In der Mitte der Gesellschaft

Interview mit Albert Ritter Feksch, Timo FAZ vom 25.01.1020

Albert Ritter, der Präsident der europäischen Schausteller, über das Geschäft mit Volksfesten

Herr Ritter, in München findet der Delegiertentag statt. Sie sind dessen Präsident.
Wie kommen Sie zu der Ehre?
Man muss dafür laut Satzung selbst Schausteller von Beruf sein, besser noch: von Berufung. Ich bin in meiner Familie die fünfte Generation. Mein Opa hat noch die schwebende Jungfrau vorgeführt. 1971 sind wir dann in den Ausschank nach Schaustellerart eingestiegen. Im Sommer Biergarten, im Winter Weihnachtsmärkte.

Wer führt nach Ihnen die Tradition fort?
Meine beiden Kinder.

Die wollen in der Branche bleiben?
Fast alle Schaustellerkinder wollen wieder Schausteller werden.

Sie haben keine Nachwuchssorgen?
Wir haben keine Nachwuchssorgen, was die Betreiber anbelangt, aber einen Mitarbeitermangel. Wir brauchen Leute, die Fässer rollen oder Stände auf- und abbauen, nicht nur saisonal, sondern dauerhaft.

Auf welche Art von Leben muss man sich da einstellen?
Die wenigsten Schausteller reisen in ganz Europa herum, die meisten haben eine gewisse Nähe zu ihren Lebensmittelpunkten. Ich bin hauptsächlich im Ruhrgebiet unterwegs. Ich habe Mitarbeiter, die abends nach Hause fahren, aber auch welche, die einen mobilen Sozialraum sprich Wohnwagen, haben. In der Sommersaison muss man sich darauf einstellen, dass man alle 14 Tage in einer anderen Stadt ist.

Was heißt das für schulpflichtige Kinder?
Deutschland ist ein föderaler Staat, gerade im Bildungsbereich. Sehr kompliziert. Wir würden uns da bundeseinheitliche Regeln wünschen, die wir eben auch bundeslandübergreifend reisen.

Was ist attraktiv am Kirmesleben? Man muss arbeiten und dabei auch mit ansehen, wie andere das Leben genießen.
Das ist wie in der Gastronomie. Wenn Sie Wirt aus Leidenschaft sind, haben Sie Freude daran, anderen Menschen Freude zu bereiten.

 Schausteller sehen sich auch Kritik ausgesetzt. Etwa von Tierschützern.
Wir arbeiten kaum noch mit Tieren. Das Pferdereiten, das vielleicht noch ein Dutzend Veranstalter betreiben, wird streng von den Veterinärämtern überwacht.

Wie passen Sie sich den modernen Zeiten an, Stichwort Digitalisierung?
Wir verschließen uns dem nicht, aber wir stellen auch eine Rückbesinnung aufs Traditionelle fest. Denken Sie an die Oldie-Wiesn auf dem Oktoberfest. Auch der moderne Mensch weiß, wenn er jemanden wirklich kennenlernen möchte, ein nettes Mädel oder einen jungen Mann, dann muss er das ab einem bestimmten Zeitpunkt nach wie vor sehr analog anstellen. Was ist denn schöner, als zu einer jungen Dame am Autoscooter zu sagen: Na, fährste mit?

Wie sehr ist das Thema Nachhaltigkeit auf der Kirmes angekommen?
Wir haben grünen Strom, wir haben längst die Umstellung auf LED-Beleuchtung, wir haben Mehrweg und Mülltrennung. Unsere Fahrzeuge stehen die meiste Zeit nur herum. Was die Leute aber nicht wollen, ist Bevormundung. Ich habe Bioglühwein angeboten – der war so gering in der Nachfrage, dass ich es wieder gelassen habe.

Wie sehr ist die Terrorgefahr in den Köpfen der Leute?
Auf den Weihnachtsmärkten werden die Sicherheitspoller mittlerweile als Glühweintische benutzt. Ich finde, das sagt alles.

Kennen Sie den Begriff „Schiffschaukelbremser?“
Ja, das ist aber despektierlich.

Fühlen Sie sich als Berufsstand von der Gesellschaft angemessen gewürdigt?
Viel hat sich zum Positiven verändert. Ich selbst durfte in der Bundesversammlung den Bundespräsidenten mit wählen. Wir erwirtschaften Milliardenumsätze. Alle, die da dranhängen, Taxifahrer, Bäcker, Hoteliers, wissen sehr wohl, dass ohne die 10 000 Volksfeste im Jahr manchem an Wirtschaftskraft fehlen würde. Natürlich hat ein Schausteller eine andere Reputation als ein Apotheker. Schon wegen der großen Klappe, die er haben muss. Aber ich werde permanent eingeladen, um was über mein Gewerbe zu erzählen. Die Zeiten, dass der Gauklerkarren grün angestrichen werden musste, damit die Stadtwache das Stadttor schließen konnte, sind vorbei.
Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 

Abschrift vom Zeitungsartikel Margit Ramus

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Feksch, Timo: Interview mit Albert Ritter –  FAZ vom 25.01.2020