieb. Beim Mann liegen in der Regel die Verantwortung der Logistik, des Auf- und Abbaus der Geschäfte, bei technischen Störungen oder anfallenden Reparaturen. Aufgrund der subjektiven Erfahrung der Autorin möchte sie behaupten, dass die Erziehung der Kinder meist konservativ und behütet erfolgt, und dabei sich fast immer enge und liebevolle Beziehungen zu beiden Elternteilen entwickeln. Sicherlich beeinflusst der berufliche Alltag der Eltern die frühe Selbstständigkeit der Schaustellerkinder, die bereits schon als Heranwachsende, gemäß den Wünschen der Eltern eine wichtige Position in der Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der Familie erfüllen. Es besteht auch nach Eintritt der Volljährigkeit oder Heirat eine starke Familienbindung und beständiger Kontakt.

Der Schaustellerbetrieb wird traditionsgemäß häufig durch Einbeziehung der Kinder vergrößert und/oder an Sohn oder Tochter weitergegeben. Anderenfalls wird von den Eltern versucht eine Starthilfe in die Selbstständigkeit der Heranwachsenden zu geben. Die Schaustellerseelsorge liegt in den Händen, der 1954 gegründeten „Katholischen Circus- und Schaustellerseelsorge“, und der seit 1967 bestehenden „Evangelischen Seelsorge auf Reisen“. Vertreter beider Kirchen besuchen regelmäßig die Volksfestplätze. In Sonntagsgottesdiensten, die nicht selten auf einer Autoskooter-Fahrbahn oder in einem Festzelt stattfinden, werden manchmal auch die Sakramente der Taufe, Kommunion oder Konfirmation vollzogen.

Bildung und Ausbildung Bis Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts war bei Schaustellern ein regelmäßiger Schulbesuch noch recht ungewöhnlich. Damals gingen viele Kinder „auf der Reise in die Schule“. Dies ist eine Bezeichnung für den Schulbesuch am jeweiligen Veranstaltungsort der Eltern während der Saison. Es war nicht selten, dass das Schaustellerkind in der neuen Schule bewundernd begrüßt wurde, etwas über die Kirmes erzählte und zur Auflockerung des Unterrichts beitrug. Montags war in vielen Orten schulfrei, und am Ende der Veranstaltung, meist dienstags meldete sich das Schaustellerkind vom Unterricht wieder ab. Hier zeigte sich die klassische Problemsituation der Schaustellerkinder. Viele Kinder verließen oft ohne Schulabschluss die Schule, nicht selten waren sie bereits im elterlichen Betrieb als Arbeitskraft eingeplant. In vielen Familien glaubte man damals, dass Lesen, Rechnen und Schreiben für den Beruf des Schaustellers ausreiche. Eine durchaus gängige Praxis konnte im übrigen auch beobachtet werden, dass Schaustellerkinder von sich aus schlechte Noten anstrebten um einen weiteren Schulbesuch unmöglich oder überflüssig zu machen, sodass letztendlich die Schule verlassen werden musste. Es gab und gibt allerdings auch Ausnahmen, das nämlich die Ernsthaftigkeit und die Koordination vom Schulbesuch auf Reisen zum Schulabschluss führten und angestrebt wird.

Einige Eltern entschieden sich schon in den 1960er Jahren für eine Internatsunterbringung ihrer Kinder. Im Reisegebiet der Autorin, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, waren die ersten christlichen Internate, in denen Schaustellerkinder zur Schule gingen, die Ursulinen in Köln und Bonn/Hersel. Dazu kamen Jungeninternate in Siegburg, Mayen oder Rengsdorf. Daneben wurden in den 1980er zwei spezielle Schaustellerinternate in Feuchtwangen und in Herford gegründet. Das Internat in Herford besteht nach wie vor. Für das monatlich recht hohe Internatsschulgeld gibt es in einigen Bundesländern für die dort beheimateten Eltern staatliche Zuschüsse. Zum einen ist auch bei Schaustellern Bildung und Ausbildung eine Frage des Geldes. Wer nicht die finanziellen Möglichkeiten hat, kann seine Kinder nicht ins Internat schicken. Zum anderen ist es nicht unbedeutend, dass ein Internatsaufenthalt eine Trennung des Kindes von der Familie mit sich bringt. Diesen Trennungsschmerz wollen die Eltern vielfach nicht auf sich nehmen. Manchmal bleiben die Kinder bei den schon zu Hause lebenden Großeltern oder alternativ fahren einige Schausteller ihre Kinder täglich zu ihrer Heimatschule. Dies ist jedoch meist nur möglich, wenn es sich um Schausteller handelt, die nur rund 50 km plus/minus von ihren Heimatort Kirmesveranstaltungen beschicken. Anzumerken wäre, dass von den Kindern, die ein Internat besucht haben, die Mehrzahl die Schule vorzeitig abbrachen, andere den Schulabschluss mit der Mittleren Reife oder dem Abitur erreichten, dennoch später fast alle wieder zu Hause im Schaustellerbetrieb arbeiteten. Obwohl die schulische Ausbildung inzwischen einen hohen Stellenwert im Schaustellergewerbe erreicht hat, ist es heute noch gängig auf der Reise zur Schule zu gehen. Von der Kultusminister Konferenz (KMK) wurde vor einigen Jahren ein sogenanntes Schultagebuch erarbeitet, in das die Anwesenheit und Teilnahme am Unterricht der Kinder in der jeweiligen Stützpunktschule bescheinigt wird. Die Einträge werden in der Stammschule der Wintermonate auf die Schulpflicht angerechnet und tragen zur Beurteilung und Versetzung bei. Seit 1998 stellt die Bezirksregierung kostenlos sogenannte Bereichslehrer für Schaustellerkinder zur

Verfügung. Sie besuchen die Kinder auf den bestimmten Volksfestplätzen, erteilen Förderunterricht, helfen bei Hausaufgaben und sonstigen schulinternen Formalitäten. Die Einrichtung nennt sich „Schule unterwegs“ und die pädagogischen Verantwortlichen haben die Problematik der Schaustellerkinder klar erkannt. In den Informationsunterlagen wird die Situation der Kinder in ständig wechselnden Schulen wie folgt beschrieben: „Ihre Mobilität ist die Ursache dafür, dass sie aus dem Schulsystem herausfallen, und sie verhindert gleichzeitig, dass ihre Lernsituation erkannt wird: Bevor die Lehrerinnen und Lehrer an den unterwegs besuchten Schulen den Lernstand der Kinder erkannt haben, müssen diese die Schule bereits wieder verlassen. Reisende Kinder erfahren somit Schule häufig als Ort der Ausgrenzung, des Misslingens und Versagens. Dies kann dazu führen, dass diese Kinder die Schule nicht mehr besuchen wollen. Auf der anderen Seite besitzen reisende Kinder hohe Kompetenzen. Seit frühester Kindheit übernehmen sie in den Familienunternehmen zuverlässig und verantwortlich „ihre“ Bereiche. Auftritte, Tierversorgung, Kartenverkauf, Reklame, Süßwarenverkauf, Auf- und Abbauarbeiten, Kinderbetreuung, Ton- und Lichttechnik, Wagenreparaturen und vieles mehr erledigen sie mit Liebe und Hingabe für „ihr“ Familienunternehmen. Was im Bereich der Schlüsselqualifikationen in der Regelschule manchmal mühsam eingeübt werden muss, beherrschen diese Kinder ganz selbstverständlich. Ihr „alltags- und -anwendungsbezogenes“ Wissen ist wesentlich größer als das gleichaltriger Mitschülerinnen und Mitschüler in der Regelschule“ (www.Schule-unterwegs.de)

Obwohl inzwischen auch der Schaustellernachwuchs die Schule nicht selten mit Mittlerer Reife oder Abitur abschließt, ist das wirklich Wesentliche für einen Schaustellerjungen nach wie vor: Zugmaschine zu fahren, an der Kasse zu sitzen, eben seinen Mann zu stehen und auch manchmal schon Chef zu sein. Sorgen um Ausbildungsplätze kennen junge SchaustellerInnen nicht, weil sie fast ausschließlich im elterlichen Betrieb ihre berufliche Zukunft beginnen.

Wohnsituation Leider sind in der Literatur genaue Angaben über die Entwicklung der Wohnverhältnisse der Schausteller vom 19. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart recht dürftig. Auf alten Stichen, Zeichnungen und Gemälden sind manchmal Planwagen oder selbstgebaute einfache Fuhrwerke zu erkennen.

Es ist anzunehmen, dass seit Einführung der Wandergewerbeordnung mit der Möglichkeit zur Ausweitung des Reisegebietes auch die Ausstattung der Wohnwagen intensiver wurde. Etwa zeitgleich mit der Gründung von Karussellbaufirmen in Thüringen und Sachsen begann auch der Wohnwagenbau. Ab 1883 erschienen in der Fachzeitschrift Komet, Inserate von Wohnwagenherstellern. Darunter auch die Firmen SCHUHMANN aus Werdau /Sachsen, von der im Markt- und Schaustellermuseum Essen ein Wohnwagen erhalten ist sowie HEINRICH MACK, die im Jahre 1780 in Waldkirch/Breisgau als Stellmacherei gegründet worden war und andere. Später folgten die Firmen EBERHARD STORK aus Soest, nach dem Zweiten Weltkrieg WILLI DIETZ aus Schwalmstadt und viele andere. Die mit Pitchpine Holz verschalten Wagen waren anfangs noch klein, aber dennoch mit Kochnische, Wohn- und Schlafzimmer eingerichtet. Der Sanitärbereich beschränkte sich auf Waschschüssel und Toiletteneimer, ähnlich dem des einfachen Volkes im traditionellen Wohnungsbau dieser Zeit. Die äußere Form des Wohnwagens war angelehnt an einen Eisenbahnpersonenwagen. Dem Tonnendach war eine Oberlichtleiste aufgesetzt. An den Längsseiten des Wagens waren beidseitig die Achsen der einzelnen Räume aufgreifend Fenster eingesetzt, die mit ausstellbaren Fensterläden geschmückt waren. Die Wohnwagentür befand sich an der Kopfseite über der Deichsel. Zwischen den Achsen waren sogenannte Kellerkästen, für Vorräte oder andere Utensilien unterzubringen untergebaut. Mit der Zeit wurde ein kleiner Verandavorbau an die Kopfseite angebracht. Bereits nach der Jahrhundertwende ließen sich die etwas wohlhabenden Schausteller einen gesamten Wohnwagenzug bauen. Auch dieser Begriff erinnert an die Eisenbahn, deren Entwicklung der Personenwagenausstattung parallel ablief. Der Wohnwagenzug bestand aus einem Wohnwagen mit Wohn- und Schlafzimmer und einem Küchenwagen, der mit Küche und einem dahinterliegenden Kinderzimmer ausgestattet war. Verbunden waren beide Wagen durch eine geschlossene Veranda.

Diese Wohnform wurde noch bis in die 1960er Jahre beibehalten. Daneben entwickelten sich die neueren Wagen. Die Holzverkleidung wich einer Außenverkleidung aus Leichtmetall. Die Fahrgestelle entsprachen dem jeweils aktuellen Fahrzeug- bzw. Anhängerbau. Verbesserungen im traditionellen Wohnungsbau z.B. im sanitären Bereich fanden auch bei Schaustellerwohnwagen ihren Einzug. Eine weitere Innovation konnte seit den 1960er Jahren beobachtet werden: ein oder zwei Erker wurden aus den Seitenwänden des Wohnwagens ausgefahren. Inzwischen werden beide Längs- und Kopfseiten fast komplett ausgezogen, sodass die heutigen Wohnwagen einem Einfamilienhaus im Komfort, Technik und Kaufpreis nahe kommen. In den 1980er Jahren wechselte man von der Runddachform zur Containerkastenbauform. Erst in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre interessierten sich die Schausteller für den inzwischen als mobile Ferienwohnung bekannt gewordenen Campingwagen. Zunächst kaufte man kleine Wagen als externe Zimmer für die heranwachsenden Kinder. Bald nutzten einige Schausteller den Campingwagen als Ersatz für einen Wohnwagen herkömmlicher Bauart. In den 1970er Jahren wurden die Holzwohnwagen fast völlig ersetzt. Viele Schausteller besitzen eigenen Grund und Boden, eine Halle zur Unterbringung des Geschäftes sowie ein Wohnhaus. Daher verkauften einige auch ihre großen arbeitsaufwändigen Wohnwagen und wechselten zum Campingwagen oder fahren abends sogar teilweise nach Hause. Dies ist jedoch abhängig von der Reisegewohnheit des Schaustellers. Schausteller, die Großveranstaltungen der gesamten Bundesrepublik bereisen und es sich wirtschaftlich leisten können, halten meist auch heute noch an ihren geräumigen und komfortablen Wohnwagen fest, da sie im Frühjahr ihr Haus verlassen und erst im Herbst dahin zurückkehren. Inzwischen bieten amerikanische Firmen auch eine Kombination von Wohn- und Campingwagen als amerikanischen Aufliegerwagen, kurz „Ami“ genannt, an.

Wie schon angesprochen, haben sich durch Unkenntnis der Lebensweise und dem Wohnkomfort der Schausteller noch immer gewisse Vorurteile von Seiten der Bevölkerung behalten. Ohne Zweifel hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur bei den deutschen Schaustellergeschäften eine revolutionäre Entwicklung vollzogen, sondern auch in der mobilen Wohnsituation der Schausteller. Parallel zum traditionellen Wohnungsbau sind längst dem Zeitgeschmack angepasst die moderne Einbauküche, das elegante Bad, Zentralheizung, Klimaanlage und sonstigen technischen Errungenschaften keine Seltenheit mehr.

Abschließen soll der kleine Einblick in die Welt der Schausteller mit einem Auszug einer Rede Jürgen Werners, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fremdenverkehrsverbandes e.V. Bonn, anlässlich des 38. Delegiertentag 1987 in Herford: „Die Schaustellerfamilien bestehen aus Menschen, die nicht nur alles zu können scheinen, sondern tatsächlich auch alles können, als hätten sie ein Dutzend Berufe mindestens bis zur Meisterprüfung erlernt: Schausteller sind Handwerker, Ausbilder, Erzieher, Buchhalter, Kaufleute, Spediteure, Verhandlungs- und Verwandlungskünstler, Dekorateure, […] sie sind Köche und Versorgungsmeister, Beherbergungsgeber und Reiseexperten, Familienoberhäupter, Arbeitgeber, Seelsorger und was man sonst so alles noch sein kann. Einfach bewundernswert. Sie, die Schausteller, bringen Unmengen von ‚gewusst wie’ mit in eine Stadt, vor allem drei Wesensmerkmale: Flexibilität, Mobilität und Improvisationskunst.“ 

© Margit Ramus

Ramus, Margit: Schausteller. In: Szabo, Sacha (Hg.), Kultur des Vergnügens Kirmes und Freizeitparks Schausteller und Fahrgeschäfte Facetten nicht-alltäglicher Orte. Bielefeld 2009. S. 209-222

Werner, Jürgen: Festschrift zum 38. Delegiertentag des Deutschen Schaustellerbundes e.V Berlin. 22.01.1987 Herford. In: Jahrbuch Schausteller 2000, Waiblingen 1990, S.151f.
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Literaturverzeichnis: Arnold, Hermann: Fahrendes Volk. Neustadt an der Weinstraße, 1980 Dering, Florian: Volksbelustigungen. Nördlingen, 1986 Hampe, Theodor: Fahrende Leute in der deutschen Vergangenheit. Monographien zur deutschen Kulturgeschichte. X. Band: Fahrende Leute. Leipzig 1902 Heinsius, Theodor: Volkstümliches Wörterbuch der deutschen Sprache mit Bezeichnung der Aussprache und Betonung für die geschäfts- und Lesewelt. Bd. 4, Abt. 1. Hannover 1822 Komet: Volkfeste und Märkte, Jubiläumsbuch anlässlich 100 Jahre Komet. Pirmasens 1983 Schwäke, Heinrich: Lang war der Weg. Geschichte und Gründung des DSB. Berlin 1983 Stadtmuseum Münster: 1200 Jahre Münster-Send. Münster 1986 Werner, Jürgen: Festschrift zum 38. Delegiertentag des Deutschen Schaustellerbundes e.V. Berlin. 22.01.1987 Herford. In: Jahrbuch Schausteller 2000, Waiblingen 1990

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