In einem Bericht im Kölner Stadt Anzeiger heißt es 1968:
„Seit etwa 1960 haben auch die Banken ihre Zurückhaltung bei der Finanzierung von Schausteller-Unternehmen aufgegeben. Auch für die Leiter der Geldinstitute sind aus dem fahrenden Volk reisende Geschäftsleute mit reellem Geschäftsgebaren und gut bürgerlichem Hintergrund geworden, denen gerne Kredite eingeräumt werden. Durchweg zahlen die Schausteller beim Kauf eines neuen Fahrgeschäftes ein Drittel des Preises bar. Sie rechnen mit einer Amortisation des investierten Kapitals in vier Jahren.“
Dies beschreibt die Finanzierung der Schaustellergeschäfte seriöser Hersteller der 1960/70/80 er Jahre, die sich auf solide wirtschaftliche Durchführbarkeitsstudien der Banken bezogen.
In der zweiten Hälfte der 1980er Jahren ändert sich die Struktur der Finanzierung eines Fahrgeschäftes, dazu hat Gerhard Mack 1998 einen Gastbeitrag in der Fachzeitschrift Kirmes und Park-Revue veröffentlicht.
Damals als „Warnung“ oder „Zukunftsorientierung“ betrachtet, folgte letztendlich eine Zäsur im Schaustellergewerbe, die Gerhard Mack in seinem Bericht vorausahnend auf den Punkt brachte.
Dennoch stellt sich die Frage, was wäre gewesen, wenn der Hersteller der dieses Finanzierungs-Procedere händelte, nicht in den Bau von Schaustellergeschäften eingestiegen wäre. Ohne Zweifel wären eine Vielzahl von ausgezeichnete Fahrgeschäfte nicht auf den Markt gekommen. Oder aber die im Karussell oder Schienengeschäfte erfahrenden Firmen hätten die Produktion aufgenommen. Niemand kann diese Frage beantworten, sicher ist, dass durch seriöse Finanzierungspraktiken „die Reise“, der Markt, nicht in so kurzer Zeit mit Fahrgeschäften überlastet worden wäre.
Kommentar der Verfasserin © Margit Ramus
Gastbeitrag von Gerhard Mack in der Kirmes & Park Revue 1998/4
„Kritische Gedanken zu Entwicklungen im Schaustellerwesen von Gerhard Mack, Waldkirch.
Mit gemischten Gefühlen sehen Schausteller in diesen Tagen dem Auftakt einer neuen Saison entgegen. In die eher zaghaften Hoffnungen und den zumeist gedämpften Optimismus fließen starke Momente der Unsicherheit, des Unwägbaren und der Ungewissheit.
Das war immer so, wird mancher sagen. Seit es Schausteller gibt und die Volksfeste sich zu etablieren begannen, ist jeder Start in die neue Saison der Beginn einer „Reise ins Ungewisse“. Stimmt. Kalkulieren im Sinne dieses Begriffs ließen sich Besucheraufkommen, Publikumsgunst, Konkurrenz oder Konjunktur-Einflüsse und Wetterglück oder Wetterpech noch nie für „die von der Reise“. Unternehmerisches Risiko zu tragen, gehört seit eh und je zu den elementaren Eigenarten ihres Berufes.
Und doch lastet auf einem großen – zu großen – Teil der Schausteller diesmal, vor dem Start in die Saison 1998, ein Sorgenpaket in zuvor kaum gekannten Ausmaßen. Fast möchte ich von einer Bürde sprechen. Von einer Bürde, die sich eine (leider eher zu- als abnehmende) Zahl von Schaustellern selbst auferlegt hat. Dass manche finanziell schwache oder ungesunde Schausteller von dem einen oder anderen Hersteller oder auch von obskuren Finanziers verleitet wurden, sich Bürden aufzuladen, die im doppelten Sinne „untragbar“ sind, will und darf ich in diesem Zusammenhang nicht verhehlen.
Um deutlicher zu werden: Es kann nicht richtig sein und es kann zu keinem guten Ende führen, wenn sich Schausteller neue oder auch gebrauchte, auf jeden Fall teure Fahrgeschäfte „anschaffen“, obwohl ihre Liquiditätsprobleme – oder zumindest ihr Mangel an finanziellem Polster – ein offenes Geheimnis sind. Vollends zum (leider nicht verbotenen) Glücksspiel geraten solche „Anschaffungen“ – es fällt schwer, hier das Wort „Machenschaften“ zu vermeiden – wenn jene Betreiber nicht einmal mit einer ordentlich erarbeiteten, auch nur halbwegs guten Tour rechnen können.
In solchen Fällen, die hier nicht als Schwarzmalerei geschildert werden, sondern Beobachtungen tatsächlicher Vorgänge sind – in solchen Fällen also ist der Weg in die Kriminalität nicht mehr weit. Und der Weg in die Abhängigkeit oder Unselbständigkeit ist damit bereits beschritten.
Verlust der Selbständigkeit
Meistens ist es dann zwangsläufig ein Weg ohne Umkehrmöglichkeit: Man hat den Verlust der Selbständigkeit, die noch über Generationen für den Beruf des soliden Schaustellers charakteristisch war und weiterhin bleiben sollte, in Kauf genommen. Und das nur wegen eines Fahrgeschäfts, das man sich in Wahrheit- unter vernünftigen kaufmännischen Aspekten – überhaupt nicht leisten kann. Und dass man sich deshalb auch nicht „leisten“ (sprich „aufbürden“) sollte.
Hier mag eingewendet werden, dass in einer Demokratie mit sozialer Marktwirtschaft ein jeder sich das Geschäft seiner Wahl anschaffen und es finanzieren (oder finanzieren lassen) kann, wie er es für richtig hält. Zugegeben. Nur:
Wenn diese Fahrgeschäfte, deren hohe Kosten von den fälschlich als „Inhaber“ bezeichneten Betreibern nie und nimmer erwirtschaftet werden können, auf die Plätze drängen – ja dann ist ein höchst ungesunder, volkswirtschaftlich unvertretbarer Konkurrenzdruck perfekt.
Leidtragende sind dann die traditionsbewussten, „echt“ selbständigen Schausteller, die für ihre transportablen Geschäfte alles riskieren und einsetzen, was sie und ihre Vor-fahren mit ihren Familien in Generationen schwer erarbeitet haben. Und dazu gehört auch ihr guter Ruf.
Branchenjargon und Wahrheit
Die sogenannten „Werksfahrer“, um hier zur Verdeutlichung einen längst geläufigen Ausdruck zu verwenden, ziehen mit der Neuheit sozusagen „über die Dörfer“ – und vermasseln damit direkt und indirekt den unternehmerisch solide und korrekt arbeitenden Risikoträgern unter den Kollegen die vierte oder fünfte Saison: die Tour über Plätze zweiten und dritten Ranges, wo die betreffenden Fahrattraktionen dann immer noch als „Neuheit“ herausgestellt werden und Furore machen könnten.
Ganz offen frage ich hier: Sollten diese „Werksfahrer“ nicht einmal selbstkritisch in den Spiegel schauen und darüber nachdenken, was sie denn beruflich wirklich wollen, wohin sie sich selbst samt ihren Nachkommen steuern – und wie sie den Berufsstand der Schausteller für die Zukunft sehen? Und wie sie die weitere Entwicklung dieser Branche als Wirtschaftszweig und als Kulturgut vorantreiben und mitgestalten wollen?
Ähnliche Fragen sollten sich auch manche Veranstalter, städtische wie private, stellen.
Zwar zum Glück nicht alle, aber dennoch zu viele unter ihnen schauen nicht gründlich genug auf die unternehmerische und persönliche Bonität und Integrität des einzelnen Bewerbers. Vielmehr sind sie durch falsche Eitelkeit und unangebrachten Geltungsdrang einer regelrechten Neuheiten- und Attraktivitätssucht verfallen und vergessen dabei Tradition, Eigenart und Volkstümlichkeit der Feste, die sie verantworten. Und sie vergessen ihre ungeschriebene volkswirtschaftliche Verpflichtung bei der Bewerberauswahl. Wie gesagt, gewiss nicht allen Entscheidern über Zu- oder Absagen ist das vorzuhalten, aber doch einer ganzen Reihe unter ihnen.
Die Platzmeister und die Leiter der zuständigen Ämter sowie die Mitglieder in den kommunalpolitischen Ausschüssen müssen doch wissen, dass sich ein vom Eigentümer betriebenes und von ihm mit seiner Hausbank finanziertes Fahrgeschäft nicht schon noch zwei, drei oder vier Jahren amortisiert hoben kann. Da bleiben immer noch Zahlungen zu leisten, die mit der Hausbank abzuwickeln sind.
Deshalb muss der solide Schausteller auch mit der gleichermaßen soliden Partnerschaft der Städte und ebenfalls der privaten Veranstalter rechnen können – wie umgekehrt diese mit dem Schausteller und seinem Geschäft rechnen.
Allzu oft aber wird, besser „neu“ als bewährt, eine Absage an den bekannten und bisherigen Partner erteilt und statt seines Geschäfts eine Neuheit bevorzugt, obwohl dies für die Zugkraft und Attraktivität des Platzes so schnell – gleich im ersten oder zweiten Jahr nach der Fertigstellung – noch keineswegs erforderlich ist. Die Bevorzugung der Neuheit mag in Ordnung sein, wenn es sich um ein vom Inhaber geführtes, seriös finanziertes Geschäft handelt.
Fatal oder sogar skandalös wird die Sache jedoch, wenn ein „Werksfahrer“ mit der Neuheit, die nicht „sein“ Geschäft ist und nie „seines“ werden wird, aufkreuzt – und andere, vernünftig wirtschaftende Kollegen verdrängt und ihnen nicht selten sogar Existenznöte bereitet.
Sage jetzt keiner, so etwas gebe es nicht! Auf mindestens einem großen Traditions-Volksfest wird in diesem Jahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Schausteller mit einem „millionenschweren“ neuen Fahrgeschäft stehen, der nachweislich seit rund zwei Jahren nicht einmal Rechnungen von DM 1500,- bis DM 2000,- bezahlen kann, wie er den Gläubigern gesteht.
Besonders schlimm: Tauschhandel mit Leihgaben: Diese mehr oder weniger zutreffend als „Werksfahrer“ bezeichneten wenigen schwarzen Schafe unter den Schaustellern kommen bestürzend schnell mit neuen Geschäften auf den Markt – und stoßen diese genauso schnell wieder ab; sie geben es schlicht und einfach zurück, tauschen es quasi um gegen ein anderes. Nicht Kauf und Verkauf finden da statt, sondern förmlich ein „Tauschhandel mit Leihgaben“. Wer daran auch immer verdienen und profitieren mag – Schausteller sind es mit Sicherheit nicht!
Verführung und Knebelverträge
Um Missverständnissen vorzubeugen, sei betont, dass ich hier nicht gegen Innovationen und Modernisierungen plädiere. Die müssen sein, sind sogar unverzichtbar für den Erhalt der Festplätze und für die Pflege des Schaustellertums. Zu verurteilen aber sind unseriöse Finanzierungsmethoden (sofern von wirklicher Finanzierung überhaupt die Rede sein kann). Und zu verurteilen sind ebenfalls Verführungen und regelrecht knebelnde Verträge mit Schaustellern, die ihre finanziellen und unternehmerischen Möglichkeiten aus Großmannssucht oder Selbstüberschätzung falsch einstufen, was der Hersteller oder Lieferant wie ebenfalls Banken oder Leasinggesellschafter unschwer erkennen können, wenn sie es denn wollen.
Die ganze Problematik ist für die Fachwelt nicht eben neu.
Allenthalben wird darüber geflüstert oder hinter der hohlen Hand gesprochen – mit Nennung von Namen. Auch in den Verbänden kommt das Thema öfter auf den Tisch; aber weil das eine oder andere Mitglied zu den schwarzen Schafen zählt, wird die Peinlichkeit schnell unter den Tisch gekehrt. Man möchte doch keinem Mitglied auf die Füße treten, damit es nur ja nicht zum Konkurrenzverband wechselt (ein solcher verbandsinterner Vorgang ist mir effektiv bekannt).
Offene Worte unverzichtbar
Die großen Verbände – DSB und BSM – müssten doch, das ist meine feste Überzeugung, in der Öffentlichkeitsarbeit und speziell in prekären problematischen Situationen wie den hier geschilderten als geschlossene Einheit auftreten und konstruktiv-kritisch die Tatsachen und Entwicklungen anprangern, die dem gesamten Berufsstand schaden und ihn auf Dauer ernsthaft gefährden. Halbherzigkeit und Rücksichtnahme auf vereinzelte Mitglieder sind gegenüber der Mehrheit unverantwortlich und nagen an der Substanz der Glaubwürdigkeit und der Überzeugungskraft der Verbände. Auch Aufklärung und betriebswirtschaftliche Beratung sollte gelegentlich eine Aufgabe des zur Neutralität und Objektivität verpflichteten (!) Verbandsgeschäftsführers sein.
Es ist doch unschwer schon an der Höhe des Anschaffungspreises mancher Fahrgeschäfte festzustellen, dass da die Mitfinanzierung von (meist über-höhten) Krediten bereits einkalkuliert ist. Solches auch in der Absicht, die im Grunde gar nicht zahlungsfähigen Kunden langfristig zu binden – sie regelrecht abhängig zu machen. Über Inzahlungnahmen für ein anderes Geschäft lässt sich bei solcher Art unseriöser Finanzierung dann leichter ‚leichter‘ für den Lieferanten – reden.
Resultat: Verschuldungen der Schausteller ohne Ende.
Oder sogar der Anfang vom Ende des freien Unternehmertums im jahrhundertealten Schaustellerwesen?
Ganz offen und ungeschönt erkläre ich hier: Eine Marktbereinigung muss stattfinden in dieser Branche. Die Spreu muss vom Weizen getrennt werden. Sonst geraten fast jegliche Investitionen von Schaustellern und — in logischer Konsequenz — auch ihrer Lieferanten förmlich zum Selbstmord, Und neben dem Verlust von Arbeitsplätzen entstehen immense volkswirtschaftliche Schäden.
Mit der Wiedereinführung ordentlicher Geschäftsgebaren in dieser Branche ist die Besinnung auf eine veränderte Unternehmenskultur unerlässlich. Und dazu gehören auch Selbstkritik und bessere menschliche Umgangsformen. Mit diesem Appell, der zum Nachdenken anregen soll, richte ich mich an alle direkt und indirekt Beteiligten: Schausteller und Marktkaufleute, Hersteller und Vermittler, Platzmeister und Behörden oder Privatveranstalter. Es geht darum, irreparablen Schaden abzuwenden von einem großen, traditionsreichen Berufsstand.“
© Gerhard Mack Gastbeitrag
Quellen | Mack, Gerhard: Verkommt Die Reise der Schausteller zum Glücksspiel? In: Kirmes & Park Revue 1998 Ausgabe 4 S. 46f
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