Schaustellerbranche im Spiegel der Tagespresse A - Z

1985 Karl-Marx-Stadt Beliebte Zukunft mit Zukunft

In der ehemaligen DDR schrieb Juliane Weiss in der Freien Presse im Jahre 1985 einen Bericht über die Bezirksarbeitstagung für das Schaustellerwesen in Karl-Marx-Stadt.

Beliebte Zukunft mit Zukunft

Schausteller erfüllen ihre „Mission“ in puncto Unterhaltung saisonbedingt und führen ihr ungebundenes, anstrengendes Leben heutzutage von Ostern bis Weihnachten. Früher währte besagte Saison vom 1. Mai bis Mitte Oktober; die knapper bemessene „Freizeit“ allerdings füllt sich mit vielerlei Dingen.
Auf der sprichwörtlichen »faulen Haut“ liegen auch die Inhaber und Mitarbeiter der zurzeit 69 Schaustellerbetriebe unseres Bezirkes auf keinen Fall. So trafen sie sich beispielsweise im Januar zu ihrem 21. Lehrgang in Reinhardsbrunn, planen Vertragsabschlüsse und bringen ihre Verkaufsstände, Schieß- und Fahrgeschäfte auf Vordermann. Dass sie damit mehr als alle Hände voll zu tun haben, dürften sich auch Nichteingeweihte unschwer vorstellen können.
Zeit für eine Bilanz mit Ausblick blieb dennoch Anfang Februar: Nach mehrjähriger Pause fand in Karl-Marx-Stadt eine Bezirks Arbeitstagung für das Schaustellerwesen statt, zu der Rat des Bezirkes und Handels- und Gewerbekammer des Bezirkes eingeladen hatten.

Interessante Aspekte kamen zur Sprache. So der, dass sich der Umsatz pro Betrieb seit 1964 verdoppelte, aber auch der, dass die Zahl der Volksfeste enorm stieg. Gab es 1975 rund 300 jedes Jahr, so erwartet man den Beitrag der Schausteller unseres Bezirkes heutzutage auf rund 600 (dabei sind Betriebsfeste, Wohngebietsfeste usw. nicht mitgerechnet).
Die Besucherzahlen übersteigen die Millionengrenze. Dabei könnten nach dem Geschmack der Konsumenten, vor allem der jüngsten und jungen Jahrgänge auf dem „Rummel“ noch mehr Schausteller sich die Ehre geben. In dieser Hinsicht braucht niemand sich um die Zukunft dieser traditionellen Zunft zu sorgen — an Besuchern fehlt es ihnen gewiss nie. Anspruchsvoller allerdings kommen sie zu den Festen. Niveauvoller auch stellen sich die Stadtväter besagte Vergnügungen vor.

Nicht jeder Ort besitzt ein so zugkräftiges Volksfest wie die Stadt Annaberg-Buchholz, die 1985 ihre Kät bereits zum 465. Mal begehen kann.
Die Tradition allein genügt aber noch nicht zum Vorbild für andere. Also fand der Bürgermeister Dr. Fritzsch aufmerksame Zuhörer, als er über das Wie bei der Vorbereitung und Realisierung der Kät sprach. Das „Rezept“ der Annaberger lässt sich ohne Zweifel auch anderswo anwenden: die Verantwortung komplex wahrnehmen, die Kät als fester Planbestandteil, ein konkreter Maßnahme Plan, Öffentlichkeitsarbeit, Einbeziehung der Betriebe und Einrichtungen — natürlich auch enge Zusammenarbeit mit den Schaustellern, die ihren Erfahrungsschatz jederzeit gratis zur Verfügung stellen.
Langfristiges Denken dominiert, so entstand ein massives Versorgungszentrum, die Festhalle erfährt gerade eine Instandsetzung, und ein neuer Parkplatz für den VEB Kraftverkehr hilft künftig Mittel sparen, da der Festplatz — bisher von diesem Betrieb genutzt — nicht mehr vor jeder Kät vorbereitet werden muss.

Apropos Festplatz. Hier bleibt noch mancher Wunsch offen, obwohl ein Beschluss; des Rates des Bezirkes bereits Initiativen auslöste. Der Rat der Stadt Hainichen stellte zum Beispiel rund 100 000 Mark zur Verfügung, damit ein schöner und praktisch nutzbarer Festplatz entsteht. Joachim Schlund, Bezirksratsmitglied für Kultur, forderte die Leiter der Abteilungen Kultur der Räte der Kreise auf, „am Ball zu bleiben“, gilt es doch gerade jetzt, in die Ausarbeitung der Ortsgestaltungskonzeptionen die Belange der Volksfeste und entsprechender Plätze einzuordnen. Joachim Schlund würdigte die Leistungen der Schausteller, die einen wichtigen Beitrag für das Wohlbefinden und Freude der Bürger leisten.

Innerhalb der Handels- und Gewerbekammer beteiligt sich die Berufsgruppe Schausteller seit 1978 am Wettbewerb. 100 prozentig. Modernisierung und Rekonstruktion der Fahrgeschäfte lautet einer der Schwerpunkte im Wettbewerb. Logischerweise. Deren Alter könnte man einen der wunden Punkte nennen. Schließlich drehen die Gondeln und Wagen ihre Runden seit Jahr und Tag auf Jahrmarkt und Volksfest und stammen oftmals aus Großvaters Zeiten.

Dass es seit 1980 im Bezirk keinen Unfall gab und sich die Fahrgeschäfte trotz ihrer Jahre im Vergleich zu anderen Bezirken in relativ gutem Zustand befinden, danken sie nicht zuletzt dem Fleiß und handwerklichen Geschick der Schausteller und außerdem der notwendigen strengen Kontrolle durch die Staatliche Bauaufsicht, die, bis auf Ausnahmen, mit dem verantwortungsvollen Handeln der Schausteller zufrieden ist. Erhalten lassen sich die nostalgischen Modelle natürlich nicht für ewige Zeiten.

Dies schätzte so gleichfalls Bodo Zabel ein, Leiter der Abteilung Unterhaltungskunst des Ministeriums für Kultur und Leiter der Arbeitsgruppe Schausteller, der die Perspektive der Schausteller von der Sicherung der materiell-technischen Basis mit abhängig sieht. Er erläuterte die Aufgaben der Arbeitsgemeinschaft „Ausrüstung für Erholungsparks und -zentren“, die sich als selbständige Struktureinheit mit der Analyse über Bestand und quantitativen und qualitativen Bedarf an Fahrgeschäften in der DDR befassen wird und mit der Klärung der Voraussetzungen einer DDR-eigenen Produktion zur komplexen Modernisierung, der internationalen Kooperation im Rahmen des RWG u. a.
Aus erster Hand erhielten die Schausteller Informationen zu weiteren sie interessierenden “ Fragen: Fahrpreise, Entlohnung für Arbeitskräfte, Ersatzteile, Glühlampen … Gezeigt habe sich, dass es günstiger sei, zum zentralen Arbeitskreis Schausteller zurückzukehren (anstelle eines Beirates), bei dem alle Schausteller Mitglied werden könnten. Ein Mitteilungsblatt wurde in Aussicht gestellt und eine Schaustellerkonferenz der DDR für das kommende Jahr.

Viele Antworten also zur Frage nach der Perspektive, die unterstrichen wurde durch die „gut durchwachsende“ Altersstruktur der nach Karl-Marx-Stadt ‚gekommenen Schausteller.

Wie sich die Bedingungen gerade in den letzten Jahren verbesserten, können wohl vor allem diejenigen der Anwesenden beurteilen, die seit 1945 unterwegs sind wie Max Mecke und Walter Hagen. Sie und andere verdienstvolle Schausteller wie auch ihren treuen. „Verbündete—, Karussellmaler Horst Patzer, ehrte man im Rahmen der Veranstaltung.

Neue Inhaber von Schaustellergeschäften kommen meist aus den Familien.
Durch günstige Voraussetzungen hinsichtlich der Berufsbildung stieg der Qualifizierungsgrad an, meist steht vor der Geschäftsübernahme ein später nützlicher handwerklicher Beruf. Diese Übergabe an die Kinder charakterisierte der Vorsitzende des vor 20 Jahren gegründeten Bezirksarbeitskreises für Schausteller, Horst Müller, als effektiv, der in seinem Rechenschaftsbericht auf die besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Schausteller und ihre Familien dank Förderung Ales Staates hinwies. Seine kritischen Hinweise und zahlreichen praktischen Vorschläge fanden ohne Zweifel offene Ohren. Und sicherlich auch seine berechtigte Frage, wieso die Schausteller, die seit Jahren zur Abteilung Kultur gehören, bei Konferenzen der Unterhaltungskunst fehlen, zum Beispiel in Karl-Marx-Stadt.

© Juliane Weiss

Abschrift vom originalen Zeitungsartikel © Margit Ramus

Juliane Weiss: Beliebte Zukunft mit Zukunft. In: Freie Presse,1985 Zeitungsartikel von Andrea Schröder-Patzer.

 

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