Schausteller in Corona Zeiten A - Z

05 2020 Corona und die Schausteller und Schaustellerinnen

Frühlingsvolksfest in Köln. Foto 2019 © Hans-Josef Schoeneseifen
Wir werden auch Corona überstehen!

Viele von uns habe schon so manche Lebens- oder finanzielle Krise überstanden, so werden wir Schausteller und Schaustellerinnen auch die Corona-Krise überstehen. Denn wir sind stark!

Ohne Zweifel hatten bereits Mitte Februar dieses Jahres die meisten von uns von der neuen Krankheit Covid 19, (abgekürzt aus dem Englischen: Corona Virus Disease 2019, umgangssprachlich auch Corona genannt) gehört.
Kaum jemand hatte jedoch geahnt, welches Ausmaß „Corona“ annehmen würde. Denn damals schaute die gesamte Schaustellerbranche noch zuversichtlich in die neue Saison 2020. Auch Der Komet veröffentlichte am 10. März noch seinen Neuheiten-Überblick unter dem Namen „Gigantismus und Kompaktbau“.

Dann überschlugen sich in wenigen Tagen die Nachrichten. Mit den ersten Absagen der Frühjahrsvolksfeste erreichte die Corona-Epidemie, die mittlerweile die ganze Welt auf den Kopf gestellt hat und zur Pandemie hoch gestuft wurde, auch die etwa 5000 deutschen Schaustellerfamilien und -betriebe.

Die gesamte Schaustellerbranche stand im März 2020 nach den üblichen Monaten ohne Einnahmen gerade am Beginn ihrer jährlichen Volksfestsaison.
Die Reserven für die Fixkosten waren aufgebraucht und die finanziellen Verpflichtungen auf die Saison ausgerichtet. So wurde vielen schnell klar, dass es nach der langen Winterpause ohne Einnahmen zu existenzbedrohenden Entwicklungen kommen wird. Alle Schaustellerfirmen, überwiegend Familienbetriebe, sind eigenständig finanziert und stolz darauf, dass sie bisher noch nie öffentliche Subventionen in Anspruch genommen haben.

Über die ganze Bundesrepublik, in allen 16 Bundesländern geografisch verteilt, finden etwa 9.750 große und kleine Volksfeste statt. Fast jedes Bundesland hat mindestens ein großes Volksfest. Dazu kommt eine Vielzahl von Volksfesten mittlerer und kleiner Größe. Bis zu 50.000 Menschen finden während der Saison dort Arbeit. Die Volksfeste sind Deutschlands bedeutendstes Freizeitangebote und haben einen durchschnittlichen Jahresumsatz von ca 8 Milliarden Euro. Auch die Einnahmen für die Kommunen mit etwa 340 Millionen Euro sind nicht unerheblich. Deshalb sind die Komplexität und Vielschichtigkeit der deutschen Volks-fest-Kultur ohne Gleichen.

Und nun — standen die Räder erst einmal still.

Tröstend wirkten zu Beginn der Krise die Solidarität der Schausteller untereinander und besondere die Arbeit der beiden Dachorganisationen DSB und BSM sowie vieler angeschlossener Vereine und Verbände.
Die Verbände und auch die ESU forderten schnelle unbürokratische Soforthilfe und Zuschüsse für die Schaustellerbetriebe. Auf diesem Wege ein großes Dankeschön für diesen Einsatz!

Die bundesweite Soforthilfe wurde unverzüglich auch an die Schaustellerbetriebe in Deutschland ausgezahlt, Tilgungen laufender Kredite wurde ausgesetzt, Transportversicherungen und sonstige Versicherungen konnten ruhend gemeldet werden, Lebensversicherungsbeiträge wurden aufs Eis gelegt, Gema-Beiträge reduziert. Berufsgenossenschaften boten zinsfreie Stundungen an und auch die Finanzämter stunden bundesweit zinslos Steuernachzahlungen und setzen Steuervorauszahlungen aus. Damit wurde die Liquidität der Schausteller zunächst einmal erhalten. Zusätzlich wurden im Rahmen eines Sonderprogramms von der „Kreditanstalt für Wiederaufbau“, kurz KfW, vergünstigte Kredite für Selbstständige entwickelt, die nun auch von den Schaustellern genutzt werden.

Mit den Soforthilfen waren kleinere Betriebe zunächst der akuten Sorgen enthoben, für größere Schaustellerbetriebe waren die finanziellen Hilfen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber alle gemeinsam glaubten und hofften, dass sicherlich im Mai, spätestens zum Düsseldorfer Schützenfest auf der Rheinwiese die Volksfeste wieder stattfinden würden.

Voller Hoffnung und um in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen, entwickelten die Schausteller die Aktion: Hand in Hand.
Sie boten ihre Zugmaschinen oder Anhänger zum Transport von notwendigen Lieferungen an. Außerdem stellten Schausteller in allen Teilen der Republik ihre historischen transportablen Orgeln vor Seniorenheimen auf und brachten mit alten Melodien viel Freude in den Alltag der alten Menschen und des Pflegepersonals.

Anfang April dann die schockierende Nachricht: Alle Volksfeste, ob groß oder klein, dürfen bundesweit bis zum 31. August nicht stattfinden. Jetzt begriffen auch die letzten Optimisten den Ernst der Lage.

Ostern 2020.
Bei strahlendem Kirmeswetter saß von den vielen Schaustellern und Schaustellerinnen niemand an der Kasse eines Fahr-, Hoch-, oder Laufgeschäfts oder an der Autoskooter – Kasse, niemand betrieb sein Spielgeschäft und präsentierte den Volksfestbesuchern an Verlosungen, Schießbuden, Automatenwagen und sonstigen Unterhaltungsmöglichkeiten die Gewinne der neuen Saison.
Auch Verkaufsgeschäfte harren in den Winterquartieren aus. Von deren Betreibern feilschte niemand in den letzten Wochen mit Lieferanten um Mandel-, Nuss- oder Zuckerpreise. Auch die jährlichen Preiserhöhungen bei Wurst, Fisch, Pommes und sonstigen Waren sowie bei Verpackungsmaterialien sind irrelevant geworden.

Immer wieder hatte der DSB davor gewarnt, auch die Herbstvolksfeste schon frühzeitig in vorauseilender Sorge abzusagen. Außerdem müsse für die Zeit nach dem 31. August neu verhandelt werden, denn nicht alle Schützenfeste und Kirmessen, Kirchweihen usw. sind Großveranstaltungen und dürften auf keinen Fall in einem Rundumschlag alle abgesagt werden.

Deshalb traf die frühe Entscheidung, das Münchner Oktoberfest 2020 auszusetzen, die Schaustellerbranche besonders hart. Damit scheint das endgültige Aus für die Volksfeste in der gesamten Saison 2020 vorprogrammiert zu sein.
Die Situation ist seitdem dramatisch geworden.

Volksfeste sind Orte der Freude und Entspannung. Sie fördern den kulturellen Austausch und die Integration, stärken das Heimatgefühl und pflegen das Brauchtum.

Mark Schumburg, ein guter Freund der Schausteller und Bewunderer vieler Schaustellergeschäfte, sagte zu mir: „Auf der ganzen Welt dreht sich zurzeit, im April 2020 kein einziger der 106 von der Firma Huss gebauten Break Dancer, dies ist unfassbar und macht so traurig!“

Aber auch viele der übrigen, knapp 190 Millionen Besucher aller sozialen Schichten, die die Volksfeste in der Saison normalerweise besuchen, sind traurig. Sie vermissen die bunte Welt der Volksfeste und bleiben zu Hause.
Den Menschen fehlt die spannende Mischung von bunten Bildern, Geräuschen, Nervenkitzel und Geschmacksreizen. Sie möchten beim Bummel über den geschützten Raum des Festplatzes den Reiz des Zusammenspiels von Dynamik und einer fast vergessenen Romantik erleben.
Regelmäßige Veranstaltungen zu einem bestimmten Zeitpunkt sind fester Bestandteil im Kulturkalender von Pfarreien, Vereinen, Städten und kleineren Gemeinden. Diese müssen nun auf ihre Festprogramme verzichten, die oft auf hunderte Jahre alte unterschiedliche Bräuche und Rituale traditioneller, sakraler und weltlicher Feste wie Kirchweihfeste, Schützenfeste und höfische Feste hinweisen.

Begonnen hat dagegen eine Zeit voller Unsicherheit und Zukunftsangst.

Die Träger und Hauptakteure des Kulturguts Volksfest sind die Schausteller und Schaustellerinnen, ohne die die modernen Volksfeste nicht denkbar sind!
In ihrer Tradition werden Wissen und Erfahrungen seit vielen Generationen innerhalb der Familie weitergegeben. Für sie bedeutet das Familiengeschäft Tradition, Familienbewusstsein, Zusammengehörigkeit und Identifikation mit dem Beruf. Ihre Mobilität, ihre traditionellen Handwerkstechniken zur Herstellung von Waren oder zur Entwicklung und Überarbeitung von Geschäften, die Werbetechniken, vom Handzettel bis zur Ansage vor Publikum, haben sie jahrhundertelang entwickelt, perfektioniert und tradiert.

Die Schausteller und Schaustellerinnen haben schon viele Kämpfe gefochten und schwere Zeiten überstanden. Lang und mühsam war der Weg vom „Fahrenden“ zum modernen Schausteller der Gegenwart.
Seit dem Mittelalter zogen die „Fahrenden Leute“ von Stadt zu Stadt anlässlich der dort stattfindenden Jahrmärkte. Die „Fahrenden“ hatten kein leichtes Leben. Sie wurden nicht durch die bürgerlichen Gesetze geschützt und durften auch keine heiligen Sakramente empfangen.
Gelebt haben sie in Planwagen oder selbstgebauten einfachen Fuhrwerken, mit denen sie nach Einbruch der Dunkelheit nur außerhalb der Stadtmauern verweilen durften.
Unter den „Fahrenden“ waren auch Händler, Barbiere und Heiler. Zum Jahrmarkt gesellten sich ortsansässige Zuckerbäcker, Schlächter, Wirtsleute, Handwerker wie Schmiede, Schlosser oder Tischler. Fahrende Komödianten, wie Gaukler, Musikanten und Artisten, rundeten das bunte Bild des Jahrmarktes ab.
Es ist überliefert, dass beim „Fahrenden Volk“ der Ursprung vieler Berufe liegt und technische Errungenschaften dem Volk meist auf Jahrmärkten vorgestellt worden sind. Außerdem brachten Jahrmärkte die neusten Nachrichten und förderten den Heiratsmarkt.

Ein schönes Zitat lautet: „Der Jahrmarkt hatte kurzfristig ein Stück Welt in das kleine Dorf gebracht. Als hätte er ein Fenster geöffnet, durch das jeder Dorfbewohner einmal hatte blinzeln dürfen.“ (Buck, Vera: Das Buch der vergessenen Artisten. 2018)

Erst 1794 wurde die Gewerbefreiheit eingeführt und die Bedingungen für das „Fahrende Volk“ verbesserten sich. Zum ersten Mal wurden begrenzte Konzessionen ausgestellt, für eine bestimmte Zeit in einem gewissen Territorium zu reisen. Die Form der Gewerbeausübung wurde in der Wandergewerbeordnung festgelegt.
Mit der Industrialisierung, die Erfindungen der Dampfmaschine und der Eisenbahn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen grundlegende Veränderungen für die „Fahrenden“. Sie wurden jetzt auch schon Schausteller genannt.
Die Gründung des Deutschen Reiches im Jahre 1871 sowie die Verdichtung des Eisenbahnnetzes ermöglichten eine enorme Ausbreitung des Reisegebietes. Schon bald entwickelte sich das Schaustellergewerbe zu der heute bekannten Berufsgruppe. Der professionelle Karussellbau expandierte und deutsche Schaustellergeschäfte wurden in die ganze Welt exportiert.

Aber mit dem Ausbruch einer Cholera-Epidemie 1873 und später noch einmal im Jahr 1892 wurden einige Volksfeste in Deutschland ohne Vorankündigung abgesagt.

Als 1914 der 1. Weltkrieg begann, wurden die großen deutschen Volksfeste von heute auf morgen ausgesetzt. Aber nach dem Waffenstillstand im November 1918 strömten die Menschen schon im Dezember 1918 wieder auf den „Hamburger Dom“.

Für ältere Schausteller und Schaustellerinnen wird noch die Zeit des Nationalismus im Gedächtnis sein. Größere Volksfeste wurden direkt nach Beginn des Krieges 1939 abgesagt, andere noch kurze Zeit in minimierter Besetzung abgehalten. Kleinere Volksfeste fanden dagegen bis weit in die 1940er Jahre statt, obwohl der Krieg tagtäglich viel Leid über die Menschen brachte.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs bauten die meisten Schaustellerfamilien ihre Geschäfte zwischen den Trümmern auf, brachten den Menschen das Licht und die Freude zurück und ließen die Kinderaugen strahlen.
Viele Schaustellerfrauen haben sich schon damals – anfangs alleine und später zusammen mit ihren aus dem Krieg heimkehrenden Männern – nicht unterkriegen lassen. Sie legten den Grundstock für eine neue Zeit im Schaustellergewerbe.

Inzwischen sind Volksfeste ein wesentliches Kulturgut. Sie sind als solches von der Bundesregierung wie auch von der europäischen Union anerkannt und als schützenwert eingestuft. Auch die Schausteller haben als mittelständische Unternehmer ihren Platz in der Gesellschaft und finden Gehör bei der Politik. Volksfeste sind Garanten für das Kulturgut sind und gehören absolut zur deutschen Kulturgeschichte dazu.

Dieses Mal wird es jedoch nicht ohne weitere stattliche finanzielle Unterstützung gehen. Die bisherige Hilfe reicht nicht aus für die Schaustellerbranche um diesen Shutdown abzufangen. Produktionen und Verkäufe können später nachgeholt werden, aber ausgefallenen Volksfeste sind wirtschaftlich unersetzbar, ganz zu schweigen von der damit entgangenen Lebensfreude.

Unsere Schaustellerverbände kämpfen nach wie vor und unermüdlich in zähen Verhandlungen mit Politikern und sonstigen Institutionen, damit auch der Schaustellerbranche durch einen finanziellen Rettungsschirm langfristig geholfen wird.

Ohne weiterreichende finanzielle Hilfen wird dieses weit über 1000-jährige Kulturgut sterben. Dies darf nicht geschehen! Die lebendige Tradition der Volksfeste ist im Bewusstsein der Gesellschaft verankert und muss für die kommenden Generationen bewahrt und erhalten bleiben.

Zu guter Letzt möchte ich auf das einzige digitale, deutsche Kulturgut-Volksfest-Archiv
(www.kulturgut-volksfest.de) hinweisen. Bewahren und Erhalten ist Sinn und Zweck des Archivs, welches unter der Schirmherrschaft unserer beiden Dachorganisationen DSB und BSM steht. Zahlreiche Geschichten über Volksfeste, Schausteller, Hersteller und Maler unserer wunderbaren Schaustellergeschäfte sind bereits aufgeschrieben. Vielleicht schauen Sie mal rein?

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute, gehend Sie umsichtig mit sich und Ihrer Familie um und bleiben gesund.

© Margit Ramus

 

 

 

 

 

2 Beiträge zu “05 2020 Corona und die Schausteller und Schaustellerinnen

    1. Robert Schmidt-Halswick

      Dieser Beitrag ist eine hervorragende und situationsgerechte Darstellung der Lage, untermauert mit interessanten und beeindruckenden Fakten zum Beruf des Schaustellers. Er zeigt aber auch geradezu schmerzlich, in welchem katastrophalen Zustand sich viele Schausteller nun bereits seit Wochen befinden und dennoch, weitestgehend auf sich gestellt, versuchen, ihre Existenzen zu erhalten und irgendwie weiter zu machen. Dieser Berufsstand weiß wie kaum ein anderer zu kämpfen und zu improvisieren – also sich schnell und unkompliziert den veränderten Gegebenheiten anzupassen. Allen Problemen zum Trotz sind diese Eigenschaften jetzt wirklich gefragt. Ich danke Margit Ramus sehr für ihre Darstellung und bin sicher, daß sie dazu beiträgt, die Bedeutung der Branche und des Berufsstandes auch Aussenstehenden näher zu bringen und vielleicht dazu führt, dass schon früher an Lockerungen für Volkfeste gedacht werden und der Weg zurück zur Normalität eingeleitet werden kann, um Existenzen zu retten!

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