Schaustellerbranche im Spiegel der Tagespresse A - Z

1974 Köln Sind Kirmes-Kinder zu beneiden?

Anlässlich des Kölner Frühlingsvolksfestes 1974 beschäftigte sich der Kölner Stadt Anzeiger mit der Frage, ob Schaustellerkinder zu beneiden sind.
Warum wurde für die Presse schnell klar, dass diese Kinder auch benachteiligt sind?
Schaustellerkinder wachsen liebevoll im Kreise der Familie auf, sie werden nicht mit wenigen Monaten bereits in einer Kita untergebracht. Sie sind keine Schlüsselkinder, sondern erleben Familie hautnah mit regelmäßigen Mahlzeiten, Fürsorge und Pflege.
In den Informationsunterlagen der Einrichtung „Schule auf Reisen“ werden Schaustellerkinder wie folgt eingestuft:  „Ihr „alltags- und -anwendungsbezogenes“ Wissen ist wesentlich größer als das gleichaltriger Mitschülerinnen und Mitschüler in der Regelschule“. Diese Beurteilung zeichnet die Schaustellerkinder aus und erleichtert ihnen nicht selten erfolgreiche Unternehmer und Unternehmerinnen im Schaustellergewerbe zu werden. Sie werden die kommenden Träger der Volksfeste sein und auch ihren Kindern wieder die Tradition des Schaustellerlebens weitergeben. Mehr dazu unter: Schule und Ausbildung
Kommentar der Verfasserin © Margit Ramus 

Artikel im Kölner Stadt Anzeiger vom 27/28 April 1974

„Ohne Zweifel sind Kinder, die auf einer Kirmes alles umsonst haben, beneidenswert. Kostenlos Achterbahn, Autoscooter und Riesenrad fahren können allerdings nur die Kinder der Schausteller. Für sie ging jetzt eine lange Wartezeit zu Ende. Auf dem Oster-Volksfest in Köln-Deutz haben ihre Eltern zum ersten Mal nach der Winterpause wieder ihre Bahnen und Buden aufgebaut.

Doch wenn die Kirmes-Kinder Bettina (12 Jahre), Gerd (10 Jahre), Mike (12 Jahre), Rudi (9 Jahre) und Sabine (8 Jahre) erzählen, wird schnell klar, dass sie gegenüber anderen Kindern auch benachteiligt sind.

Einige bleiben bei ihren Eltern, wenn sie im Sommer von Jahrmarkt zu Jahrmarkt ziehen. Mike zum Beispiel. „Wir wechseln jede Woche den Platz, sagt er, „das heißt, dass wir Woche für Woche in einer anderen Schule sind.“ Natürlich ist das ein großes Problem für die Schaustellerkinder und ihre Eltern. Denn unter dem ständigen Schulwechsel leiden die Noten. Mike sagt: „Das können wir nur dadurch wieder aufholen, dass wir im Winter umso mehr arbeiten, wenn wir an einem Ort und in einer Schule sind.“

Ein anderer Teil der Kirmes-Kinder ist im Internat, bei der Oma oder bei Pflege-Eltern untergebracht. Zwar gehen diese Kinder immer in ein und dieselbe Schule, dafür sehen sie ihre Eltern nur an Wochenenden und in den Ferien.

Dann lebt die ganze Familie im Wohnwagen. Platz ist genug, wie Heiko (10 Jahre) sagt: „Küche, Bad, Kinderzimmer und Wohnzimmer, das ist alles wie in einer normalen Wohnung. Die meisten Familien haben sogar Fernsehen.“

Für die meisten Schaustellerkinder steht schon heute fest, dass sie den größten Teil ihres Lebens im Wohnwagen verbringen. Denn sie werden später das Geschäft ihrer Eltern übernehmen. Den Vorsitzenden des Kölner Schaustellervereins, Kleiner überrascht das nicht: „Dieser Beruf wird bei uns Schaustellern vererbt“, sagt er. „So waren schon meine Urgroßeltern Schausteller, und in unserer Familie gibt es noch einen Gewerbeschein von 1869.“  © J. V.

Abschrift vom originalen Zeitungsartikel © Margit Ramus

J.V. Kölner Stadt Anzeiger vom 27./28. April 1974

 

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