Hersteller & Konstrukteure A - Z

Siebold Teil II

Tarantella © Sammlung Siebold & Pfennig

Firmendaten
Franz Siebold 1885-1916
Friedrich Wilhelm Siebold 1885-1944

Friedrich Wilhelm Siebold:
Konstrukteur, Hersteller und Betreiber von Schaustellergeschäften sowie Schausteller.

Einer der ganz Großen. Friedrich Wilhelm Siebold war ein erfolgreicher Betreiber von Schaubuden der unterschiedlichsten Genres. Er war ebenfalls ein brillanter Konstrukteur, Organisator und Schausteller. Sein Vater, Franz Siebold, hatte das mit Karussells und Wanderkinos erwirtschaftete Geld in den Kauf von Grundstücken und Immobilien investiert.
Friedrich Wilhelm dagegen steckte sein Geld immer wieder in Import, Konstruktion und Bau von Schaustellergeschäften. 
Es begann 1910 mit seiner ersten selbstgebauten Figur-8-Bahn. Schon damals streckte Siebold seine Fühler nach der Teilnahme an ganz großen Volksfesten aus. Das größte Volksfest der Welt, die Münchner Wiesen, lag für ihn noch in weiter Ferne. Zunächst musste er dem Erfolg von Mitbewerbern zusehen. (Abb. 1)

Abb. 1 Figur-8-Bahn 1911 © Sammlung Siebold & Pfennig

Bis zum Ausbruch des Krieges reiste Friedrich Wilhelm Siebold gemeinsam mit seiner neu gegründeten Familie, mit der Figur-8-Bahn und seiner ersten Schaubude. Darin präsentierte er dem Publikum auf dem Bremer Freimarkt, Hamburger Dom und anderen großen Volksfesten die in den USA so erfolgreichen Schau „Lionel der Löwenmensch“.
Dann begann der Erste Weltkrieg und er wurde als Offizier eingezogen.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs

Aus dem Krieg heimgekehrt stand Siebold bereits ab 1919 mit seiner Figur-8 Bahn auf dem Bremer Freimarkt und auch auf dem Oldenburger Kramermarkt. (Müller, Günter: Der schöne alte Oldenburger Kramermarkt. 1982 S. 168
Außerdem hatte er die Karussells seines Vaters übernommen und hielt schon bald die ersten Plätze.
Mit den aus dem Krieg heimgekehrten Angestellten seiner Bremer Karussellbaufirma, baute er neue Schaubuden mit gewaltigen Fassaden, außerdem das gesamte Wagenmaterial wie Pack-, Wohnwagen, Kassenhäuser und die Spezialwohnwagen für die Kleinwüchsigen und seine übergroßen Menschen.
Wie es mit seinen Schau- und Belustigungsgeschäften weiterging wurde bereits in Teil I in Der Komet vom 10.10.2020 berichtet.
Als Konstrukteur und Schausteller hatte Friedrich Wilhelm Siebold jedoch auch noch andere Pläne.

1921 Szenerie-Bergbahn

1920 nahm Siebold Verbindung zu Heinrich Mack auf. Siebold hatte inzwischen die Pläne und Konstruktionszeichnungen für eine Szenerie-Bergbahn fertiggestellt. (Abb. 2)
In Waldkirch und Umgebung gab es ein hohes Holzvorkommen und Mack hatte langjährige Erfahrung mit der Holzverarbeitung.
Gemeinsam mit der Firma Mack wurde auf deren Firmengelände in Waldkirch die erste transportable „Szenerie-Bergbahn“ gebaut und 1921 fertiggestellt. Belegt sind das Bildmaterial des Entwurfs von Siebold sowie eine Vielzahl an Fotos der Dekoration und der fertigen Achterbahn in Betrieb. (Abb. 3)

1920er Jahre Teufelsrad
Wahrscheinlich hatte Siebold das Teufelsrad von Carl Gabriel das erste Mal 1908 auf dem Münchner Oktoberfest gesehen. Damals löste die „Wiesn-Neuheit“ bei Jung und Alt große Begeisterung aus. Bald gab es viele Nachbauten. Auch Siebold baute dieses erfolgreiche Belustigungsgeschäft nach, wie die Abbildung des wandernden Luna-Parks von Siebold aus den frühen 1920er Jahren zeigt.

Anfang der 1920er Jahre „Wandernder Lunapark“
Das überlieferte Bildmaterial zeigt Friedrich Wilhelm Siebold mit seinen Geschäften auf vielen großen bekannten Volksfesten in Deutschland.
Daneben baute Siebold einen Teil seiner Geschäfte in seinem eigenen „Wandernden Luna-Park“. Das Gelände z.B. in Düsseldorf oder in Bremen war eingezäunt und konnte nur durch ein riesiges Eingangstor betreten werden. Auf dem Foto sind auch das Teufelsrad und weitere Rundfahrgeschäfte zu sehen. (Abb. 4)

Abb. 4 Siebold‘ s Luna-Park © Sammlung Siebold & Pfennig

1924 The Whip – Peitsche
1924 importierte Siebold aus den USA die Neuheit „The Whip“.
Er hatte das Geschäft auf Coney Island gesehen. Für den Nachbau in seiner Bremer Firma erwarb Siebold das Patent von dem Amerikaner W. F. Mangels.
Er verbesserte die Konstruktionspläne und ließ sich das Ergebnis patentieren, so konnte er sich gegen die Konkurrenz schützen.
„The Whip“, in Deutschland „ Die Peitsche“ genannt, war das einzige Karussell mit einer ovalen Rundbewegung. Ein endloses Seil mit 12 Stahlarmen mit Drehgelenken lief über zwei große Scheiben. An den Gelenken waren 12 Wagen befestigt, die während der Fahrt in alle Richtungen schleuderten. Dering, Florian: Volksbelustigungen. München 1986. S. 96)
Das neue Schleuderkarussell, die Peitsche von Siebold, rief zum Bremer Freimarkt 1924 eine wahre Revolution im Vergnügungsgewerbe hervor. (Peters, Fritz: Freimarkt in Bremen Geschichte eines Jahrmarkts. Bremen 1962. S. 128) (Abb. 5,6 u.7)

1925 Rigi – Turmbahn
Der Zeitpunkt der Entstehung der nächsten Achterbahn von Siebold wirft Fragen auf. Abbildungen zeigen eine Rigi-Bahn aus dem Jahre 1925. (Abb. 8)
Die originale Rigi-Bahn war 1875 im Rigi-Gebirge am Vierwaldstättersee in der Schweiz als erste Bergbahn Europas eröffnet worden. 1923 und 1925 wurde dort die ersten Dampflokomotiven eingesetzt. Dies kann Inspiration für Siebold gewesen sein, eine gleichnamige Bergbahn als Turmbahn zu bauen.
In der Literatur, z.B. bei Dering oder Thoma, ist zu lesen, dass Siebold 1927 bei Mack eine Turmbahn habe bauen lassen.
Irrtümlich bezeichnet Thoma die Auftragsfirma als Siebold & Herhaus. Der Zusammenschluss von Siebold & Herhaus kann jedoch erst 1929 erfolgt sein. Denn auf den vielen Abbildungen der Geschäfte ist bis zum Ende der 1920er Jahre nur der Firmenname „Siebold“ zu sehen; sie weisen ihn damit als alleinigen Eigner aus. (Thoma, Willi: Faszination Karussell- und Wagenbau Mack. Waldkirch 1988. S. 243)
Unabhängig davon, ob das Baujahr 1925 oder 1927 war, erwies sich der Auftrag für die Firma Mack in diesen Jahren der Wirtschaftskrise als ein Glücksfall. Für Friedrich Wilhelm Siebold hatten sich ebenfalls finanzielle Schwierigkeiten ergeben. Täglich wurde das Geld weniger wert. Die Rettung kam aus der Schweiz. Der Schausteller Weidauer stieg als Kompagnon in das Projekt Rigi-Turmbahn ein.
Thoma schreibt in seinem Buch über die Firma Mack, dass der Teilhaber aus der Schweiz jedes Wochenende nach Waldkirch gekommen sei und die erwünschten „Fränkli“ abgeliefert habe. Dafür habe die Firma Weidauer die Bahn drei Jahre lang für die Basler Mess‘ ausgeliehen bekommen. (Thoma, 1988. S. 242)
Siebold beaufsichtigte persönlich den Bau der Turmbahn und wohnte während der gesamten Bauphase in Waldkirch in der Gaststätte Kniebühler. Dort übernachteten später, in den 1970/80er Jahren, noch immer die Schausteller, sobald der Bau ihrer Geschäfte bei Mack in die Endphase gegangen war. Während ihres Aufenthalts planten und bauten die Schausteller meist selbst die Verladeeinrichtung in den Packwagen. Beim Auf- und Abbau sowie Transport hat auch heute noch jedes Einzelelement eines Karussells oder eines anderen Geschäftes seinen festen Platz. Das erleichtert den Ab- und Aufbau und ist Grundlage für den schadensfreien Transport einer Anlage.

Anfang der 1930er Jahre gibt es Bildmaterial von der Turmbahn mit der Schrift Siebold & Herhaus. (Abb. 9)
Um die Geschichte der Rigi-Turmbahn zusammenhängend darzustellen, wurde an dieser Stelle in der Chronologie etwas vorgegriffen.
Der genaue Zeitraum, wann die Rigi-Turmbahn nach Stockholm in den Tivoli ausgeliehen worden war, ist nicht bekannt.
Überliefert ist, dass dort am 23.03.1935 ein Großbrand ausbrach. Die Turmbahn wurde stark zerstört. Nach den Löscharbeiten begann vor Ort sofort der Wiederaufbau. Noch im gleichen Jahr konnte die Turmbahn wieder in Betrieb genommen werden.
Bevor die Achterbahn nach Deutschland zurückgeholt werden konnte, brach der Zweite Weltkrieg aus. Das Geschäft wurde 1939 unverzüglich von den Schweden beschlagnahmt.

Erst 1957 gelang es Medy Siebold mit Hilfe von Konrad Adenauer die Rückgabe zu erzwingen. Nachdem festgestellt worden, dass die Kosten der Rückführung nach Deutschland dermaßen hoch waren, entschied man die Turmbahn wurde vor Ort zu verkaufen.
Medy Siebold erhielt außerdem von den Behörden eine großzügige Entschädigung für die Enteignung und den jahrelangen Umsatzverlust. (Abb. 10)

Zurück in die 1920er Jahre

1926 Autoskooter
1926 importierte F. W. Siebold einen Autoskooter aus den USA. Hugo Haase hatte zuvor den Wilden Esel und die Wellenbahn konstruiert, aber das Interesse der Volksfestbesucher dafür ließ bald nach. Peters schrieb 1962:
„Die Wellenbahn […] war jedoch nicht mehr rentabel, als der Skooter aufkam. Dieses noch heute so beliebte, elektrisch angetriebene Vergnügungsgeschäft hat in Bremen F. W. Siebold zum Freimarkt 1926 eingeführt. Mit dem Ruf: ‚Jeder sein eigener Chauffeur ohne Führerschein‘ lud er die Marktbesucher zu dem ‚originellsten Autosport‘ ein.“ (Peters 1962. S. 129)

Die Firma Fritz Bothmann hatte Anfang der 1920er Jahre den Autoselbstfahrer entwickelt und vertrieb ihn schon über die Grenzen Deutschlands hinaus.
Vielleicht war es damals besonders schick ein Fahrgeschäft aus den USA zu importieren? Vielleicht erhoffte sich Siebold durch das ebenfalls erworbene amerikanische Patent den Nachbau und den Vertrieb dafür in Deutschland zu starten?

1926 Benzinbahn   
Sicher ist, dass Siebold den rechten Kurs einschlug als er anstelle von Autoskootern ein Autodrom entwickelte, obwohl auch Fritz Bothmann dieses neue Selbstfahrergeschäft plante.
Siebold stand jedoch schon 1927 mit seinem Autodrom auf dem Bremer Freimarkt.
Der Baukörper des Autodroms von Siebold glich erstaunlicherweise extrem der von Bothmann rausgebrachten langgestreckten Halle seiner Avus-Bahn. Bei beiden wurden der Dachstuhl von einem umlaufenden Stützenkranz getragen und dem flachen, oval geschnittenen Walmdach ein Oberlichtband aufgesetzt. Auch die Sockelzone war ähnlich mit einer geschwungenen Umzäunung geschlossen. (Abb. 11)
Auf einer umlaufenden Fahrbahn konnten mit Benzin angetriebene Rennautos gefahren werden. Die Funktionalität führte schon bald darauf zu dem Namen Benzinbahn. Später von Mack als Gokart-Bahn bezeichnet.

Kurz darauf setzte Siebold seiner zweiten Benzinbahn eine andere Dachform mit einer Dachkante und einem Schriftband auf. Mit dieser Bahn stand Siebold 1938 zum Weihnachtsmarkt in Berlin vor dem Bellevue. (Abb. 12)

1927 Nürburgring
Friedrich Wilhelm Siebold hatte genau wie sein Vater das Gespür für den Zeitgeist und eine glückliche Hand in seiner gesamten geschäftlichen Tätigkeit.
1921 war die „Automobil-Verkehrs- und Übungsstraße – AVUS – Berlin“ eröffnet worden und mit der Eröffnung begann der internationale Motorsport.
1927 baute Friedrich Wilhelm Siebold die Autorennbahn „Nürburgring“. Die Menschen waren begeistert von der Möglichkeit ein eigenes Rennauto unter freiem Himmel fahren zu dürfen. Im Gegensatz zum Autoskooter, wo der Spaß des Zusammenstoßens beabsichtigt war, bestand bei den Autorennbahnen der Reiz in einem sportlichen Autorennen. (Abb. 13 u.14)

Betrachtet man die Entwicklung des Bautypus der Autorennbahnen im Schaustellergewerbe von Bothmann, Siebold und Mack, kann man unweigerlich einen Bezug zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte im internationalen Rennsport feststellen.

1927 Original – Opel – Bahn
1927 entwickelte Siebold noch immer unter dem Firmennamen „Siebold“ eine „Opel – Bahn“. Auf einer großen Fahrbahn konnten die Volksfestbesucher ein Original-4-PS-Opel-Kleinauto fahren und selbstständig steuern. (Dering 1986. S. 131) Die Werbetour durch Breslau löste bei den Zuschauern am Straßenrand wahre Begeisterungsstürme aus.
(Abb. 15 u.16)

„Die zunehmende Technisierung, die ab 1923 in Bremen auch durch die Großbetriebe des Schiffbaus, der Automobil- und Luftfahrtindustrie (AG Weser, Hansa-Lloyd/Borgward, Focke-Wulf etc.) bedeutende Leistungen ermöglichte, prägte nachhaltig auch die Fahrgeschäfte auf dem Freimarkt. So präsentierte etwa Friedrich Wilhelm Siebold seine „Opel-Bahn“, bei der die Fahrgäste die damals für den „normalen Mann“ unbezahlbaren Automobile selbst fahren konnten. Es war ein sehr personalaufwändiges Geschäft, da jedes Auto einen Chauffeur hatte, der die Fahrfehler der Kundschaft korrigieren musste.“ (König, Johann-Günther: Der Bremer Freimarkt. Bremen 2011. S. 77)

1928 Reisen in die USA
Friedrich Wilhelm Siebold nutzte seine Verbindungen zu Coney Island, reiste mehrmals in die USA und brachte neue Ideen aus dem Ausland mit. Ein vorliegender Auszug aus der Passagierliste der Auswanderer-Behörde Bremerhaven belegt, dass Siebold am 25.11.1928 mit seiner Frau Luise Siebold auf dem Riesendampfer „Columbus“ in New York eintraf. Das Ehepaar hatte eine Einladung von der Luna-Park Company Coney Island bekommen. Wie lange die beiden dort blieben, ist bisher nicht nachweisbar.

1930er Jahre
Außer den Selbstfahrergeschäften baute Friedrich Wilhelm Siebold in seiner Bremer Karussellbaufirma eine Vielzahl an Belustigungsgeschäften (Zauberflöte, Heinzelmännchen, Verzaubertes Schloss u.a.) und auch andere Fahrgeschäfte. Zum Beispiel zwei Riesenräder, ein Kreiselkarussell – Tarantella und ein Teufelsrad.
(Abb. 17,18 u.19)

1930er Jahre Riesenräder
Schaut man sich die überlieferten Fotos an, bemerkt man, dass es sich um zwei verschiedene Riesenräder handelt. Das Columbia-Rad  und das Olympia-Rad. Das Columbia-Rad hatte eine Höhe von 24 Metern und 16 Gondeln. Es stand 1935 und 1939 auf dem Bremer Freimarkt. (Peters 1962 S. 130)

Ein weiteres Foto belegt, dass das Olympia -Rad  von dem Geschäftsführer Heiner Froitzheim und seiner Frau betrieben wurde. Die Abbildungen zeigen aber auch, dass die Räder nicht nach deutschen Plänen von Bothmann oder Gundelwein gebaut worden war. Siebold hatte die Pläne von Coney Island mitgebracht und die Riesenräder in Bremen nachgebaut. (Abb. 20)

1930er Jahre Tarantella

Auch das Karussell Tarantella war in den 1930er Jahren von Siebold nach amerikanischen Plänen nachgebaut worden. In den 1950ern, baute Mack den Calypso in ähnlicher Bauweise jedoch mit einer einzelnen Scheibe. Bei näherer Betrachtung erinnert die Konstruktion jedoch auch an die Raketenbahn aus der Nachkriegszeit. (Abb. 21)

1930er Jahre Tarantella Siebold © Sammlung Siebold & Pfennig

1930er Jahre Sturzbomber > Hammer
1934 hatte Siebold ein Überkopfflugobjekt von dem der Amerikaner Lee Ulrich Eyerly aus Salem (Oregon) erworben. Aufgrund der Form entschied man sich in Deutschland für den Namen „Hammer“. In den beiden mit Blech verkleideten Gondeln konnten jeweils nur zwei Personen befördert werden. (Abb. 22)
Ob Siebold den Hammer in seiner Karussellbaufirma nachbaute ist wegen der geringen Kapazität eher unwahrscheinlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg betrieb die Kölner Schaustellerfirma Willi Kleiner noch einen Hammer. Die Entwicklung wurde in Deutschland nicht weiterverfolgt. Erst 1980 konstruierte die Firma Huss, ebenfalls aus Bremen, ein Überkopfkarussell, den Ranger.

1931 „Traumland in der Schönholzer Heide“
Siebold schloss auch Partnerschaften mit Schaustellerkollegen. 1931 eröffnete er mit seinem Münchner Partner Josef Ruprecht den Vergnügungspark „Traumland in der Schönholzer Heide“. Dieser Luna-Park bestand nur drei Monate.
Im Jahre 2020 werden moderne Luna-Parks als „Pop Up Veranstaltungen“ in die Volksfest-Geschichte eingehen.

Der Großunternehmer Friedrich Wilhelm Siebold

Bei Durchsicht des Bildmaterials fiel auf, dass F. W. Siebold fast immer in Anzug, weißem Hemd und Krawatte auftrat. Keins der Bilder zeigt ihn in Arbeitskleidung.
Aus heutiger Sicht sei die Frage erlaubt, wie hat Friedrich Wilhelm Siebold ein so großes vielseitiges Unternehmen leiten können?
Siebold war Eventmanager für seine großen Schaugeschäfte, Völker- und Tierschauen.
Er war Konstrukteur und Hersteller von neuartigen Fahrgeschäften und Belustigungsgeschäften. Außerdem beschickte er als Schausteller namhafte Volksfeste von Hamburg bis München mit Achterbahnen und Karussellneuheiten.
Er besaß sogar einen eigenen Verlag in Bremen, wo er sein Briefpapier und unzählige Postkarten seiner Geschäfte drucken ließ. Friedrich Wilhelm Siebold wohnte meist im Wohnwagen und ließ sich von seinem Chauffeur zu den einzelnen Veranstaltungen bringen. (Abb. 23)

Die erfolgreiche Führung dieser unterschiedlichen Unternehmen konnte ihm nur mit Hilfe seiner Frau Luise und kompetenten Geschäftsführern wie Franz Barber, Otto Hirsch, Wilhelm und Fritz Herhaus, Heiner Froitzheim und sicherlich noch anderen gelingen. Anfangs waren die von der Reise stammenden Mitarbeiter scheinbar nur Geschäftsführer, später wurden sie möglicherweise Teilhaber der einzelnen Geschäfte.
Zum Beispiel wurde Fritz Herhaus Ende der 1920er Jahre Teilhaber der Figur-8-Bahn. Hermann Froitzheim fuhr zunächst mit dem Riesenrad später mit der Szenerie-Bergbahn, die nach dem Zweiten Weltkrieg bei Mack umgebaut worden sein soll. Die Gebrüder Hirsch sieht man auf den Fotos immer wieder auf den Benzinbahnen.
Friedrich Wilhelm Siebold soll auch zahlreiche Anzeigen in die Schausteller-Fachzeitschrift „Der Komet“ gesetzt haben und dort für seine Schaugeschäfte und Autobahnen auf den Firmennamen Siebold, später für die Achterbahnen unter dem Namen „Siebold & Herhaus geworben haben.

1934 – 1944 Der Privatmann Friedrich Wilhelm Siebold

1934 starb Friedrich Wilhelms Ehefrau Luise Siebold, geborene Einecke, an einem Gehirntumor.

Durch einen Zufall lernte der Witwer 1935/36 Medy van der Huck kennen. Ihr Vater war Schiffer und ihre Mutter betrieb eine Fischküche.
Medy war Ballettmeisterin. Aufgrund einer Verletzung musste sie ihre Tätigkeit am Theater unterbrechen. Eine Freundin vermittelte ihr eine Stelle als Tanzlehrerin für die „Liliputaner“-Truppe bei Siebold.

Willy Siebold und die junge Frau verliebten sich und heirateten 1937. Auch die zweite Frau brachte ein Kind mit in die Ehe. Ein Mädchen namens Elisabeth. Sie wuchs gemeinsam mit zwei weiteren gemeinsamen Kindern, Hildegard und Wilfried auf. Später adoptierte Siebold die erste Tochter seiner Frau und Elisabeth, die Kleinwüchsige.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde Friedrich Wilhelm Siebold krank.
Wegen seiner Herzerkrankung zog die Familie bereits 1942 von Bremen in die Nähe eines Herzspezialisten nach Wiesbaden-Biebrich in der Richard-Wagner-Straße. Am 19. März 1944 starb Friedrich Wilhelm Siebold dort im Alter von 64 Jahren an einem Herzinfarkt.

Medy Siebold wollte ihren verstorbenen Mann unbedingt nach Bremen zurückbringen. Eine Überführung war im letzten Kriegsjahr nicht mehr möglich. So organisierte sie ein Fuhrwerk, ließ den Sarg aufladen und erreichte mit ihrem Mann im Sarg, ihren Kindern und ihrem Hauspersonal den Frankfurter Bahnhof und den letzten Zug, der Frankfurt verlassen sollte. Nur wenige Stunden später wurde der Frankfurter Bahnhof durch einen Luftangriff zerstört. So konnte Friedrich Wilhelm Siebold noch in seiner Wahlheimatstadt Bremen beerdigt werden.

Nach der Beerdigung kehrte sie nach Wiesbaden zurück. Sie bliebt dort bis nach Kriegsende bis die elegante Villa in Wiesbaden-Biebrich von den Amerikanern besetzt wurde.
Dann kehrte die Witwe Medy Siebold nach Bremen zurück,

1945 der Zweite Weltkrieg ist zu Ende

Medy Siebold versuchte in Bremen das Unternehmen ihres Mannes nach Kriegsende wiederaufzubauen.
Erschwert wurde das Vorhaben durch die beiden Geschäftsführer Franz Barber, der vor dem Krieg mit Zauberflöte gereist war, und Otto Hirsch. Sie hatten Anteile von Siebolds Vermögen geerbt und konnten keine Einigung miteinander finden.
In guter Erinnerung ist der Tochter Hildegard Pfennig, dass ihre Mutter, die damals noch sehr junge und unerfahrene Medy Siebold, dazu nicht aus dem Schaustellergewerbe kommend, es anfangs nicht leicht hatte, sich in der Familie ihres Mannes und im Umgang mit den vielen Geschäftsführern durchzusetzen. Otto Hirsch habe ihr jedoch, trotz der Einwände seiner Ehefrau Anni, in den schweren Zeiten viel geholfen.

Das überlieferte Bildmaterial zeigt, dass die Geschäftsführer einen Teil der Geschäfte in Eigenregie übernahmen, anfangs noch unter Siebold & Herhaus, später verschwand der Name Siebold.

1945 Die Figur-8-Bahn im Frankfurter Zoo

Am 15. Juli 1945 hatte Prof. Bernhard Grzimek den Frankfurter Zoo schon wiedereröffnet. Um den Menschen nach dem langen Krieg wieder Freude zu bringen und den Tierpark attraktiv zu machen, wurde auf dem Gelände des Tiergartens ein Vergnügungspark durch Frankfurter Schausteller eingerichtet. Auch Lulu Herhaus bekam einen Platz für die Figur-8-Bahn von Siebold & Herhaus. Sie stand dort von 1945 bis 1948.
Die Frage, wie die Abwicklung der Eigentümerverhältnisse der Achterbahn nach dem Tod von Friedrich Wilhelm Siebold abgelaufen ist, kann nicht konkret beantwortet werden. Es ist möglich, dass Lulu Herhaus nur als Frankfurter Schaustellerin einen Platz im Zoo bekommen hat und deshalb den Namen Siebold entfernt hatte. Dies war zeitweise eine durchaus gängige Praxis bei Schaustellern. Dazu würde ein Plakat aus dem Jahre 1945 passen. Professor Bernhard Grzimek machte kurz nach Ende des Krieges Reklame für den Zoo mit folgendem Hinweis:

„Die einzige Achterbahn, die in Westdeutschland noch übriggeblieben ist, steht jetzt im Zoo.“
Einen Firmennamen ließ er weg. Es ist unwahrscheinlich, dass Lulu Herhaus die Familie Siebold in den ersten vier Wochen nach Kriegsende ausgezahlt hat und die Familie Herhaus von nun an alleinige Inhaberin der Achterbahn war. Der eine Firmeninhaber war ein Jahr zuvor gestorben und sein Kompagnon, Fritz Herhaus war noch bis 1948 in Gefangenschaft.

Plakat © Sammlung Froitzheim

 

 

Die Tochter Hildegard Pfennig vermutet, dass Lulu Herhaus die Übernahme ohne weitere Konsequenzen alleine durchgeführt hat. Dies würde zu den Anfangsschwierigkeiten von Medy Siebold passen, ist jedoch rein spekulativ. Möglich ist, dass Medy später ihren Anteil bekommen hat.

Wie bereits berichtet, kam Fritz Herhaus erst 1948 aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause. Schon bald danach ließ sich das Paar scheiden. Fritz Herhaus starb am 23.08.1973.
Lulu Herhaus saß als „Grande Lady“ noch viele Jahre in der Kasse der Himalaya-Bahn. Sie starb am 12.02.1996 in Frankfurt.

Wie ging es weiter mit Medy Siebold und ihren Kindern?
Ab 1947 beschickte Medy Siebold mit den Geschäften Tarantella, der Szenerie-Bergbahn, dem Nürburgring, den Laufgeschäften Zauberflöte und der Völkerschau als „Hawaii-Schau“ bereits wieder Volksfestplätze. Die „Hawaii-Schau“ füllte drei Jahre lang die Kassen.

Ein großer Erfolg gelang ihr auch mit den „Liliputanern“ und der „Däumlings-Schau“. Medy hatte den kleinsten Menschen der Welt, der ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen wurde, unter Vertrag, den 1955 verstorbenen Walter Böing (57-63cm).
Dieses große Schaugeschäft vermittelte Medy Siebold auch für Tourneen nach Belgien, Dänemark, Norwegen, in der Schweiz und sogar nach Afrika. Sie selbst begleitet „Truppen“ von etwa 12 Personen nach Dänemark, Finnland, Griechenland, Italien und Marokko.

Mit den Jahren verkaufte sie die Fahrgeschäfte, die den Zweiten Weltkrieg überstanden hatten, an ihre ehemaligen Geschäftsführer.

Erst 1957 gelang es Medy Siebold mit Hilfe von Konrad Adenauer die Rückgabe zu erzwingen. Nachdem festgestellt worden, dass die Kosten der Rückführung nach Deutschland dermaßen hoch waren, entschied man die Turmbahn wurde vor Ort zu verkaufen.

Nach der „geplatzten“ Rückführung der „größten europäischen Achterbahn“ aus Schweden nach Deutschland schloss Medy Siebold 1957 die Firma Friedrich Wilhelm Siebold. Wie bereits geschrieben hatte Medy Siebold von den Behörden eine großzügige Entschädigung für die Enteignung und den jahrelangen Umsatzverlust erhalten.
Nach der Auflösung der Firma Siebold wurden einige von „Siebolds Däumlingen“ von der Firma Schneider in den Freizeitpark Haßloch übernommen.

Medy Siebold zog sich nach Bremen zurück. Dort lebte sie viele Jahre, zwei Jahre vor ihrem Tod holte die Tochter sie nach Bremerhaven in eine Seniorenresidenz bis zu ihrem Tod im Jahr 1991. Der gemeinsame Sohn von Friedrich Wilhelm und Medy Siebold, Wilfried Siebold (1942-2019), hatte nie etwas mit der Reise zu tun. Er schlug einen anderen Lebensweg ein. Er studierte zuerst Informationsästhetik und im Anschluss Lehramt für Kunst und Technik. Daneben arbeitete er als freischaffender Künstler. Er starb 2019 in Bremen.

Wie bereits erwähnt, habe ich gemeinsam mit der heute noch lebenden Tochter von Friedrich Wilhelm Siebold, Hildegard Pfennig, diese Biografie erstellt. Hilfreich waren ihre vielen Dokumente und ihr Bildmaterial.
Manche Informationen sind jedoch auch irreführend. zum Beispiel zur Familienaufstellung. Max Stopp schreibt in seinem 1999 erschienenen Buch: „Sensationen – Attraktionen an Jahrmarkt und Chilbi“, dass der 1870 in Herford geborene Heinrich Frentzel, 1905 Hedwig Siebold geheiratet hatte. Das Paar ließ sich in Biel (Schweiz) nieder und reiste mit einer Tunnelbahn. Die Recherche im Einwohnermeldeamt von Biel ergab, dass Hedwig am 06.09.1908 geboren war. Sie hatte eine Schwester Franziska (geb.09.01.1918) und einen Bruder Julius-Wilhelm- Heinrich Siebold der am 20.01.1914 geboren war und früh starb. Max Stopp bringt diese Familie mit der Essener Familie Siebold zusammen. Aber es ist eindeutig nur eine Namensgleichung und keinerlei familiäre Bindung nachweisbar. Bei telefonischer Rücksprache mit Max Stopp konnte er sich leider nicht mehr erinnern.

Zahlreiches Bildmaterial zu den einzelnen Geschäften finden Sie in folgenden Dateien:

Achterbahn 1911 Figur-8-Bahn
Achterbahn 1925 Rigi-Turmbahn
Achterbahn 1921 Szenerie-Bergbahn
1908 Teufelsrad
1924 The Whip – Die Peitsche
1926 Benzinbahn – Autodrom
1927 Benzinbahn – Nürburgring
1927 Opel – Bahn
1930 Tarantella
1930 Siebolds Riesenräder 
1930er Jahre Sturzbomber-Hammer

Siebolds „Liliputaner“ 
Siebolds Schaubuden
Siebolds Tierkindergarten

Anmerkung: Es war mir eine große Freude die bereits zusammengetragenen Informationen der Quellen, die im Quellenverzeichnis angegeben sind, zu nutzen. Sie erleichterten diese umfangreiche Biografie und dafür an dieser Stelle ein Dankeschön.

© Margit Ramus

 

Peters, Fritz: Freimarkt in Bremen Geschichte eines Jahrmarkts. Bremen 1962
Dering, Florian: Volksbelustigungen. München 1986
Müller, Günter: Der schöne alte Oldenburger Kramermarkt. 1982
Thoma, Willi: Faszination Karussell- und Wagenbau Mack. Waldkirch 1988
König, Johann-Günther: Der Bremer Freimarkt. Bremen 2011 
Siebold, Wilfried:  950 Jahre Bremer Freimarkt. Ausstellungskatalog. Hrsg. Der Senator für Bildung. Wissenschaft und Kunst.1985. S. 85-89 
Die Informationen zu den biografischen Angaben der Schwestern von Friedrich Wilhelm Siebold und dem Erwerb und Nutzung der Immobilien der Familie wurden dem „Infobrief – Archiv Wolfgang Metz“ entnommen. Er wurde in Zusammenarbeit mit Andrea Stadler 2010 erstellt und mir von Hildegard Pfennig im September 2020 zugesandt. 
Viele Gespräche der Verfasserin mit Hildegard Pfennig geborene Siebold, Tochter von Friedrich Wilhelm und Medy Siebold, im Markt- und Schaustellermuseum Essen 2009 und 2020 telefonisch.
Gespräche der Verfasserin mit Ingrid Franzgrote geborene Metz, Enkeltochter von Franz Siebold und deren Sohn Marc Franzgrote im September 2020. 
Stopp, Max: Sensationen – Attraktionen an Jahrmarkt und Chilbi. 1999. S. 57.
Recherchen von Eliane Latzel im Einwohnermeldeamt von Biel/Schweiz und Gespräche mit Max Stopp.
Der Text wurde von der Familie Franzgrote gegengelesen und keine Einwände erhoben.

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