Lernen auf der Reise — eine Herausforderung für Kinder, Eltern und Lehrkräfte.
„Die Veranstaltungen mit Frau Dr. Ramus fanden am Donnerstag und Freitag statt und waren außerordentlich erfolgreich. 22 Jugendliche nahmen teil und waren von Frau Ramus Vortrag eingenommen. Selbst Jugendliche, die bereits die Schule abgeschlossen hatten und die Wasenschule nicht mehr besuchen, waren gekommen. Frau Ramus gelang es, den Schaustellernachwuchs sowohl mit Sachinformationen anzusprechen, als sie auch persönlich zu fesseln. Sie sprach Dinge über das Schaustellerleben und -dasein aus, das vielleicht noch niemand für diese jungen Menschen in dieser Form formuliert hatte. Schade, dass Sie das Leuchten in den Augen der Mädchen und Jungen nicht miterleben konnten. Am Abend entstand in mir das Bild, dass es Frau Ramus gelungen ist, die jungen Seelen in einem “warmen Bad” zu wiegen. Wenn sie fragte: “Ist es nicht so? Das kennt ihr doch auch?”, gab es immer ein ehrfürchtiges Nicken. Die Kinder hatten kaum Nachfragen, wollten immer weiter zuhören, wie über ihre Lebenswelt gesprochen wurde. Das war ein wunderschönes Erleben, voller magischer Momente.“ (Michael Widmann)
So beschrieb der Leiter der Wasenschule, Michael Widmann, das Pilotprojekt der „Wasenschule, der anderen Art der Schule“ als begleitendes Lernen für Schaustellerkinder auf dem Stuttgarter Wasen 2024.
Ich bin stolz auf diese Berichterstattung. Es war mir tatsächlich gelungen, die Kinder und Jugendliche im Alter von 12 -16 Jahren zu begeistern und mitzureißen. Dafür möchte ich mich auch bei allen Beteiligten und besonders bei den jungen Leuten bedanken.
Wie fing es an?
Im August dieses Jahres wurde ich von Ingrid Seliger von der aim Akademie in Heilbronn angefragt, als Dozentin am Pilotprojekt „Kinder beruflich Reisender“ der Wasenschule während des Cannstatter Wasens in Stuttgart teilzunehmen. Das Projekt des Ministeriums für Kultur, Jugend und Sport Baden-Württemberg richtet sich an Kinder und Jugendliche aus Schaustellerfamilien. Ehrenamtliche Bildungspaten unterrichten die Kinder vor Ort in Deutsch, Englisch und Mathe. Ergänzend bot die aim Akademie Projektunterricht am Vormittag an und wand sich an mich, um mit dem Thema „Schaustellergeschichte“ die Fächer Gemeinschaftskunde, Geschichte und Sachkunde zu vertiefen.
Ich hatte sofort Lust, an diesem Projekt mitzuwirken. Ich erkannte die große Chance, eine Gruppe von Schaustellerkindern in die Geschichte unseres außergewöhnlichen Berufs einzuführen und ihnen aus der Sicht einer Schaustellerin etwas über die Vergangenheit und die Entwicklung der Schaustellerinnen und Schausteller, der Volksfeste und der Geschäfte erzählen zu dürfen.
Entgegen der von Organisatoren Seite geäußerten Sorge, es würde nicht die nötige Aufmerksamkeit geboten sein, konnte ich mich gut auf das Alter und die Interessen der jungen Zuhörerinnen und Zuhörer einstellen, weil ich überzeugt war, dass es auch für unseren Schaustellernachwuchs wichtig ist, etwas über die eigene Herkunft zu erfahren.
Aber zunächst musste ich mich selbst ein bisschen einlesen und herausfinden, was mit der Bezeichnung „Wasenschule, eine andere Art der Schule“, im Zusammenhang mit der allgemeinen schulischen Ausbildung von Schaustellerkindern, gemeint ist.
Zwar ist mittlerweile im Bewusstsein der Eltern von Schaustellerkindern die Wichtigkeit einer gründlichen schulischen Ausbildung fest verankert, dennoch ist es zumeist noch üblich „auf der Reise“ zur Schule zu gehen.
Aufgrund jüngster Erfahrungen in der eigenen Familie ist mir bekannt, dass diese Art von Schulbesuch eine Herausforderung für Kinder, Eltern und Lehrkräfte darstellt.
Erfreulicherweise belegen viele Zeugnisse, dass dennoch oft gute Leistungen von Schaustellerkindern aufgrund ihrer vielseitigen Kompetenzen erreicht werden.
Manchmal bleiben aber auch die Kinder bei den zu Hause lebenden Großeltern oder die Eltern, die im näheren Umkreis ihres Heimatortes Kirmesveranstaltungen beschicken, fahren ihre Kinder täglich zu ihrer Stammschule.
Die meisten Schaustellerkinder dagegen besuchen durchschnittlich, aufgrund des ständigen Ortswechsels der Familie, über zwanzig verschiedene Schulen im Jahr.
Oft werden die Kinder in schon überfüllten Klassen untergebracht. Lehrkräfte finden während des kurzen Aufenthalts kaum Zeit für die notwendig individuelle Unterstützung; zusätzliche Fördermaßnahmen können ebenfalls nicht angeboten werden.
Nicht selten, werden die Schaustellerkinder in der neuen Schule gewissermaßen als „Exoten“ begrüßt, werden aufgefordert, etwas über die Kirmes zu erzählen und dann in die letzte Reihe gesetzt. Manche Kinder gehen damit gut um, manche erfahren Schule häufig als Ort der Ausgrenzung, des Misslingens und des Versagens. Dies kann dazu führen, dass diese Kinder die Schule nicht mehr besuchen wollen.
Schule unterwegs
Seit 1998 stellt die Regierung kostenlos sogenannte Bereichslehrkräfte für Schaustellerkinder zur Verfügung. Sie übernehmen die Formalien der schulischen Aufgaben von den Stammschulen in der Heimatstadt und den Stützpunktschulen an den jeweiligen Volksfestplätzen. Sie besuchen die Familien vor Ort, erteilen den Kindern Förderunterricht, helfen bei Hausaufgaben und sonstigen schulinternen Formalitäten. Die Einrichtung nennt sich „Schule unterwegs“.
Trotzdem machen der ständige Schulwechsel, die fortlaufend neuen Lehrkräfte, immer neue Mitschülerinnen und Mitschüler, die unterschiedlichen pädagogischen Konzepte, Unterrichtsmethoden und Unterrichtsinhalte sowie eine Vielfalt von Schulbüchern effizientes Lernen entsprechend schwer. Die Konzentration, eigenständig oder auch in einer Gruppe zu lernen, ist bei Schaustellerkindern oft wenig entwickelt. Bei einigen machen sich ein, wie bereits erwähnt, geringes schulisches Selbstwertgefühl und die schwindende Lust, in die Schule zu gehen, bemerkbar. Zudem fallen viele Unterrichtsstunden durch die sogenannten Reisetage aus, Tage an denen das Geschäft abgebaut und zum nächsten Platz gefahren wird.
Die Idee einer Schule auf dem Cannstatter Wasen
Dies war auch in Stuttgart nicht anders und die Schaustellerkinder besuchten im Frühjahr und Herbst während des Wasens verschiedene Cannstatter Schulen.
Nun aber entwickelte Michael Widmann, gemeinsam mit einigen Bereichslehrkräften, die Idee, während des Stuttgarter Wasens einen Schulungsraum direkt auf dem Wasen nur für die Schaustellerkinder, zu organisieren.
Von Anfang an unterstützten die Eltern und die Bildungsbeauftragte des Schaustellerverbandes dieses Vorhaben. Der Unterrichtsraum wurde geputzt und hergerichtet. Ein neuer Linoleumboden, Schränke, ein Kühlschrank, sowie eine Kaffeemaschine wurden von den Eltern organisiert und finanziert. Die Kosten für die Versicherung des Unterrichtsraums wurden vom Schaustellerverband Südwest Stuttgart e. V. 1894 übernommen.
Allerdings mussten die zuständigen Bereichslehrkräfte bereit sein, jeden Vormittag vor Ort zu sein, und sie hatten schwierige Aufgabe zu lösen, 30 Kinder von der 1. bis zur 10. Klasse zur selben Zeit, im selben Raum, in unterschiedlichen Lernstufen, mit Lehrplänen aus 16 Bundesländern gleichzeitig zu unterrichten.
Es fanden sich mit den Jahren 50 pensionierte Lehrkräfte und auch engagierte Bürgerinnen und Bürger, sogenannte ehrenamtliche Bildungspaten, die aber ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis vorlegen müssen. Ihr Engagement in der persönlichen Betreuung von nur einer Schülerin oder einem Schüler als feste Bezugsperson, hilft den Kindern und Jugendlichen während ihrer Zeit in Stuttgart intensiv eventuelle Lerndefizite aufzuholen.
Erstmals zum Stuttgarter Frühlingsfest 2016 fand der Unterricht der Schaustellerkinder in einem Unterrichtsraum auf dem Wasengelände statt.
Von Beginn an fühlten sich die Schülerinnen und Schüler wohl in der Wasenschule, sie wurden wertgeschätzter als in einer Regelschule, der soziale Druck war vorbei, sie hatten mehr Erfolgserlebnisse und waren motivierter.
Neben den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch wurden auch Gemeinschaftskunde, Geschichte und Sachkunde unterrichtet. Dazu wurden die Lernpläne und Aufgaben von der jeweiligen Stammschule der angemeldeten Kinder in die Wasenschule geschickt. In einem Lerntagebuch wurden die erarbeiteten Inhalte dokumentiert und auch der Lernfortschritt, der zur Beurteilung und Versetzung beiträgt.
Das Erfolgskonzept der Wasenschule, das konzentrierte Arbeiten mit maßgeschneiderten Lernplänen, sprach sich schnell herum. Eltern und Lehrkräfte berichteten von den positiven Veränderungen, die sie an den Kindern beobachten konnten. Viele gingen zum ersten Mal wieder gerne zur Schule!
Bei diesen guten und wichtigen Erfolgen, wäre es höchst erstrebenswert, wenn das Modell „Wasenschule“ auch auf anderen Volksfestplätzen bundesweit eingeführt würde. Bisher ist die Wasenschule, die seit 2016 zweimal jährlich stattfindet, einzigartig in ganz Deutschland.
Meine erste Dozentenstelle
Nun also sollte ich „Dozentin“ werden.
Auch ich musste ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Ich war neugierig auf die mir ungewohnte Aufgabe.
Die angekündigte Zahl der Gruppe war bereits in der Aufbauwoche von fünf auf elf angestiegen. Wie erfreulich war es, als sich zur ersten Stunde im Fach „Schaustellergeschichte“ 22 Mädchen und Jungen im Café Ade auf dem Wasen, in dem der Unterricht stattfinden sollte, einfanden.
Zunächst wurden ohne Einwände alle sichtbaren Handys ausgeschaltet. Dann stellte ich mich als Schaustellerin vor, sprach ein wenig über mein Leben, meine Weiterbildung sowie meine Begeisterung für die Geschichte unseres Berufes und gab damit den Jugendlichen das Gefühl, eine von ihnen zu sein.
Es folgte eine kurze Vorstellung von jedem Einzelnen.
Ich begann mit der Frage, wie lange es uns Schausteller eigentlich schon gibt. Die obligatorische Antwort fast aller Schausteller jeder Altersgruppe lautet, wie auch hier, ganz spontan: schon immer!
Aber über die Entwicklung war bei allen nichts Konkretes bekannt. Diese Wissenslücke zu schließen, hatte ich mir zum Ziel gesetzt.
Ich führte aus, dass es wichtig sei für sie als zukünftige Beschicker der Volksfeste zu wissen, wie sich das „Fahrende Volk“ von einst zum modernen Schausteller der Gegenwart entwickelt hat. Nur mit diesem Wissen könnten sie sich den nach wie vor bestehenden Vorurteilen entgegenstellen.
Vom Fahrenden zum modernen Schausteller der Gegenwart
Vor mehr als tausend Jahren, im Mittelalter, zogen unsere Vorfahren als „Fahrende Leute“ von Stadt zu Stadt, anlässlich der dort stattfindenden Jahrmärkte. Unter den „Fahrenden“ waren Händler, Barbiere die Zähne zogen und Wundermittelchen für Krankheiten verkauften, Zuckerbäcker, Metzger, Wirtsleute, und auch Handwerker wie Schmiede, Schlosser oder Tischler, die ihre Waren, Produkte oder Handwerkskünste anboten.
Komödianten, die es tatsächlich schon immer gab, sorgten als Gaukler, Musikanten, Artisten oder mit ihren kleinen Menagerien für eine bunte und lustige Unterhaltung auf den Jahrmärkten. Es ist anzunehmen, dass aufgrund dieser „Schaustellungen“ sich der Begriff „Schausteller“ entwickelt hat.
Obwohl sie den Menschen Freude und viele schöne und seltene Waren und Speisen brachten, war das Ansehen der „Fahrenden“ nicht gut und ihnen wurden sogar die Sakramente der katholischen Kirche, z.B. die Taufe, verweigert. Bei Einbruch der Dunkelheit mussten sie raus aus den Städten und durften nur außerhalb der Stadtmauern übernachten. Das Leben war hart und voller Entbehrungen.
So zogen sie mit Pferd und Wagen viele Jahrhunderte als Nichtsesshafte durch die Lande. Erst 1871, mit der Gründung des Deutschen Reiches aus vielen Kleinstaaten und als Folge der beginnenden Industrialisierung, vollzog sich die Entwicklung der einstigen „Fahrenden“ zu den modernen Schaustellerinnen und Schaustellern der Gegenwart.
Interessiert hörten die jungen Leute zu. Für sie war vieles neu, z. B., dass 1769 in England die Dampfmaschine von James Watt erfunden worden war und dieses Ereignis zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert führte. Aber auch für die Schaustellerbranche im deutschsprachigen Raum begann durch die Erfindung der Dampfmaschine im Laufe des nächsten Jahrhunderts eine neue Zeit. Denn bis dahin wurden die Karussells und einfache Bewegungsapparate mit der Hand oder von Pferden in Bewegung gesetzt.
1892 baute Hugo Haase die erste elektrische „Berg- und Talbahn“ auf dem Oktoberfest in München. Damals war der elektrische Dampf für den Antrieb von Karussells noch verboten, deshalb konstruierte Haase eine vom Festplatz 300 Meter entfernt platzierte Station. Dort standen zwei 30 PS Gasmotoren, System Otto, und Gleichstromgeneratoren. Die Generatoren lieferten durch oberirdische Leitungen den Strom zu den Motoren der beiden Haase-Karussells. Zusätzlich wurden die beiden Orgeln und die Bogenlampen mit Strom versorgt.
Diese bahnbrechende Innovation, elektrische Energie für Antrieb und Beleuchtung durch abseits des Karussells aufgestellte Dampfmaschinen zu produzieren, machte Haase zu einem Pionier im deutschen Schaustellergewerbe. Ihm sind die am Abend erleuchteten Volksfestplätze zu verdanken und zwar in einer Zeit, in der die Menschen teilweise noch drei Jahrzehnte warten mussten, bis die Petroleumlampen in den deutschen Haushalten durch elektrischen Strom abgelöst wurden.
Kaum vorzustellen, wenn man die Technik und das Lichtspektakel auf den Volksfestplätzen des 21. Jahrhunderts betrachtet.
Längst ist die Zeit der „Fahrenden Leute“ vorbei!
Heute ist das Schaustellergewerbe eine Berufsgruppe von mittelständischen Gewerbetreibenden. Mit Ausnahmen von Quereinsteigern wird man meist hinein geboren, und die jungen Leute, die mich neugierig ansahen, werden eines Tages das eigene oder das Geschäft der Eltern weiterführen.
Ich wollte nicht die ganze Entwicklung im Einzelnen vortragen, aber mir war es wichtig, den 22 jungen Menschen klar zu machen, dass sie als nächste Generation, genau wie ihre Eltern, die Trägerinnen und Träger der Volksfest-Kultur sind, und dass ohne Schausteller, ob Mann, Frau oder Heranwachsender, die modernen Volksfeste nicht denkbar sind.
Offensichtlich machten meine Argumente Eindruck auf sie. Herr Widmann erzählte mir später vom Glanz in den Gesichtern der jungen Leute. Sie schienen den berechtigten Stolz auf die Eltern, die Großeltern und auch schon auf sich selbst zu verinnerlichen.
Auch ich spüre immer wieder dieses seltsame Gefühl, wenn ich einen beleuchteten Volksfestplatz am Abend sehe. Wir Schausteller sollten viel selbstbewusster damit umgehen, dass wir alle gemeinsam etwas Einzigartiges geschaffen haben, ein Freizeitvergnügen, das das erfolgreichste auf der ganzen Welt ist.
In Deutschland erreichen wir, die etwa 6.000 Schaustellerunternehmen, mit unseren ca.12.300 Schaustellergeschäften auf etwa 10.000 großen und kleinen Volksfesten eine Besucherzahl von 190 Millionen im Jahr. Hinzu kommen 160 Millionen Menschen aller Nationen, die unsere Weihnachtsmärkte besuchen. Die Bundesliga schafft es gerade mal auf 49 Millionen Besucher in den Stadien.
Diese Information führte zu allgemeinem Erstaunen.
Bildung ist wichtig
Aber wir müssen auch viel dafür leisten, viel arbeiten und uns weiterentwickeln. Vor allem in der Bildung. Ich formulierte es allerdings ein bisschen anders: „Es ist ganz wichtig, dass wir alle da oben etwas in der Birne haben. Ihr müsst euch interessieren, auch für die Probleme in der Welt, für Politik usw.“ Das allgemeine Kopfnicken bestätigte den Inhalt meiner Argumentation.
Die Anforderungen werden immer größer, die Anfragen für die Veranstaltungen sind keine weißen Blätter mehr, auf denen wir schreiben, dass wir einen Platz für unser Geschäft haben wollen, sondern ausführliche Anträge, die nicht immer einfach auszufüllen sind.
Um erfolgreich zu sein, müssen wir lernen manches Mal die Faust in der Tasche zu machen. Wir tragen auch das finanzielle Risiko der Aktualisierung der neuesten Entwicklungen in Technik und kunstvoller Ausstattung unserer Geschäfte, um den Volksfestbesuchern immer wieder einen neuen Nervenkitzel, neue Lust und neue Freude zu bieten.
Es gefiel den jungen Leuten, dass ich sie direkt ansprach.
Unsere Großeltern haben von ihren Eltern vieles gelernt, und sie haben ihren Kindern und nun bereits euch ihr Wissen vorgelebt und weitergegeben, z. B. die temporäre Mobilität, den Auf- und Abbau, Reparaturen und Renovierungen unserer Betriebe, die Herstellung von Waren, die unterschiedliche Arten von Werbung, wozu auch die Animationen an Karussells und Spielgeschäften gehören, die für die Atmosphäre auf einem Volksfest prägend sind.
„Ihr werdet als nächste Generation mit Wetterlagen und klimatischen Besonderheiten konfrontiert werden und lernen müssen, verantwortungsbewusst zur Sicherheit der Besucher, der eigenen Familien und euren Geschäften damit umzugehen“.
Unterstützt werden wir dabei von unseren beiden Schausteller-Dachorganisationen DSB und BSM, in denen fast alle Schausteller organisiert sind.
Aber wir brauchen auch den Schutz vom lieben Gott da oben. Fast alle Schaustellerfamilien sind einer der beiden Religionen, der katholischen oder der evangelischen Kirche, angeschlossen. Wenn man auch nicht immer oder regelmäßig den Gottesdienst besucht, begleitet der Herrgott unser Leben, von der Taufe über die Kommunion, Konfirmation, Heirat bis irgendwann zu unserem letzten Platz, der uns allen sicher ist und auch noch nach dem Tod.
Die meisten Schausteller lassen ihre Geschäfte segnen. Auch feiert man gemeinsam die Sakramente in speziellen Gottesdiensten in einem Zelt, auf einem Autoskooter usw. Nicht selten bitten wir um Gottes Hilfe, wenn jemand erkrankt ist, es nicht aufhört zu regnen oder ein Sturm oder sonstige Katastrophen drohen.
Schausteller meinen alles zu können
Letztendlich sind wir Schausteller eine besondere Spezies von Menschen oder besser gesagt, glauben wir, das in gewisser Weise zu sein.
Jürgen Werners, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fremdenverkehrsverbandes e.V. Bonn, sagte anlässlich des 38. Delegiertentages 1987 in Herford:
„Schausteller sind Handwerker, Ausbilder, Erzieher, Buchhalter, Kaufleute, Spediteure, Verhandlungs- und Verwandlungskünstler, Dekorateure, […] sie sind Köche und Versorgungsmeister, Beherbergungsgeber und Reiseexperten, Familienoberhäupter, Arbeitgeber, Seelsorger und was man sonst so alles noch sein kann. Einfach bewundernswert.“ (Festschrift Herford 1987. S. 151f)
Wir glauben, tatsächlich alles zu können, ohne einen Beruf richtig gelernt zu haben. Leider kapseln sich viele, insbesondere die Schaustellerjugend, nach außen ab und treten oft nur als geschlossene Gruppe auf. Aufgeschlossenheit gegenüber den Menschen, die wir als „Private“ bezeichnen, ist leider nicht an der Tagesordnung, aber auch umgekehrt ist der Umgang teilweise schwierig.
Obwohl es einen natürlichen Konkurrenzkampf gibt, ist die Bereitschaft zur Hilfe unter den Kollegen in Not selbstverständlich.
Es gibt kaum eine Berufsgruppe, in denen mehrere Generationen im gleichen Familienbetrieb leben und arbeiten. Als Beispiel für unseren starken Familiensinn erzählte ich, dass es unter den Schaustellern keine armen alten Leute gibt, keine Oma oder Opa, die ihren Strom, ihre Heizung nicht bezahlen können, oder kein Geld für ausreichende und gute Nahrungsmittel haben. Das ließen wir nie zu. Wieder ein bestätigendes Kopfnicken.
In unsere Familienbetriebe werden auch die Kinder schon früh eingebunden, leisten schon einen erheblichen Beitrag, was nicht heißt, dass sie unter Kinderarbeit leiden. Sie sind in der Regel alle sehr verwöhnt und von Geburt an liebevoll umsorgt, aber sie lernen schon früh, dass es auch Pflichten gibt. Mit einem Blick auf Michael Widmann, der im Hintergrund saß, zeigte ich auf die jungen Mädchen und sagte, jede Einzelne von ihnen, kann ein Badezimmer auswaschen oder sonstige Hausarbeit verrichten. Wenn ich jedoch auf dem Weihnachtsmarkt ein junges Mädchen einstelle, kann es in den meisten Fällen keinen Putzlappen auswaschen. Alle Mädchen nickten eifrig mit dem Kopf und bestätigten, was ich sagte.
Ähnlich verläuft es bei den Jungs, sie helfen beim Auf- und Abbau, können sicherlich alle einen Anhänger anhängen und wissen, dass nach dem Abbau das Unterlegungsholz noch eingesammelt und gegebenenfalls auf den LKW geladen werden muss. All diesen kleinen Details, die ich aufführte, stießen auf Zustimmung bei der noch immer aufmerksamen Jugend.
Kritische Betrachtung
Nach so viel „Eigenlob“ wollte ich jedoch auch einige Eigenschaften kritisch betrachten. Bereits die Kleinsten glauben, schon Chef zu sein. Der Umgang mit den Festplatzbesuchern, oder dem Personal lässt nicht selten zu wünschen übrig. Aber irgendwann wird es hoffentlich verstanden werden, dass ohne unsere überwiegend rumänischen Mitarbeiter z.B. kein Karussell aufgebaut werden kann oder sie in den Verkaufsgeschäften, besonders auf den kommenden Weihnachtsmärkten, helfen, unser Geld einzunehmen.
Fleiß und Zuverlässigkeit bewirken, dass es uns eigentlich finanziell nicht schlecht geht. „Ihr als nächste Generation“ und damit richtete ich mich wieder direkt an die jungen Leute, „kennt z.B. nicht die Probleme der Lehrstellensuche, der Berufswahl, der Wohnungssuche usw. Niemand von euch musste je mit einem wöchentlichen Taschengeld von 10 Euro auskommen, denn all eure Wünsche werden meist von den Eltern oder Großeltern erfüllt. Dafür solltet ihr ein wenig dankbar sein.“
Obwohl ich eigentlich noch weitere Themen besprechen wollte, hatte ich das Gefühl, dass die jungen Leute die ganzen Informationen erstmal verarbeiten mussten.
Ich streifte nur noch kurz die unterschiedlichen Wurzeln unserer Volksfeste und entließ dann die Mädchen und Jungen in ihren Alltag.
Am zweiten Tag erzählte ich ein wenig von der Entwicklung des deutschen Karussellbaus, der Hersteller und Maler, denen wir die außergewöhnlichen Konstruktionen und Dekorationen unserer Schaustellergeschäfte verdanken. Aber eine Vertiefung dieser Themen, sollte man vielleicht auf einen nächsten Termin zur Schaustellergeschichte verschieben.
Das Pilotprojekt der Wasenschule in Stuttgart war eine Bereicherung und motiviert mich, meine Arbeit für das Kulturgut Volksfest fortzusetzen. Ich denke, auch für die Mädchen und Jungen, die die Tradition des Schaustellergewerbes weiterführen werden, waren es zwei interessante Tage.
Ich möchte mich bei euch noch einmal bedanken. Ihr wart super!!
© Margit Ramus
Quellen | Informationsunterlagen der Einrichtung „Schule auf Reisen“ |