Im Jahre 2022 haben Vertreterinnen der Ratsfraktion der Grünen bei einem Rundgang über das Frühlingsvolksfest in Stuttgart die Dekorationen einiger Schaustellergeschäfte als sexistisch kritisiert.
Auf Ablehnung stieß die Darstellung einer barbusigen Dame auf der Schmuckfassade eines Spielgeschäftes, in dem man auf Korken schießen kann. An einem anderen Geschäft war auf einem Seitenteil, in Fachkreisen „blinde Front“ genannt, die Comicfigur eines kleinen Mädchens im Bast-Rock zu sehen.
Ein weiteres Bild ging später durch die Presse, auf dem der Kopf einer jungen Frau in Schräghaltung dargestellt war, deren eine sichtbare Schulter nur mit einem Träger bedeckt war. Die junge Frau machte den Betrachter auf eine Waffel mit Kirschen und Sahne aufmerksam.
Diese Abbildungen können durchaus als sexistisch eingestuft werden, denn es werden die Reize einer Frau dazu verwendet, Appetit auf süße Waffeln hervorzurufen oder auf das Spielgeschäft aufmerksam zu machen.
Presse und Medien haben das Thema natürlich gerne aufgegriffen, obwohl sie selbst bis vor nicht allzu langer Zeit sexistische Werbung zuließen und auch Titelblätter mit nackten Frauen verwendeten.
Das Wort ‚Sexismus‘ ist in unserem täglichen Sprachgebrauch eher ungewöhnlich und kann leicht erschrecken, weil das Wort ‚Sex‘ in die Privatsphäre weist. Aber es handelt sich dabei um einen Fachbegriff, der auf lateinisch ‚sexus‘ für Geschlecht zurückgeht.
Sexismus ist eine Art von Diskriminierung.
Sexismus bedeutet die Benachteiligung, Abwertung, Verletzung und Unterdrückung einer Person oder einer Gruppe aufgrund des Geschlechts.
Selbstverständlich beabsichtigen keine Schaustellerin oder kein Schausteller mit provokanten, sexistischen oder sogar rassistischen Bemalungen ihrer Geschäfte das Publikum und vor allem die Familien mit ihren Kindern zu brüskieren, Menschen zu diskriminieren, abzuwerten oder in ihren Gefühlen zu verletzten.
Deshalb waren die entsprechenden Firmen unmittelbar bereit, die Fassaden ihrer Geschäfte zu modernisieren. Die barbusige Dame bekam ein Bikinioberteil aufgemalt und auch die anderen Kollegen fanden schnell kurzfristige Lösungen, das Ärgernis aus der Welt zu schaffen.
Dies ist eine Selbstverständlichkeit und Teil unserer Schaustellerkultur, denn wir pflegen unsere Geschäfte sorgfältig und passen sie dem Zeitgeist und dem Anspruch des Publikums stets an. Es wird in der Regel viel Geld für die Dekoration, die Malerei und das gesamte Equipment investiert. Manchen Schaustellern sowie vielen Besucherinnen und Besuchern ist gar nicht bekannt, dass die Dekorationen von Schaustellergeschäften häufig von durchaus künstlerischer Qualität sind. Dazu trägt im Wesentlichen bei, dass die Malerei nicht selten von Künstlern mit akademischer Ausbildung stammen, wie z.B. dem im Mai 2022 verstorbenen Jacques Courtois, oder von Maciej Bernhardt, einem ehemaligen Mitglied des „Ateliers für angewandte Werbung“ und vielen anderen guten Malern.
Ich habe 2013 u.a. über die Malerei der Schaustellergeschäfte promoviert und kam während meiner Recherchen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Bei einem Bummel über einen Festplatz entdeckt man ungemein schöne Malereien, die ihre Vorbilder in der bildenden Kunst finden.
Der Franzose Jacques Courtois war einer der ganz Großen in der französischen Kunstszene und liebte auch seine Arbeiten an vielen Karussells der Herstellerfirma Huss. Er malte Fassaden mit einer erstaunlichen räumlichen Tiefe, wie man sie von den Zirkusdarstellungen von Edgar Degas kennt. Die einzelnen Szenen seiner Rückwandbemalung verschmolzen mit fließenden Farbverläufen zu einer Einheit, wie es auch in der klassischen Kunst bei James Rosenquist oder Neo Rauch zu sehen ist. Es drängt sich auch der Vergleich mit Pop-Art-Künstlern wie James Rosenquist, Tom Wesselmann oder Malern wie Alex Katz auf.
Ein zweites Beispiel: Maciej Bernhardt studierte Malerei an der Kunstakademie Krakau im Atelier von Professor Jerzy Nowosielski. Er malte u.a. im Jahr 2005 die Fassade der Geisterbahn Daemonium, eine von Dämonen bewohnte, mächtige mittelalterliche dreistöckige Burganlage. Thematisiert wurde die Fahrt durch eine mittelalterliche Folterkammer. Viele Nischen und Öffnungen erzählen in Bildern gruselige Geschichten von Folterungen. Bernhardt fertigte auch Skulpturen an.
Eines der nächsten großen Werke von Maciej Bernhardt und seiner Frau Maria, ebenfalls Künstlerin, war die Indoor Schienenbahn Höllenblitz. Thematisiert ist eine alte Goldgräbermine, die in eine riesige Felsenwand aus Steinquadern eingebettet ist. Vorlage bot der Zauberberg von Thomas Mann. Es ist eine wundervolle Fassade, deren Entdeckung schon den Besuch auf einem Volksfest gerechtfertigt.
Maciej Bernhardt malte später auch die rückwandige Fassade des Voodoo Jumpers. Sie zeigte eine Frau, die sich die Hände vor die Brust hält, weil ein Affe ihr das Bikini-Oberteil geklaut hat. Daneben befindet sich ein dunkelhäutiger Mann, der die Szene beobachtet. Diese Abbildung wurde auf dem Münchner Oktoberfestes 2023 als rassistisch und sexistisch kritisiert. Die Presse schrieb, dass „stereotype, rassistisch überzeichnete Bilder von schwarzen Menschen und sexistische Darstellungen von leicht- oder gar nicht bekleideten Frauen“ dargestellt sind. Die Inhaberin Martina Dorenkamp-Schäfer, die das Fahrgeschäft mit ihrer Familie betreibt, war von den Vorwürfen völlig überrumpelt und geschockt, denn so hatte sie die Bemalung bisher nicht gedeutet.
Sexismus beruht auf althergebrachten unhinterfragten Geschlechtsrollenklischees, wie sie in unserer Welt immer noch weit verbreitet sind. Er fällt immer erst dann auf, wenn sich mit diesem Thema auseinandergesetzt wird.
Auch die Fassade einer Wurfbude einer Schaustellerin aus München erweckte Ärgernis. Die Fassade ihres Geschäftes war im bayrischen Lokalkolorit gemalt. Ein junger Mann beim „Fensterl“ und ein Esel schnappte nach dem Kleid eines jungen Mädchens und dabei wurde eine Brust etwas entblößt.
Die Schaustellerinnen beteuerten beide, dass die Bemalung der Fassaden niemals diskriminierend gemeint war. Dass sich jemand beleidigt fühlen könnte, wäre ihnen nie in den Sinn gekommen. Aber dies dürfe natürlich nicht sein, denn Volksfeste seien Orte der Freude, der Entspannung und dem Wohlgefühl der ganzen Familie.
Die Münchnerin ließ große Herze anfertigten und diese wurden über die anstößigen Details des bayrischen Gaudis auf ihrer Wurfbude geklebt.
Die umstrittenen Szenen der Fassade des Voodoo Jumper wurden von Maciej Bernhardt, der das Fahrgeschäft während der Bauphase schon bemalt hatte, in der darauffolgenden Winterpause umgestaltet. Die Frau, die auf dem Fahrgeschäft zu sehen war, trägt nun ein grünes Oberteil und eine kurze Hose und der Affe, der ihr einst das Bikinioberteil gestohlen hatte, reckt ihr jetzt einen Blumenstrauß entgegen. Auch der dunkelhäutige Mann ist verschwunden, an seiner Stelle ist nun eine Musikbox zu sehen. Die Wiesn-Stadträtin Anja Berger soll gesagt haben: „Ich bin erleichtert, dass es eine Lösung gibt“ Quelle…
Diese beiden Vorfälle in Stuttgart und München blieben jedoch nicht ohne Folgen.
Die einen meinten, die Kritik sei total überzogen, andere wurden plötzlich aufmerksam und teilten die Kritik.
Schon im September 2022 wurde auf einer Referententagung der bundesweiten Volksfestveranstaltern in Bonn, anlässlich des Pützchens Marktes, beschlossen, dass Geschäfte jeglicher Art, dessen Fassadenmalerei Anlass zur Kritik geben könnten, in Zukunft nicht mehr zugelassen werden. Aber bei kritischer Betrachtung der weit über 1000 Anfragen für das Jahr 2024, wurde festgestellt, dass keine fünf Geschäfte in die Kategorie „bedenklich“ fielen. Man habe den Inhabern nahegelegt, ihre Fassaden nachzuarbeiten und dies sei in allen Fällen geschehen.
Ohne Zweifel müssen wir alle bewusster mit den Themen Sexismus und Rassismus umgehen, denn niemand kann von sich behaupten, dass sein alltägliches Handeln ohne althergebrachte Klischees auskommt.
Für Schaustellerinnen und Schausteller ist es beruhigend zu wissen, dass Fassaden mit sexistischen oder rassistischen Sujets inzwischen von Volksfestveranstaltern nicht mehr zugelassen werden.
Die Schaustellerverbände und die Kulturgut Volksfest gUG unterstützen diese Entscheidung, denn solche Fassaden haben auf einem Volksfest nichts zu suchen.
© Margit Ramus
Am 2. Juni 2022 schrieb Frank Hakelberg ein Positionspapier
zum Vorwurf des Sexismus/Rassismus in Bezug auf Dekorationen
von Fahr- und Verkaufsgeschäften auf Volksfesten:
Positionspapier sexistische-rassistische Dekorationen an Fahrgeschäften
Quellen | https://www.tagblatt.ch/kultur/ist-das-noch-kunst-oder-schon-sexismus-ld.1484602 |