Von 1870 bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Fassaden aller Schaustellergeschäfte mit Zitaten des Barocks, des Rokoko oder mit Jugendstilelementen gestaltet. Sie fanden ihre Vorbilder im Lebensstil der Feudalgesellschaft und in der Ausstattung der Schlossarchitektur im 18. Jahrhundert oder der Festarchitektur des 19. Jahrhunderts, die auch in der bildenden Kunst als Romantische Salonmalerei Mode gewesen ist. Damals hat niemand daran gedacht, die zeitgenössisch dargestellten, oft kokettierenden Damen der damaligen Romantischen Salonmalerei, kritisch zu betrachten.
In den 1950er Jahren hat, zwar etwas verspätet, auch auf den Volksfestplätzen der Umbruch zur „Moderne“ begonnen. Die abstrakte Malerei an vielen Fassaden der Schaustellergeschäfte löste die Gegenständlichkeit ab und geometrische Abstraktionen wurden in zarten Pastelltönen gemalt. Das Lebensgefühl der Nachkriegsgeneration bestimmte die Dekoration der Volksfestarchitektur.
In den 1960er Jahren erfolgte zunächst kein Wandel im Dekorationsstil, sondern nur eine Erweiterung der Themen in der bildhaften Gestaltung. Die neuen Karussellkonstruktionen, wie Bobbahnen, Sprungschanze, Bayernkurve oder Schlittenexpress wurden in Bezug zu den Winterspielen in Campino d’Ampezzo von 1956 gesetzt und mit verschneiten Landschaften bemalt. Auf eine Beleuchtung mit Neonröhren wurde verzichtet; stattdessen wurden die Konturen der Schmuckdachkanten und bei den offenen Rundfahrgeschäften die Rückwände mit Lichtleisten akzentuiert. Die Formen der Schmuckdachkanten von Autoskootern wurden ausgeprägter, zeigten konvexe oder konkave Schwingungen und waren bemalt mit geometrischen, insbesondere rautenförmigen Mustern.
Bei den Rundfahrgeschäften in Skelettbauweise konnte eine durchgängige Anlehnung an Luft- und Raumfahrt in der dekorativen Gestaltung festgestellt werden.
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zog dann die neue Welle der Flower-Power-Idee in die Dekoration der Karussells ein. Zeitgenössische Darstellungen junger Menschen, darunter waren Hippies oder Blumenmädchen, die sich von den Zwängen der älteren „verstaubten Gesellschaft“ befreien wollten, sie schmückten die Schmuckdachkanten der Karussells. Von den Pastelltönen der 1950er Jahre wechselte man zur Polychromie.
Auf den Fassaden der Lauf- und Belustigungsgeschäfte wurde erstmalig das bayrische Lokalkolorit auf eine humorvolle und klischeehafte Weise assoziiert. Vorlagen boten in der Vergangenheit und in der Gegenwart Illustrationen und Postkarten mit comicartigen Zeichnungen, auf denen nicht selten Männer mit großen Bierkrügen und hübsche Bäuerinnen in Trachtenkleidung dargestellt sind.
In den 1970er Jahren setzte sich die Gleichzeitigkeit verschiedener Stile der Dekoration fort. Neben der Flower-Power-Idee wurde auch die Musikszene thematisiert. Neu waren daneben die futuristische Form und Bemalung der Karussells. Bei den Lauf- und Belustigungsgeschäften begann die Thematisierung der Welt der Mayas und Pharaonen.
In der Baureihe von großen Schaukeln lieferten Abenteuer- und Piratenfilme der Weltliteratur die Vorlagen zur Gestaltung. Auch die bereits aus dem 17. Jahrhundert in der Kunst der Niederlande bekannte Marinemalerei fand ihre Verwendung auf den Fassaden von Schaustellergeschäften.
In den 1980er Jahren etablierten sich auf den Fassaden von Schaustellergeschäften auch collageartige Elemente aus Surrealismus, Pop Art, Fotorealismus und Street Art nebeneinander, vergleichbar mit den Werken von Malern der Neuen Leipziger Schule, wie beispielsweise Neo Rauch oder anderen Vertretern der gegenständlichen Malerei nach 1945. Zu nennen sind hier besonders der magische Realismus und die narrative Figuration.
Die Szenendarstellung der kulissenbauartigen Fassaden fanden bereits 1984 beim Break Dancer des Herstellers Huss Anwendung. Der Name Break Dancer stand in Bezug zu dem gerade in den Kinos anlaufenden Film „Breakdance Sensation 84“, der eine neue akrobatische Tanzform thematisierte. Schon bald übernahmen unterschiedliche Künstler die Bemalung dieser Baureihe. Darunter war auch Jacques Courtois, der bis 1993 unzählige Rückwände von offenen Fahrgeschäften aus dem Hause Huss in seinem Atelier in Paris malte.
Die afaw-Maler verzichteten in ihren figürlichen, geschlossenen Szenendarstellungen weitgehend auf eine perspektivische Anordnung. Die Malerei auf den kulissenartigen Fassaden wurde flächig und in kräftigen bunten Farben ausgeführt.
Der Franzose Jacques Courtois malte ähnliche Motive, aber mit einer erstaunlichen räumlichen Tiefe, wie man sie von den Zirkusdarstellungen von Edgar Degas kennt. Die einzelnen Szenen seiner Rückwandbemalung verschmolzen mit fließenden Farbverläufen zu einer Einheit, wie es auch in der klassischen Kunst bei James Rosenquist oder Neo Rauch zu sehen ist. Bei Beiden, afaw und Courtois, drängt sich der Vergleich mit Pop-Art-Künstlern wie James Rosenquist, Tom Wesselmann oder Malern wie Alex Katz auf.
Daneben wurden auf den Fassaden der neuen Lauf- und Belustigungsgeschäfte der Orient, der Horror, die Geister, die Psyche und Katastrophen thematisiert. Viele der Dekorationsmalereien griffen populäre Kino- und Fernsehfilme auf.
Kunsthistorisch hat die deutsche Volksfestkultur eine eigene Ästhetik entwickelt, aber dennoch sind immer wieder Vergleichbarkeiten zur zeitgenössischen, traditionellen Bildenden Kunst zu erkennen.
Aber der Vergleich zur bildenden Kunst, nimmt uns nicht die Verantwortung die Malereien auf den Fassaden der Schaustellergeschäften mit Bedacht nach eventuellen sexistischen Darstellungen zu untersuchen und, wo sie möglicherweise vorkommen, zu korrigieren. Denn Volksfeste sind keine Museen, sondern Orte des fröhlichen Beisammenseins.
© Margit Ramus