Schaustellerbranche im Spiegel der Tagespresse A - Z

1993 Vergessene Romantik der Schausteller

Buntes Amüsement trotzt der allgemeinen Konjunkturflaute — Attraktive Neuanschaffungen bereichern Volksfeste

Von unserem Redaktionsmitglied Samira Sachse
„Die Schaustellerromantik ist völlig den Bach runtergegangen“, klagt Bruno Schmelter, Vizepräsident des Deutschen Schaustellerverbandes (DSB). Doch nicht so sehr den verklärten Blicken am abendlichen Lagerfeuer trauert er nach, er meint mehr die wachsenden Sorgen bei der Suche nach Saisonarbeitern. An vielen Ständen wären Schilder angebracht mit: „Suche junge Leute zur Mitreise“. Die Resonanz jedoch sei schmal.

Sicherlich sind auch die Verdienstmöglichkeiten nicht horrend, gesteht er, denn mit durchschnittlichen Monatslöhnen von 2500 Mark im Westen oder 1500 Mark im Osten kann schwerlich gelockt werden. Deshalb müssten die Karussellbetreiber oder andere Berufskollegen verstärkt auf ausländische Arbeitnehmer zurückgreifen. Hier klemme die Säge jedoch genauso, denn die Erlaubnis für Arbeit und Aufenthalt liege bei nur drei Monaten. Mit verschiedenen Bundesministerien stehe der DSB deshalb in intensiven Verhandlungen. „Mindestens neun Monate brauchen wir diese Arbeitskräfte“, so Schmelter. Die Wettbewerbsfähigkeit des Gewerbes solle damit längerfristig abgesichert werden.

Der Blick auf die Geschäftsbilanzen offenbart allerdings kein pessimistisches Bild. Immer-hin setzten die rund 4400 Mitgliedsbetriebe des DSB mit ihren 30.000 Beschäftigten im Vorjahr 1,74 Milliarden Mark um.
Dies seien zwar zehn Prozent weniger als 1991, doch laut Schmelter lasse sich damit leben. Die Besucherzahl blieb mit 205 Millionen auf hohem Niveau stabil. Die Mischung aus Tradition und Nostalgie, aus Ess-Party und Amüsement auf den deutschen Rummelplätzen und Festwiesen hat kaum an Anziehungskraft eingebüßt.
Auch in den neuen Bundesländern sei die Zahl von einst 650 Schaustellerbetrieben – meist Familienunternehmen – relativ konstant geblieben.

Laut Dr. Norbert Weigang, Hauptgeschäftsführer des Leipziger Schaustellerverbandes, hätten alle früheren 120 Firmen, welche in der Messestadt ansässig waren, den Sprung in die Marktwirtschaft geschafft.
Was den Bayern ihr Oktoberfest ist den Sachsen die Annaberger Kät oder die Dresdener Vogel-wiese.
Mit großen Aufwendungen brachte fast jeder Besitzer seinen Kleinbetrieb auf den neuesten Standard. Attraktive Neuanschaffungen wurden getätigt, denn mit den Karussells aus Uromas Zeiten haben die modernen und mitunter mit Hightech vollgestopften Fahrgeschäfte nicht mehr viel gemein.
Da die Anschaffungspreise schwindelerregende Höhe erreichte, muss der Festgast auch tiefer in die Tasche greifen als in DDR-Zeiten. Zum Glück für die Ostdeutschen sei aber im Preisniveau noch nicht die Einheit vollzogen. Der wirtschaftlichen Lage hierzulande würden die Gebühren um 20 bis 30 Prozent niedriger liegen.

© Samira Sachse, Leipziger Nachrichten 1993

Abschrift vom originalen Zeitungsartikel © Margit Ramus

 

 

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