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1972 Tokaido-Express war nicht mehr betriebssicher

Vernichtendes Urteil der technischen Experten-Kommission:

Tokaido-Express“ war nicht mehr betriebssicher
Nach dreitägiger Untersuchung und stundenlangen Fahrversuchen gestern Abend vorläufigen Befund bekanntgegeben – Starker Verschleiß an Laufrädern und Rollen – Überbesetzung spielte nur „in geringem Maße“ eine Rolle – Rätsel zum Zeitpunkt der letzten Überprüfung – Bayreuther Behörden schuldlos

Das Rätsel um das Bayreuther Volksfest-Unglück scheint gelöst. Das Ergebnis aber ist erschreckend: Nicht fröhlicher Leichtsinn war die Ursache, nein – der „Tokaido-Express“ war nicht betriebssicher! Seine Laufrollen und Stützräder sind so abgenutzt, dass sie in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt waren. Das ist der vorläufige Untersuchungsbefund der technischen Experten. Nur so, meinen sie, konnte es geschehen, dass der letzte Wagen während der Fahrt von der Bahn abhob und damit eine Katastrophe auslöste. Dass in ihm vier statt der erlaubten zwei Personen saßen, kann „nur in geringem Maß“ dazu beigetragen haben. Das ist eine klare Antwort. Offen aber bleibt noch die Frage, wie und warum dieser lebensgefährliche Zustand unentdeckt bleiben konnte. Man weiß bis zur Stunde nicht einmal, ob das rasante Gefährt im Vorjahr technisch überprüft wurde, wie es die Vorschrift gewesen wäre.

Dieser vorläufige Befund, der erst dann rechtsverbindlich werden kann, wenn man ihn schriftlich als Gutachten fixiert haben wird, ist das Ergebnis von technischen Untersuchungen, die insgesamt drei Tage in Anspruch nahmen und die gestern in mehrstündigen Fahrversuchen ihren Höhepunkt fanden.
Ungerührt vom strömenden Regen ließ ein starkes Team von Experten aus München, Nürnberg und Bayreuth den Unglückszug, der fünf Tage lang still als makabres Denkmal gestanden hatte, aufs Neue seine Runden ziehen: mal langsam, mal schnell, leer und mit Sandsäcken beladen. Ihr besonderes Augenmerk richteten die Fachleute dabei innerhalb der 179 Meter langen, gewundenen, auf- und absteigenden Bahn vor allem jener steilabfallenden Rechtskurve in der das Unheil seinen Anfang genommen hatte. Der Zug durchrast sie in 2,7 Sekunden.

Sorgfältige Zeitnahmen lassen, in Tabellen zusammengestellt, ahnen, dass „der schnellste Zug der Welt“, hinter seiner stolzen Fassade och weitere technische Tücken verbarg, die freilich noch immer nicht klar erkannt sind und auch kaum ausschlaggebend gewesen sein dürften. In jedem Fall scheint es auch hinsichtlich der Fahrgeschwindigkeit einige Unregelmäßigkeiten gegeben zu haben. 
Entscheidend war der erschreckende Zustand der Laufräder und Stützrollen, die teilweise so abgenutzt waren, dass sie nicht einmal mehr ihren ursprünglichen Umfang aufwiesen oder deformiert waren. 
Die Techniker machten sich ihr Urteil nicht leicht. Während in der großen Hähnchen-Braterei schon längst der abendliche Hochbetrieb eingesetzt hatte, saßen sie noch – müde und durchnässt – unbeachtet abseits an einem Tisch, um in einer gemeinsamen Besprechung das Fazit aus ihren Feststellungen zu ziehen. Kurz vor 20 Uhr wurde es dem KURIER auf Anfrage telefonisch mitgeteilt.

Übrig bleibt- wie schon gesagt – die brennende Frage, wie eine solche tödliche Panne unentdeckt bleiben konnte. 
Der „Tokaido-Express“ wurde im Juni 1970 gebaut. Nach den Vorschriften wäre er also im Sommer des vorigen Jahres zu einer gründlichen Untersuchung beim Technischen Überwachungsverein angestanden.

Aber niemand kann sagen, ob sie auch tatsächlich erfolgte.

Der jetzige Besitzer, Wenzel Elster aus Offenbach, hat das aufwendige Geschäft erst im Januar dieses Jahres gekauft. Vorher hatte es – abgesehen von Gastspielen auf verschiedenen Volksfesten – im Hamburger „Volkspark“ gestanden. Es kann, so räumt man bei Landesgewerbeanstalt und TÜV ein, sein, dass es damals in der Hansestadt vorschrifts- und turnusgemäß überprüft wurde, dass man nur den entsprechenden Stempel vergaß, der in Elsters Betriebsunterlagen fehlt. Aber ob das so ist, oder das Gefährt seit seiner Herstellung nicht mehr kontrolliert wurde, kann im Augenblick niemand sagen.

Fest steht nur, dass jene Bayreuther Behörde, die auf dem Volksfestplatz den „Tokaido-Express“ zu kontrollieren hatte, das Tiefbauamt nämlich, keine Schuld an dem Unglück trifft. „Hier handelte es sich“, so erklärt die Kriminalpolizei, „nur um eine Gebrauchsabnahme und dabei lassen sich solche Fehler nicht feststellen.“ 
Den vier Toten hilft das nichts mehr.

Abschrift vom originalen Zeitungsartikel vom 27./28. Mai 1972 Bayreuther Nachrichten

 © Margit Ramus

 

 

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