Der Deutsche Schaustellerbund e.V., kurz DSB, gab in der Vergangenheit einige Marktstudien (1950, 2000, 2012) zur deutschen Volksfestkultur in Auftrag. Thematisiert wurde neben der kulturpolitischen Bedeutung auch die Volkswirtschaftliche Bedeutung der Volksfeste.
Betrachtet man die jüngsten Besucherzahlen, so überrascht, dass die Anzahl der Volksfestbesucher in den jeweils untersuchten Zeiträumen, die Zahl der Besucher in der gesamten Bundesliga sowie die der Museumsbesucher um ein Vielfaches übersteigt.
Geografisch über die ganze Bundesrepublik verteilt finden etwa 9.750 große und kleine Volksfeste statt. Sie sind integriert in den Veranstaltungskalender vieler Städte und Gemeinden.
Ohne Zweifel expandieren Großveranstaltungen und auch Veranstaltungen mittlerer Größe. Sie werden meist von der gesamten Stadtbevölkerung sowie aus dem umliegenden Einzugsgebiet besucht, z.B. die Cranger Kirmes, zu der sich das ganze Ruhrgebiet bekennt und sie als ihr „Jahres Highlight“ bezeichnet. Auch die Dürener Annakirmes sowie der Pützchens Markt werden von der Bevölkerung in einem großen Radius als ihr traditionelles „Heimatfest“ geliebt, gelebt und unterstützt.
Kleine zum Teil jahrhundertealte Traditionsveranstaltungen fallen dagegen einfach weg.
Ein Beispiel wäre die Köln-Mülheimer-Gottestracht. Sie wurde von einem der ältesten Schützenvereine Deutschlands den St. Sebastianer-Schützen gemeinsam mit sechs katholischen Pfarreien seit dem 14. Jahrhundert an Fronleichnam gefeiert. (Petzoldt 1983 S. 277)
Bis in die 1990er Jahre war es eine Spitzenveranstaltung, zu der Schausteller und Schaustellerinnen aus ganz Deutschland mit ihren Geschäften anreisten.
Die Teilnahme war sehr begehrt.
Eröffnet wurde die Mülheimer-Gottestracht mit Böllerschüssen, die auch die einzigartige Schiffsprozession auf dem Rhein ankündigte. Hunderte Menschen säumten die Brücken und die beiden Rheinufer. Aus allen Vororten Kölns nahmen die Kommunionkinder in ihren weißen Kleidern und blauen Anzügen an den Messen auf den Schiffsdecks teil.
Es war ein wichtiges Ereignis im Kirchenkalender von St. Clemens und das Fest wurde gemeinsam mit den Kölner Schützenvereinen, den Schaustellern und den Kölner Bürgern gefeiert.
Wie konnte es geschehen, dass heute die Veranstaltung „Mülheimer Gottestracht“ nur noch ganz wenige Kölner Schausteller anzieht?
Der Aufbau der Schaustellergeschäfte lohnt sich kaum noch. Denn die Besucher und Besucherinnen finden sich nur noch vereinzelt auf den Brücken oder den Rheinufern um die wenigen Schiffe zu betrachten.
Zum einen könnte es die Gier der Schützen gewesen sein, denn Jahr für Jahr stiegen die Standgebühren und die Anzahl der teilnehmenden Schausteller an.
Die Standfläche des Festplatzes wurde durch Einbezug vieler Straßen immer größer. Und die Besucherzahlen gingen zurück.
Viele alteingesessene Mülheimer Bürger starben und Köln-Mülheim wurde zu einem multikulturellen Kölner Stadtteil.
Ein weiterer Grund könnte sein, dass die Schützenvereine kaum noch Nachwuchs haben. Somit fand dieses großartige Volksfest, welches die Kirche, die Schützenvereine und Menschen aller Altersstufen für ein paar Tage vereinte, ein trauriges Ende. (Verfasserin Zeitzeugin)
Was sind die Gefahren für den Erhalt der Volksfeste?
- Städtebauliche Veränderungen, die die Verlegung traditioneller Standorte, überwiegend der kleineren Volksfeste, erfordern.
- Zunahme und Erweiterung von Vorschriften, mit denen Politik und Behörden auf Klimawandel (Umweltschutz, Fahrverbote), gesellschaftliche Veränderungen (Sicherheitsnormen) reagieren, deren Einhaltung sich oft als problematisch und kostenintensiv darstellt.
- Kommunale Sparmaßnahmen, ungünstige Haushaltslagen und angebliche Unwirtschaftlichkeit der Veranstaltungen.
- Kostensteigerungen bei Standgebühren, Stromkosten, Löhnen und Sozialabgaben sowie Waren.
- Klimawandel, der inzwischen durch Extremwetterereignisse nicht selten eine temporäre Schließung der Veranstaltung erfordert, die einen Rückgang der Besucherzahlen mit sich bringt.
- Schwindende Wertschätzung von kleineren, traditionellen Volksfesten und ihren Trägern, die den Umgang mit der besonderen Volksfestkultur als Spiegel der Gesellschaft erschwert.
- Veränderung im Freizeitverhalten der Menschen. Verlust von Tradition und Brauchtum wie z.B. der Kirchgang am Sonntag, dem der Besuch der Verwandtschaft zum Sonntagsbraten folgte und der schließlich mit dem gemeinsamen Besuch des Festplatzes endete.
- Freizeitparks sind dagegen für Volksfeste nur bedingt Konkurrenz; wegen hoher Kosten (Eintrittsgelder, Anfahrt, Übernachtung), sind sie für viele Familien oft unerschwinglich.
Leider wurde 2022 der Antrag zur Aufnahme der „Volksfestkultur in Deutschland und die Kunst der Schausteller“ in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes abgelehnt. Aber im Oktober 2023 wurde ein erneutet Antrag gestellt.
© Margit Ramus
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