Schausteller in Corona Zeiten A - Z

02 2022 Corona im dritten Jahr

Neumünster Großkundgebung 28.01.2018

Das dritte Jahr der Corona-Pandemie hat begonnen.

Im Dezember 2020 habe ich versucht einen Rückblick der vergangenen Monate eines Jahres aufzuzeichnen, welches noch mit Erwartungen auf eine neue Saison begonnen hatte, die vielleicht die von 2019 noch übertreffen würde.
Aber es kam anders. Unglauben, Hoffnung und Sorgen, dass es nach der langen Winterpause ohne Einnahmen zu existenzbedrohenden Entwicklungen kommen würde, machten sich breit. Bald waren die Reserven für die Fixkosten aufgebraucht und die finanziellen Verpflichtungen, die auf die Saison ausgerichtet waren, mussten „geschoben“ werden. 
Ich schrieb damals, dass die ausgefallenen Volksfeste und schließlich die Absage der Weihnachtsmärkte für alle auch emotional schwer zu ertragen waren. Aber nach einer weiteren „nicht normalen“ Saison haben wir Schausteller auch diese neue Art von Lebens- oder finanzieller Krise überstanden.

Ältere Schausteller und Schaustellerinnen, zu denen auch ich gehöre, wurden aufgrund ihrer jahrzehntelanger Lebensplanung vielleicht finanziell weniger getroffen. Größere Schaustellerunternehmen mit laufenden Darlehen konnten eventuell ihren Verpflichtungen nicht mehr pünktlich nachkommen. Den jüngeren Schaustellern kam es letztendlich zugute, dass die Banken die Leichtigkeit ihrer Kreditzusagen in den letzten 20 Jahren erheblich reduziert hatten. In den 1980/90er Jahren hätte die Pandemie sicherlich sehr viel schneller zum Konkurs vieler Schaustellerfirmen oder Rücknahme ihrer Karussells durch einzelne Herstellerfirmen geführt. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Schaustellerbranche damals bei der Vergabe von staatlichen Zuschussprogrammen berücksichtigt worden wäre. Schausteller, meist als Familienbetriebe agierend, waren außerdem immer stolz darauf, eigenständig finanziert zu sein und bis ins Jahr 2020 nie öffentliche Subventionen in Anspruch genommen zu haben.

Mit der Pandemie änderte sich vieles. Bundesweite Soforthilfen wurden erstmalig auch an Schaustellerfamilien ausgezahlt, was sicherlich besonders der Arbeit unserer Berufsverbände zu verdanken ist. Mit den Soforthilfen wurden kleinere Betriebe zunächst der akuten Sorgen enthoben, die sich jedoch wieder einstellen werden, wenn Rückzahlungen von Förderungen, die nicht entsprechend den jeweiligen Richtlinien belegbar sind, nicht mehr aufzuschieben sind. Für größere Schaustellerunter-nehmen waren die ersten finanziellen Hilfen allerdings nur ein Tropfen auf den hei-ßen Stein und deshalb wurden günstige und problemlos zu erhaltende KFW-Kredite abgeschlossen. Nach den Soforthilfen gab es im Anschluss Überbrückungshilfen, die auch Reparaturen der Geschäfte und sonstige Betriebskosten anteilig übernahmen.

Wie sieht es nun Anfang des neuen Jahres aus?
• Werden wieder Volksfeste stattfinden?
• Werden die Innenstädte wieder bebaut werden können?
• Werden wieder temporäre eingezäunte Volksfeste stattfinden oder kommt die Normalität schon bald zurück?
• Reichen die Einnahmen den gewohnten Lebensstil und die privaten Ansprüche weiter aufrecht zu erhalten oder die Kredite zurückzuzahlen? 

Offene Fragen, denen sich die Schaustellerinnen, Schausteller und auch die Schaustellerjugend stellen müssen. Es liegt auf der Hand, auch für diejenigen, die es noch nicht wahrhaben wollen, dass die Zukunft der Volksfestkultur gefährdet ist.

Ein großer Schritt für den Erhalt der Volksfeste als zu schützendes Kulturgut wäre die Anerkennung der Volksfestkultur in Deutschland als immaterielles Kulturerbe, der wir in den nächsten Wochen mit großer Spannung und Hoffnung entgegensehen.
Der Jahreszeit entsprechend ist es in Politik und Medien um die Durchführung von Volksfesten zurzeit etwas ruhiger geworden. Aber unsere Schaustellerverbände befinden sich nach wie vor in zähen Verhandlungen mit Politikern und sonstigen Institutionen, damit dieses Jahr wieder große und kleine Volksfeste stattfinden werden und die Talfahrt des Schaustellergewerbes gestoppt wird.
In der gerade in Berlin zu Ende gegangenen „DSB-Arbeitswoche im deutschen Bundestag“ beharrte der DSB darauf, dass die Fortführung der langen Tradition der Volksfeste nicht nur Sache der Schausteller*innen und ihrer Verbände, sondern dar-über hinaus eine gesamtgesellschaftliche und öffentliche Aufgabe ist, denn die deutsche Volksfestkultur ist ein wichtiger Baustein unserer Kulturgeschichte. Außerdem vermissen die Menschen im ganzen Land ihre Volksfeste.

Um dies immer wieder zu betonen, ist es wichtig, dass neben dem finanziellen Über-leben der Schaustellerbetriebe, auch die Schaustellerinnen und Schausteller als Träger der traditionellen Volksfeste im Bewusstsein der Gesellschaft nicht vergessen werden. Wir dürfen nicht müde werden, der Mehrheitsgesellschaft von unserem Leben als Schausteller zu berichten. Anders als unsere Vorfahren, die jahrhundertelang unter sich blieben und Außenstehenden nur wenig Einblick in ihre geschlossene Welt gewährten, müssen wir uns wie zu Beginn der Pandemie wieder bemerkbar machen!

Nach wie vor gehören Schaustellerfamilien einer sogenannten Randgruppe der Gesellschaft, an, die sie zwar nicht öffentlich diskriminiert, aber sich eine Ambivalenz zwischen Misstrauen und Faszination für das „Fremde“ erhalten hat. Umgekehrt reagieren viele mit einer Gegendiskriminierung, dies fällt besonders bei der Schaustellerjugend auf. Man lebt und feiert meist unter sich und lässt nur selten „Private“ oder negativ auch „Bauern“ genannt, in die soziale Gemeinschaft der „Reisenden“ herein.
Natürlich gibt es Ausnahmen! Freundschaften zwischen Schaustellern und Privatleuten werden auch außerhalb der geschäftlichen Kontakte gepflegt. Dabei werden auch manche Kollegen*innen schon den Satz gehört haben: „So hatte ich mir Schaustelle-rinnen und Schausteller gar nicht vorgestellt.“
Positive Eindrücke werden auch immer wieder von vielen aus der Politik, aus Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft kundgetan. So auch die Aus-sage von Olaf Scholz in seiner Zeit als Bundesfinanzminister am 15.05.2020 in einer Bundestagssitzung: „“Ich weiß, was für großartige Leistungen die Männer und Frau-en zustande bringen, die als Schausteller in Deutschland unterwegs sind und irgendwie dazu beitragen, dass eine sehr alte kulturelle Erfahrung, die wir in Deutsch-land haben, auch in Zukunft noch funktioniert. Ich möchte unbedingt, dass alle diese Schausteller und Schaustellerinnen, wenn es wieder los geht, noch dabei sind und das, was ihre Familien seit vielen Generationen machen, auch weitermachen können.“

Wir Schaustellerinnen und Schausteller dürfen mit Recht stolz auf die Männer und Frauen sein, die es geschafft haben, unseren Berufsstand, von dem im Mittelalter diskriminierten, lange nicht durch bürgerliche Gesetze geschützten und von den Sakramenten der Kirche ausgeschlossenen „Fahrenden“, zum modernen mittelständischen Gewerbetreibenden zu entwickeln. Dies wird auch bei der Betrachtung der kleinen Bildgalerie in dieser Ausgabe bewusst werden. Schausteller ziehen nicht mehr mit Pferd und Wagen durchs Land, sondern haben alle einen festen Wohnsitz, wohnen während der Saison meistens in ihren Wohnwagen und im Winter oft im eigenen Haus.
Es interessiert die Menschen, dass etwa 60.000 Schaustellerinnen und Schausteller von der katholischen oder evangelischen Schaustellerseelsorge betreut werden, dass unsere Kinder oft unter dem Dach eines Autoskooters getauft werden oder dort die Erstkommunion oder Konfirmationen zelebriert wird und früher oder später auf ihrer Reise zum letzten „Platz“ begleitet werden.

Die Menschen sind neugierig, wie z.B. der Schulbesuch von Schaustellerkindern abläuft. Sie sind erstaunt, dass fast alle Schausteller in einem oder mehreren der seit dem 19. Jahrhundert bestehenden Vereinen und Verbänden Mitglied sind, die heute auf Bundesebene in zwei Schausteller-Dachverbänden, dem DSB und BSM organisiert sind. Nicht zu vergessen, die vielen bundesweiten Schausteller-Frauenvereine, deren Tradition das „Füreinander“, das „Miteinander“ und das „gesellige Zusammen-sein“ generationsübergreifend auch von den modernen, jüngeren Schaustellerinnen gepflegt und bewahrt wird.

Bewundernswert sind auch die Feste, die Schaustellerfamilien seit Generationen ge-wohnt sind zu feiern. Weniger geworden sind die rauschenden Bälle mit großer Gar-derobe in schönem Ambiente und mit Ehrengästen, die jedem Presse-Ball und der-gleichen hätten standhalten können. Erhalten geblieben sind die Festveranstaltungen bei den Delegiertentagungen der Verbände, die immer in einem Festakt enden.
Eine moderne Form des Zusammentreffens, der Kommunikation außerhalb des Arbeitsplatzes, sind inzwischen die sogenannten „Jugendtreffen“ geworden, die während den großen Volksfesten mit bundesweiter Ausstrahlung stattfinden. Außerhalb der Saison trifft man auch bei sportlichen Turnieren zusammen.

Es fühlt sich für mich gut an, dass Schaustellerinnen und Schausteller trotz der heu-tigen Schnelllebigkeit, der Globalisierung, der Digitalisierung und der Emanzipation der jungen Frauen noch immer am Leben und Arbeiten im Familienverband und an der Wertigkeit der Familie festhalten.

Auch die Besucher*innen der Festplätze schätzen unsere Familienbetriebe, in denen mehrere Generationen gemeinsam die Geschäfte betreiben. Die sogenannten „Privaten“ staunen und bewundern, wie unsere Kinder aufwachsen und früh die Mobilität, die Flexibilität und Improvisationskunst der Eltern als selbstverständlich annehmen. Das Thema „Kita“ ist für Schaustellerinnen und Schausteller nicht von Relevanz. Obwohl in fast allen Schaustellerbetrieben Mann und Frau gleichsam in Vollzeit ihr Geschäft betreiben, werden Babys oder Kleinkinder nicht aus der elterlichen Pflege gegeben. Die Kinder, die unsere Zukunft bedeuten, wachsen in der Familie auf und werden dadurch bereits in jungen Jahren in vielerlei praktische Berufe eingeführt, aber auch in unternehmerischen Wagemut sowie Verhandlungsgeschick im Umgang mit Veranstaltern, Umweltschützern und Kommunen zur Erhaltung der Volksfestkultur.
In den Informationsunterlagen der Einrichtung „Schule auf Reisen“ heißt es z. B. über Schaustellerkinder: „Ihr ‚alltags- und -anwendungsbezogenes Wissen‘ ist wesentlich größer als das von gleichaltrigen Mitschülerinnen und Mitschüler in der Re-gelschule“. Diese Beurteilung zeichnet die Schaustellerkinder aus und erleichtert es ihnen, erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer zu werden.

Die Vielseitigkeit des Schaustellerberufes zeigt nur wenig Grenzen und bietet je nach Fähigkeit und Fleiß viele Möglichkeiten zur Erwerbstätigkeit. Schausteller und ihre Familien haben schon von jeher mit ihrer Kompetenz, ihrer Innovationsfähigkeit in Planung, Konstruktion und Dekoration erheblich zur Technik und kunstvollen Ausstattung der Attraktionen und dem unglaublichen Angebot der kulinarischen Leckereien auf unseren Festplätzen beigetragen. Dies mag auch dazu beitragen, dass in den seltensten Fällen unsere Kinder dem Schaustellergewerbe den Rücken kehren. Außerdem haben sie bis zur Pandemie noch nie Angst um einen Ausbildungsplatz oder den Fortbestand des Gewerbes ihrer Eltern haben müssen. Dieses Vertrauen muss ihnen erhalten bleiben.

Durch den Tod des ehrenwerten Schaustellerkollegen Hans-Otto Schäfer wurde mir vor wenigen Tagen bewusst, wie wenig letztendlich über die Lebenswege der Schaustellerinnen und Schausteller für die kommenden Generationen aufgeschrieben und nachzulesen ist.

Dies möchte ich mir zur Aufgabe für das Jahr 2022 machen. 
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen alles Gute.
Gehend Sie umsichtig mit sich und Ihrer Familie um und bleiben Sie gesund.

© Margit Ramus

 

 

 

 

 

Schreiben Sie uns einen Kommentar

Haben Sie ergänzende Informationen? Über sachdienliche Hinweise freuen wir uns.

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *