Sexismus auf den Fassaden von Schaustellergeschäften
gerade haben Schaustellerinnen und Schausteller die zweijährige Pause der Volksfeste aufgrund der Corona-Pandemie überstanden und sind glücklich, dass die Veranstaltungen alle wieder sehr gut angelaufen sind.
Nun stehen sie vor einem anderen Problem.
Frühlingsvolksfest in Stuttgart
Auf dem Frühlingsvolksfest in Stuttgart haben Vertreterinnen der Grünen-Ratsfraktion bei einem Rundgang über den Volksfestplatz die Dekorationen an Schaustellergeschäften in Visier genommen.
Auf Ablehnung stieß die Darstellung einer barbusigen Dame auf der Schmuckfassade eines Spielgeschäftes, in dem man auf Korken schießen kann.
An einem anderen Geschäft war auf einem blinden Frontteil die Comicfigur eines kleinen Mädchens im Bast-Rock zu sehen.
Ein weiteres Bild ging durch die Presse, auf dem der Kopf einer jungen Frau in Schräghaltung dargestellt war, deren eine sichtbare Schulter nur mit einem Träger bedeckt war. Die junge Frau machte den Betrachter auf eine Waffel mit Kirschen und Sahne aufmerksam. Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Abbildung bereits als sexistisch einzustufen ist. Angestrebt war allenfalls Appetit auf die süße Waffel zu bekommen und niemanden zu beleidigen oder in seinen Rechten einzuschränken durch diese Darstellung der jungen Frau.
Die Aktion in Stuttgart löste in der Verwaltung, im Stadtrat und auch bei den Schaustellerinnen und Schaustellern fast schon eine hysterische Stimmung aus. Schade, dass ausgerechnet jetzt, nach zwei Jahren der Enthaltsamkeit von Volksfesten und der damit verbundenen Freude der Menschen, ein paar leichtbekleidete Frauen auf Fassaden zu öffentlichen Kontroversen führen, während insbesondere Europa ganz andere Sorgen hat, denn wenige Autostunden entfernt verlieren täglich Menschen, darunter viele Kinder, in einem irrsinnigen Krieg ihr Leben.
Blick in die internationale Kunstszene
Um die aktuelle Aufregung im Ansatz zu verstehen, schauen wir zunächst in die internationale Kunstszene.
Im Jahr 2018 begannen die kritischen Blicke des Feminismus zu den Galerien, Bibliotheken und Museen der westlichen Welt durchzudringen. Die Kuratorin Clare Gannaway der Manchester Art Gallery hatte das 1896 entstandene Gemälde „Hylas und die Nymphen“ des englischen Malers John William Waterhouse abgehängt, weil es, wie die griechische Mythologie überliefert, zeigt, wie Hylas von Nymphen, die nackt in einem Teich baden, in den Tod gezogen wird. Dabei schauen die Oberkörper aus dem Wasser und bei vier von sieben Nymphen sind die Brüste zusehen.
Obwohl es ein performativer Akt gewesen sein soll, um die Reaktion der Besucherinnen und Besucher des Museums zu ergründen, hatte die Entscheidung der Manchester Art Gallery, das Gemälde aus ihrer Sammlung zu entfernen, in der Kunstwelt für helle Aufregung gesorgt. Von Zensur und Puritanismus war die Rede. Der Kunstkritiker Jonathan Jones fragte: „Warum wurden leicht erotische Nymphen aus einem Museum in Manchester verbannt? Was kommt als Nächstes? Die Nackten von Tizian und Picasso?“ (1)
Nach nur zehn Tagen kehrte das Gemälde wieder in den Ausstellungsraum zurück.
Damit war das Thema aber nicht beendet. Im Umfeld der Debatte soll es auch geheißen haben, dass die Museen bald ziemlich leer sein würden, wenn z.B. auch die Tugendhaftigkeit des Künstlers zum Maßstab gemacht würde.
Den Blick auf Werke der älteren Kunst, die noch in einem ganz anderen ästhetischen, aber auch gesellschaftlichen Wertesystem entstanden sind, sollte nicht die Augen vor dem Politisch-Inkorrekten verstellen; aber ohne die Bereitwilligkeit, moralische Bedenken zurückzustellen und den Rausch und die Ausschweifung eines Künstlers anzunehmen, wäre Vieles in der Bildenden Kunst, in der Bildhauerei, in der Literatur, im Theater und Film nicht mehr hinzunehmen.
Die Züricher Zeitung schrieb am 04.12.2019 einen Bericht über das Museum Ludwig in Köln. Dort versuche man, sich dem Problem zu stellen und herauszufinden, wie man in Zukunft mit Kunstwerken umgehen könne, die Menschen auf die eine oder andere Art und Weise diskriminieren würden. Zunächst ging es um ein Bild des Künstlers Otto Mueller, der 1926/27 zwei junge Frauen mit dunklen Haaren, dunkler Haut und entblößten Brüsten in einem Haus an einem Tisch mit einer roten Tischdecke stehend, hinter dem eine Katze in einem Fenster sitzt, malte und das Gemälde „Zwei Zigeunerinnen mit Katze“ nannte. Aufgrund der entblößten Brüste wurde das Bild als sexistisch und die Namengebung als rassistisch eingestuft und aus der Ausstellung entfernt.
Rassismus auf den Volksfesten
Greifen wir zunächst den Vorwurf von Rassismus auf. Traditionen, die aus heutiger Sicht als rassistisch zu bewerten sind, wurden von den Schaustellerinnen und Schaustellern bereits in den letzten Jahrzehnten kritisch-reflektierend betrachtet und abgeschafft. Zum Beispiel das Schießen auf Tier- oder Menschenköpfe afrikanischer Herkunft oder die Zur-Schau-Stellung von Abnormitäten oder anderen Kulturen.
Sie wehren sich aber dagegen, dass das Thema „Ali Baba und die 40 Räuber“ aus der Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“, in Verbindung mit Rassismus gebracht, und daher ebenfalls beanstandet wird. Dieses Dekorationsthema erfreut sich einer großen Beliebtheit auf den Fassaden unzähliger Fahr-, Kinder-, Verkaufs- und Spielgeschäfte und findet ihre Vorbilder in den Illustrationen u.a. des Künstlers Max Slevogt oder des Bühnenbildes der Operette: „Indigo und die 40 Räuber“, von Johann Strauß.
Beispiele aus der Bildenden Kunst
Zurück nach Köln. Längst hängt das Bild „Zwei Zigeunerinnen mit Katze“ wieder im 3. Obergeschoss des Museums Ludwig, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Werken des Expressionismus von August Macke oder Karl Schmidt-Rottluff, vis-à-vis von zahlreichen anderen Darstellungen von nackten oder wenig bekleideten Frauen von Max Pechstein, Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel.
Kaum noch vorzustellen ist, dass Peter Paul Rubens im Jahre 1607 ankündigte, er werde die biblische nackte Susanna im Bade malen und von dem englischen Diplomaten, Sir Dudley Carlton, mit den Worten ermutigte wurde, er hoffe, diese Susanna werde so betörend ausfallen, dass sie selbst die Sinne eines so alten Mannes wie ihn noch in Wallung bringen könne.
In Paris hängt das Bild „Der Ursprung der Welt“, 1866 von Gustave Courbet gemalt, im Musée d’ Orsay. Ein Bild, welches als Provokation gegen den damaligen Kunstsalon entstanden war, überschreitet sicherlich für viele Betrachterinnen und Betrachter die Grenze der Ästhetik oder Kunst und wird fast schon für Pornografie gehalten.
Aber es gab auch andere Situationen, z.B. weigerten sich 2008 die Betreiber der Londoner U-Bahn ein Plakat mit der nackten Venus von Lucas Cranach dem Älteren in ihren Zügen auszuhängen. Das Kunstwerk sei sexistisch. Die Royal Academy hatte damit für eine große Ausstellung mit Werken des deutschen Künstlers werben wollen.
Im Vergleich zur Kunst des 19. Jahrhunderts und in Anbetracht der vielen Aktdarstellungen in den großen Museen der Welt, ist die Forderung einiger Politikerinnen „sexistisch“ wahrgenommene Frauendarstellungen auf den Fassaden von Schaustellergeschäften zu entfernen, nicht nachvollziehbar. Viele Malereien und Dekorationen der Schaustellergeschäfte sind als zeitgenössische künstlerische Leistung zu bewerten. Ebenso wenig wie die Museen dieser Welt, sind Volksfeste daher Orte von Sexismus.
Architektur und Dekoration im Schaustellergewerbe
In meiner Doktorarbeit: „Architektur und Dekoration im Schaustellergewerbe“ habe ich an unzähligen Beispielen beweisen können, dass sich in der illusionistischen Welt der Volksfeste Architekturkunst, Bildende Kunst sowie Lebens- und Erlebniskultur volksnah wiederfinden.
Beim Bummel über einen Volksfestplatz wird den aufmerksamen Besucherinnen und Besucher nicht entgehen, dass auf einem Volksfest auf kleinstem Raum alle Bauformen der klassischen Architektur zu sehen sind. Außerdem zeigen die hochwertige Malerei, die großartigen Kulissenbauten sowie die spektakuläre Lichtinstallationen bis zur Gegenwart eine Gleichzeitigkeit aller zeitgenössischen Stile der Bildenden Kunst vom Barock bis zur Moderne.
Selbstverständlich beabsichtigt keine Schaustellerin oder kein Schausteller mit billigen, provokanten, sexistischen und rassistischen Bemalungen ihrer Geschäfte das Publikum und vor allem die Familien mit ihren Kindern zu brüskieren.
Die Dekorationen von Schaustellergeschäften sind häufig von durchaus künstlerischer Qualität. Dazu trägt im Wesentlichen bei, dass die Schaustellermalerei nicht selten von Künstlern wie dem gerade verstorbenen Jacques Courtois, von Gebrauchsgrafikern und Designern des „Ateliers für angewandte Werbung, kurz afaw, von Maciej Bernhardt, der an der Kunstakademie Krakau im Atelier von Professor Jerzy Nowosielski Malerei studierte und von vielen anderen namhaften Kunstmalern mit akademischer Ausbildung, ausgeführt wurde. Die Inhalte und Darstellungsweisen sind oft dem Zeitgeist entsprechend gearbeitet. Sie wollen aber immer und zu allen Zeiten die Besucherinnen und Besucher erfreuen und nicht beleidigen.
Entwicklung der Dekorationen
Ein kleiner Überblick über die Entwicklung der Dekorationen der Schaustellergeschäfte kann vielleicht zur Beruhigung der Diskussionen auf den kommenden Volksfesten der Saison 2022 beitragen.
Von 1870 bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Fassaden aller Schaustellergeschäfte mit Zitaten des Barocks, des Rokoko oder mit Jugendstilelementen gestaltet. Sie fanden ihre Vorbilder im Lebensstil der Feudalgesellschaft und in der Ausstattung der Schlossarchitektur im 18. Jahrhundert oder der Festarchitektur des 19. Jahrhunderts. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, dass die zeitgenössisch dargestellten, oft kokettierenden Damen der damaligen Romantischen Malerei, als sexistisch angesehen würden.
In den 1950er Jahren hat, zwar etwas verspätet, auch auf den Volksfestplätzen der Umbruch zur „Moderne“ begonnen. Die abstrakte Malerei an vielen Fassaden der Schaustellergeschäfte löste die Gegenständlichkeit ab und geometrische Abstraktionen wurden in zarten Pastelltönen gemalt. Das Lebensgefühl der Nachkriegsgeneration bestimmte die Dekoration der Volksfestarchitektur.
In den 1960er Jahren erfolgte zunächst kein Wandel im Dekorationsstil, sondern nur eine Erweiterung der Themen in der bildhaften Gestaltung. Die neuen Karussellkonstruktionen, wie Bobbahnen, Sprungschanze, Bayernkurve oder Schlittenexpress wurden in Bezug zu den Winterspielen in Campino d’Ampezzo von 1956 gesetzt und mit verschneiten Landschaften bemalt. Auf eine Beleuchtung mit Neonröhren wurde verzichtet; stattdessen wurden die Konturen der Schmuckdachkanten und bei den offenen Rundfahrgeschäften die Rückwände mit Lichtleisten akzentuiert. Die Formen der Schmuckdachkanten von Autoskootern wurden ausgeprägter, zeigten konvexe oder konkave Schwingungen und waren bemalt mit geometrischen, insbesondere rautenförmigen Mustern.
Bei den Rundfahrgeschäften in Skelettbauweise konnte eine durchgängige Anlehnung an Luft- und Raumfahrt in der dekorativen Gestaltung festgestellt werden.
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zog dann die neue Welle der Flower-Power-Idee in die Dekoration der Karussells ein. Zeitgenössische Darstellungen junger Menschen, die sich von den Zwängen der „verstaubten Gesellschaft“ befreien wollten, schmückten die Schmuckdachkanten der Karussells. Von den Pastelltönen der 1950er Jahre wechselte man zur Polychromie.
Auf den Fassaden der Lauf- und Belustigungsgeschäfte wurde erstmalig das bayrische Lokalkolorit auf eine humorvolle und klischeehafte Weise assoziiert. Vorlagen boten in der Vergangenheit und in der Gegenwart Illustrationen und Postkarten mit comicartigen Zeichnungen, auf denen nicht selten Männer mit großen Bierkrügen und hübsche Bäuerinnen in Trachtenkleidung dargestellt sind.
In den 1970er Jahren setzte sich die Gleichzeitigkeit verschiedener Stile der Dekoration fort. Neben der Flower-Power-Idee wurde auch die Musikszene thematisiert. Neu waren daneben die futuristische Form und Bemalung der Karussells. Bei den Lauf- und Belustigungsgeschäften begann die Thematisierung der Welt der Mayas und Pharaonen.
In der Baureihe von großen Schaukeln lieferten Abenteuer- und Piratenfilme der Weltliteratur die Vorlagen zur Gestaltung. Auch die bereits aus dem 17. Jahrhundert in der Kunst der Niederlande bekannte Marinemalerei fand ihre Verwendung auf den Fassaden von Schaustellergeschäften.
In den 1980er Jahren etablierten sich auf den Fassaden von Schaustellergeschäften auch collageartige Elemente aus Surrealismus, Pop Art, Fotorealismus und Street Art nebeneinander, vergleichbar mit den Werken von Malern der Neuen Leipziger Schule, wie beispielsweise Neo Rauch oder anderen Vertretern der gegenständlichen Malerei nach 1945. Zu nennen sind hier besonders der magische Realismus und die narrative Figuration.
Die Szenendarstellung der kulissenbauartigen Fassaden fanden bereits 1984 beim Break Dancer des Herstellers Huss Anwendung. Der Name Break Dancer stand in Bezug zu dem gerade in den Kinos anlaufenden Film „Breakdance Sensation 84“, der eine neue akrobatische Tanzform thematisierte. Schon bald übernahmen unterschiedliche Künstler die Bemalung dieser Baureihe. Darunter war auch Jacques Courtois, der bis 1993 unzählige Rückwände von offenen Fahrgeschäften aus dem Hause Huss in seinem Atelier in Paris malte.
Die afaw-Maler verzichteten in ihren figürlichen, geschlossenen Szenendarstellungen weitgehend auf eine perspektivische Anordnung. Die Malerei auf den kulissenartigen Fassaden wurde flächig und in kräftigen bunten Farben ausgeführt.
Der Franzose Jacques Courtois malte ähnliche Motive, aber mit einer erstaunlichen räumlichen Tiefe, wie man sie von den Zirkusdarstellungen von Edgar Degas kennt. Die einzelnen Szenen seiner Rückwandbemalung verschmolzen mit fließenden Farbverläufen zu einer Einheit, wie es auch in der klassischen Kunst bei James Rosenquist oder Neo Rauch zu sehen ist. Bei Beiden, afaw und Courtois, drängt sich der Vergleich mit Pop-Art-Künstlern wie James Rosenquist, Tom Wesselmann oder Malern wie Alex Katz auf.
Daneben wurden auf den Fassaden der neuen Lauf- und Belustigungsgeschäfte der Orient, der Horror, die Geister, die Psyche und Katastrophen thematisiert. Viele der Dekorationsmalereien griffen populäre Kino- und Fernsehfilme auf.
Kunsthistorisch hat die deutsche Volksfestkultur eine eigene Ästhetik entwickelt, aber dennoch sind immer wieder Vergleichbarkeiten zur zeitgenössischen, traditionellen Bildenden Kunst zu erkennen.
Fazit
Zusammenfassend ist eins sicher, Schaustellerinnen und Schausteller wollen Besucherinnen und Besucher nicht beleidigen oder die Frau als Sexualobjekt vermarkten. Sie arbeiten nach wie vor im Familienverband, in dem die Frau nicht selten den Ton angibt oder zumindest gleichwertig im Betrieb agiert.
Im eigenen Interesse liegt der Wunsch, den kulturellen Austausch und die Integration zu fördern, das Heimatgefühl zu stärken und das Brauchtum zu pflegen. Denn sie bringen den Menschen die spannende Mischung von bunten Bildern, Geräuschen, Nervenkitzel und Geschmacksempfindungen und wollen den Familien, den Großen und den Kleinen, den Jungen und Alten, schöne Stunden auf den Volksfesten bereiten.
Deshalb sind sicherlich alle Schaustellerinnen und Schausteller bereit, die Malereien auf den Fassaden ihrer Geschäfte nach eventuellen sexistischen Darstellungen zu untersuchen und, wo sie möglicherweise vorgekommen sind, zu korrigieren.
© Margit Ramus
Denis König, Mitarbeiter der Komet-Redaktion schrieb im Komet 5751 vom 20.05.2022 folgendes:
Denis König Beitrag zum Thema Sexismus
Michael Faber schrieb in der Kirmes und Park Revue 06/2022 Seite 106f ebenfalls einen Kommentar zu diesem Thema, der hier nachgelesen werden kann.
Faber Sexismus auf den Volksfesten
Quellen | https://www.tagblatt.ch/kultur/ist-das-noch-kunst-oder-schon-sexismus-ld.1484602 |