Interview im Riesenrad in Bad Hersfeld

HZ Hersfelder Zeitung vom 11.10.2022

Bad Hersfeld – Sie ist eine bemerkenswerte Frau:

Die „gebürtige Schaustellerin“ und promovierte Kunsthistorikerin Dr. Margit Ramus, die die Festrede zum Lullusfest in der Stiftsruine gehalten hat. Zum Auftakt unserer Lolls-Interviewreihe, „eine Fahrt im Riesenrad“ sprach im „Movie-Star“-Riesenrad der Firma Landwehrmann-Hensel Kai A. Struthoff mit Margit Ramus.

„Frau Ramus, wie ist das für Sie als gebürtige Schaustellerin jetzt hier im Riesenrad zu sitzen und das Lullusfest zu überblicken?“
„Das ist ein ganz besonderer Ausblick und Einblick für mich, denn eigentlich fahren Schausteller auf den Geschäften ja nicht selber. Ich fühle mich auf einem Festplatz immer sofort wie zuhause, das geht mir auch so, wenn ich meine Kinder und Enkelkindern auf einem Volksfest besuche. Es hat irgendwas: Die Luft, die Gerüche, die Atmosphäre …“

„… den Lärm?“
„Ach den hören wir gar nicht mehr. Früher haben wir auch unsere Kinder um 20 Uhr im Wohnwagen am Festplatz schlafen gelegt. Die Kinder sind nachts sogar aufgewacht, wenn das Fest vorbei war, denn die Stille sind sie nicht gewohnt.“

„Sie haben sich erst als Sie schon Mutter waren mit 44 Jahren dazu entschlossen, das Abitur nachzuholen und dann zu studieren und promivieren. Wie kam es dazu?“
„Ich bin da wohl eine Ausnahme. Vermutlich bin ich die einzige Schaustellerin, die in diesem Alter noch mal zur Schule gegangen ist. Für mich war das auch Trauerarbeit, weil mein Sohn mit 19 Jahren verstorben war. Meine Ehe war zu Ende. Da habe ich mir einen kleinen Mandelwagen bauen lassen, aber das hat mich nicht ausgefüllt. Ich habe von Kindesbeinen an in einem großen Betrieb gearbeitet. Anfangs wollte ich nur Nachhilfe, um mein Allgemeinwissen etwas aufzubessern. Und dann kam ich mehr durch Zufall an diese Schule. Mein Bruder hat mir damals gesagt: Du hast einen Knall. Aber ich habe mit 47 Jahren mein Abitur gemacht.“

„Und dann?“
„Als Kind und junge Frau konnte ich mir eigentlich alles kaufen – nur kein Studentendasein. Und dann habe ich eben studiert.“

„Sie haben in Ihrer Festrede gesagt, dass jährlich mehr als 190 Millionen Menschen die Volksfeste in Deutschland besuchen. Woher kommt diese Faszination für den Rummel?“
„Es ist Brauchtum, es ist Tradition, man kann kostenlos auf den Platz, Jung und Alt, es gibt keine sozialen Unterschiede. Und dann ist da natürlich die Erinnerung – zum Beispiel an den ersten Kuss auf der Raupe unter dem Tuch. Auch die Eltern freuen sich, wenn die Kinder Karussell fahren. Außerdem ist ein Volksfest ein Ort der Integration. Hier fragt keiner, woher jemand kommt oder welche Religion und Gesinnung jemand hat. Das gilt aber nicht nur in Bad Hersfeld, sondern auf allen Volksfesten – auch wenn es natürlich durchaus regionale Unterschiede gibt.“

„Sie haben in Ihrer Festrede klipp und klar festgestellt, dass das Lullusfest das älteste Volksfest in Deutschland ist. Diesen Anspruch erheben auch andere?“
„Aber die Zahlen sind eindeutig: 852 ist der Todestag vom Heiligen Lullus.
Das Kiliansfest in Würzburg zum Beispiel beruft sich auf den Wanderbischof Kilian, aber es ist t erst seit 1030 verbrieft, also fast 200 Jahre später. So kann man in jeder Stadt die Ursprünge herleiten. Ich finde diese Geschichten sehr spannend, auch wenn viele diese Ursprünge gar nicht so genau kennen.“

„Darf man in Zeiten von Krieg, Krisen und Corona immer noch Volksfeste feiern?“
„Das ist die älteste Form der Freizeitgestaltung, die wir überhaupt kennen. Für die Schaustellerfamilien hängt ihre Existenz daran, aber für die Menschen bringen Volksfeste vor allem Freude. Wir hatten jetzt zwei Jahre Stillstand, aber inzwischen gibt es wieder Fußballspiele, andere Großveranstaltungen, warum also keine Volksfeste. Mit den Menschen in der Ukraine kann man trotzdem solidarisch sein. Auch beim Golfkrieg oder bei 9/11 wurden in Köln die Rosenmontagsumzüge abgesagt, aber dadurch wurde auch kein Toter wieder lebendig.“

„Könnten Sie sich vorstellen, wieder mit dem Wohnwagen loszuziehen und auf Volksfesten unterwegs zu sein?“
„Ich habe keinen Wohnwagen mehr. Aber als ich meine Enkeltochter und meine Urenkelkinder auf einem Volksfest in St. Peter Ording besuchte, habe ich eine ganze Woche im Campingwagen geschlafen. Das war wie im Himmelbett, vor allem als es regnete und die Tropfen auf das Dach prasselten. Man hört halt nie auf, Schaustellerin zu sein.“

Quelle: Email vom 10.10.2022 von Kai A. Struthoff
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