
Name(n) des Geschäftes | Fahrt ins Paradies |
Typologische Bauaufgabe | Berg- und Talbahn |
Bauform | Rundfahrgeschäft |
Baujahr | 1939 |
Hersteller | Friedrich Heyn |
Maler der aktuellen Dekoration | Toni Schleifer |
Bauherr / Inhaber | Jakob Pfeiffer aus Bruchmühlbach/Pfalz >> Toni Schleifer |
Baugeschichte
Am 25. April 1939, nur wenige Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, (der am 1. September 1939 begann und am 8. Mai 1945 endete) wurde die Berg- und Talbahn „Fahrt ins Paradies“ an den Schausteller Jakob Pfeiffer aus Bruchmühlbach/Pfalz ausgeliefert.
Jakob Pfeiffer starb während des Krieges. Sein Sohn Walter Pfeiffer reiste nach dem Krieg mit einem Etagenkarussell, der „Fahrt ins Paradies“, später kam ein Autoskooter und ein Kettenkarussell dazu.
Anfang der 1950er Jahre lagerte Walter Pfeiffer die kleine Berg- und Talbahn in einem Schuppen, im Garten seines Wohnhauses ein. Dort fiel das Karussell in eine Art Dornröschenschlaf, der fast 50 Jahre andauerte.
2001 starb Walter Pfeiffer im Alter von 91 Jahren. Sein Sohn Harald, mittlerweile schon über 70 Jahre alt, erbte das Haus mit Grundstück und Schuppen. Er fand die Karussellteile, alte Pläne und Fotos, einen Teil der alten Schellackplatten und einen ganzen Schuhkarton mit Fahrkarten der Bahn. Aus den alten Karussellunterlagen ging hervor, dass die Bahn von der Firma Friedrich Heyn aus Neustadt in Thüringen gebaut worden war. Die Annahme, dass die Stadt Neustadt vielleicht Interesse an dem alten Karussell haben würde, erwies sich als falsch.
Toni Schleifer erfuhr durch Zufall von Susanne Fredebeul von der Berg- und Talbahn. 2003 nahm er, nach eigenen Angaben Kontakt zu den Pfeiffers auf und besichtigte die Karussellteile. Er erzählte, dass es Ihm sofort klar gewesen sei, dass die „Fahrt ins Paradies“ erhalten werden müsse, da sich der feststehender Rundbau mit Zeltdach und umlaufender Schmuckdachkante in einem hervorragenden Originalzustand befand. Auch die Dachkonstruktion, die von einem Stützenkranz getragen wird, sowie der hölzerne Umgang und die Panneaux , die die Sockelzone umschließen, waren komplett. Toni Schleifer war davon überzeugt dass noch nie ein vergleichbares Karussell so eine lange Zeit unentdeckt überdauert hatte.
Nach Rücksprache mit dem TÜV Rheinland entschloss er zum Kauf. Der zuständige Ingenieur hatte ihn überzeugt, dass nichts dagegen spräche das Karussell wieder in Betrieb zu nehmen.
Trotzdem stand viel Arbeit an, die Toni Schleifer in einem Fotobuch dokumentierte, darin beschrieb er die einzelnen Restaurierungsschritte:
„Alle Bauteile wurden von alten Lackschichten gereinigt, schadhaftes Holz ersetzt, alles neu verleimt und neu lackiert. Die alten Malereien mussten aufwendig gereinigt und ausgebessert werden. Sämtliche Kabel wurden erneuert und die Elektrik nach heutigen Bestimmungen neu installiert. Ebenso musste noch ein neuer Packwagen gebaut werden. Bei der Restaurierung haben wir teilweise unter Anleitung eines professionellen Restaurators, möglichst viel Originalsubstanz erhalten, um den ursprünglichen Charakter des Geschäftes zu bewahren. Bei der ersten Probefahrt war selbst ein Besitzer eines modernen Fahrgeschäftes überrascht, von der angenehmen, aber doch rasanten Fahrweise.“ Toni Schleifer
Die Bilder in der folgenden Galerie sind Repros aus dem Fotobuch von Toni Schleifer und zeigen einige Karussellteile vor der Restaurierung. Sie sind mit der Genehmigung von Toni Schäfer hier eingestellt. © Toni Schleifer
Bilder anklicken und vergrößert durchsehen 🔎
Nach Jahren der Restaurierung fand am 31. Juli 2010 die Premiere dieses einmaligen Oldtimers auf der Dürener Annakirmes statt.
Mittlerweile begeistert das lustige Karussell die Menschen auf vielen traditionellen Volksfesten, Historischen Jahrmärkten und auch auf den Oldl-Wiesen in München. Von den älteren Berg- und Talbahnen, unterscheidet sich die „Fahrt ins Paradies“ durch die vier Berge und Täler, die ein entsprechend lebhafteres Fahrvergnügen bewirken. Mittlerweile hatte man den Vornamen der Tochter, Eva, auf der Schrifttafel der Schmuckdachkante hinzugefügt. Dort ist zu lesen:
Eva´s Fahrt ins Paradies.
Foto Oldl-Wiesn München 2010 /11 © Mark Schumburg
In der folgenden Galerie sind Bilder aus der Jahrhunderthalle in Bochum aus dem Jahre 2018 eingestellt. © Mark Schumburg
Erstes Karussell unter Denkmalschutz
Am 24. Juli 2025 wurde ein Traum der Familie Schleifer wahr, als ihr Karussell von der Stadt Zülpich, als Untere Denkmalbehörde, durch ihren Bürgermeister Herr Ulf Hürtgen unter den Schutz der Denkmalpflege gestellt wurde. In einem feierlichen Festakt wurde ihnen die Plakette vor der Eröffnung der diesjährigen Annakirmes in Düren vom Bürgermeister der Stadt Zülpich und den Herren Rasmus Radach und Dr. Sven Kuhrau von der LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland übergeben wurde.
In der Begründung heißt es:
„Die Berg- und Talbahn „Fahrt ins Paradies“ ist ein bewegliches Denkmal im Sinne des § 2 DSchG NRW (2022). Das Karussell ist bedeutend für die Geschichte des Menschen.“
„Die Erhaltung und Nutzung wegen der wissenschaftlichen und volkskundlichen Bedeutung liegt im öffentlichen Interesse.“
Jede Schaustellerin und jeden Schausteller werden diese Aussagen mit Stolz erfüllen, denn sie zeigen die Wertigkeit eines Karussells, mehr noch der gesamten Volksfest-Kultur.
Die folgenden Bildgalerie vermittelt einen kleinen Eindruck von dem Festakt der Verleihung.
Der Verfasserin erschien es wichtig die folgenden Textpassagen aus dem Gutachten der LVR Amt für Denkmalpfleger NRW zu zitieren. Sie berufen sich im Wesentlichen auf die Dissertation (Ramus 2013) der Verfasserin:
Konstruktionsbeschreibung
„Sechzehn Wagen für jeweils zwei Personen bewegen sich auf einer Kreisbahn von 16 Metern Durchmesser über jeweils vier „Berge“ und „Täler“ hinweg, die von einem wellenförmig gekrümmten Fahrbahnträger aus Holz gebildet werden. Die Chaisen sind auf steifen Auslegern montiert, welche am innen liegenden Ende mit dem rotierenden Drehkranz des Karussells verbunden sind und am äußeren Rand mit jeweils einem eisernen Rad auf dem stahlverstärkten Fahrbahnträger aufliegen. Die Ausleger können sich – der Bewegung des Fahrbahnträgers folgend – mit Hilfe einer stabilisierenden Doppelrollenkonstruktion am Drehkranz auf und ab bewegen, so dass sich die Wagen während der Fahrt zur Seite neigen, nicht aber nach vorne oder hinten kippen.
Die Konstruktion besteht aus einem hölzernen Stabwerk, welches die Kreisfläche um eine stählerne Mittelachse herum in 3 konzentrische Ringe mit 8 inneren Segmenten bzw. 16 Segmenten in den äußeren beiden Ringen unterteilt. Der innere achteckige Ring ist als Doppelprofil ausgeführt, in dessen Zwischenspalt pro Segment jeweils ein eisernes Rad eingespannt ist. Auf diesen Rädern liegt der Drehkranz auf, der unterseitig mit einer Zahnleiste bestückt ist. Ein über einen Transmissionsriemen durch den Antriebsmotor angetriebenes Zahnrad greift von unten in die Zahnleiste ein und treibt das Karussell mit einer Geschwindigkeit von bis zu 40 Stundenkilometern an. Auf dem mittleren Ring ist der wellenförmig gekrümmte Fahrbahnträger für die äußeren Laufräder der Ausleger befestigt, auf dem äußeren Ring steht die umlaufende hölzerne Arkadenkonstruktion, die das Zeltdach mit der umlaufenden Dachschürze trägt. Zwischen der Fahrbahn und der Arkadenkonstruktion befindet sich ein hölzerner Umlauf. Alle Bauteile sind zum Zweck des geordneten Auf- und Abbaus nummeriert.“Antriebstechnik
„Die Antriebskraft des Karussells wird bis heute vom bauzeitlichen Drehstrommotor der Berliner Firma Siemens-Schuckert erzeugt, der eine Leistung von elf Pferdestärken (ca. 8 Kilowatt) besitzt.
Um das Karussell ganz langsam anfahren, dynamisch beschleunigen und auch wieder verlangsamen zu können, ist die Motorendrehzahl stufenlos regulierbar. Dies geschieht mit Hilfe einer einfachen, bereits 1860 patentierten Konstruktion: dem Salzwasser-Anlasser. Dieser ist nichts anderes als ein regulierbarer Widerstand, mit dem sich die Stromzufuhr zum Motor stufenlos verändern lässt. Dazu wird der Strom über ein Metallblech – die Elektrode – in eine elektrisch leitende Flüssigkeit eingeführt.
Traditionell kommt dafür Salzwasser zum Einsatz, da Salz die Leitfähigkeit des Wassers deutlich erhöht. Das Salzwasser befindet sich in einem Metallbehälter, der über eine elektrische Leitung mit dem Motor verbunden ist. Sobald die Elektrode in das Salzwasser eintaucht, fließt Strom zum Motor; je tiefer das Blech eingetaucht wird, desto größer wird die Kontaktfläche mit dem hoch leitfähigen Salzwasser, und desto schneller läuft der Motor.
Die „Fahrt ins Paradies“ nutzt dieses Prinzip bis heute, auch wenn sich der Anlasser selbst nicht im Original erhalten hat. Der in den 1990er Jahren erneuerte Behälter ist unterhalb des Karussellbodens platziert und wird von oben bedient, in dem die Eintauchtiefe der Elektrode über eine Spindel mit Handrad stufenlos verstellt werden kann.“Bilder anklicken und vergrößert durchsehen 🔎
Dekoration
„Der Bildschmuck des Fahrgeschäfts bezieht sich in eklektizistischer Weise auf das Thema Paradies. Die gewellte Schmuckkante des Zeltdaches zeigt auf ihren Bildfeldern zwischen stilisierten Sonnenscheiben Landschaftsidyllen, die aus verschiedenen Ländern und Kontinenten zu stammen scheinen und mal Berglandschaften mit pittoresk eingestreuten Bauten, mal See- bzw. Meerlandschaften italienischen, englischen oder überseeischen Charakters zeigen. Der Figurenschmuck besteht aus Figurentafeln mit lang gewandeten Frauen und volkstümlich gekleideten tanzenden Kinderpaaren, die auf den Auslegern für die Chaisen befestigt sind. Sie werden, hierin an ältere Karussellbauten erinnernd, durch die Bewegung des Fahrgeschäfts auch tatsächlich zum Tanzen gebracht. Die Frauentypen, teils klassische Personifikationen (eine Victoria mit Siegeskranz und Posaune, eine weiß gekleidete Frau mit Kirschblüten als Personifikation des Frühlings, eine italienisch anmutende Frau mit Früchtekorb (Ceres, Sommer), ein Frau mit halb entblößter Büste und Füllhorn (Abundantia), dann aber auch eine Tänzerin mit Tambourine) erinnern mit ihren langen Gewändern an Frauenbilder der Belle Époque und des Klassizismus, verweisen mithin bereits auf ein verlorenes (vermeintlich goldenes) Zeitalter, während die Kindertanzpaare eine volkstümliche Idylle vorspielen.“
Interessant ist auch die Interpretation der Gutachter des LVR- Amts für Denkmalpflege im Rheinland der Dekoration. Dort heißt es:
„Thematisch bedient die Darstellung das Bedürfnis nach einer außergewöhnlich prunkvollen oder eben auch paradiesischen Welt. Auch noch in der NS-Zeit wirken diese traditionellen, auf das breite Publikum kalkulierten Bildwelten fort. So haben die Frauendarstellungen der „Fahrt ins Paradies“ nichts mit dem Frauenbild der Nationalsozialisten gemein. Die (volks-)tanzenden Kinderpaare mögen da im Sinne der Zeit eher schon ein sittliches Vergnügen darstellen.“
Einen herzlichen Glückwunsch an die Familie Schleifer und mögen sie noch viele Jahre mit ihrer
Eva´s Fahrt ins Paradies junge und alte Fahrgäste erfreuen.
© Margit Ramus
Unter dem Link, können Sie das komplette Gutachten nachlesen:
Gutachten der Denkmalpflege Zülpich
Weitere Fotos sind in der Fahrt ins Paradies Foto-Galerie zu sehen.