Volksfeste in der Vergangenheit A - Z

Volksfeste im Nationalsozialismus

Hammer der Firma Siebold. Foto 1938 © Sammlung Siebold
Volksfeste im Nationalsozialismus

Was geschah mit den Volksfesten in Deutschland im Nationalsozialismus?
Was geschah mit den Schaustellern in jener Zeit?

Dies sind wichtige Fragen, denen unbedingt nachgegangen werden muss, die jedoch einer intensiven Recherche bedürfen.

Basierend auf Erzählungen der Zeitzeugin Maria Schoeneseifen (Mutter der Verfasserin) und einigen Festschriften erfolgt an dieser Stelle eine erste kurze Berichterstattung. 

Am 1. April 1936 wurden alle beruflichen Organisationen in der „Wirtschaftsgruppe ambulantes Gewerbe“ zwangsvereinigt. Von da an waren die Schausteller der „Joseph Goebbels Reichskulturkammer“ unterstellt. 

Für die einzelnen Organisationen, alleine in Köln gab es acht Berufsorganisationen (nachzulesen unter: Alle Berufsorganisationen und Vereine in Köln ab 1897 auf einen Blick), waren es ohne Zweifel grundlegende Veränderungen.

Aber Maria Schoeneseifen erzählte, dass viele kleinen Schausteller keine wirtschaftlichen Einbußen hatten. In der Wirtschaftskrise nach 1929 sei es vielen Menschen, darunter auch den Schaustellern, nicht gut gegangen. Wie ihre Eltern erzählten, wäre es mit dem Ende der hohen Arbeitslosigkeit wieder aufwärts gegangen.

Zeitzeugin Maria Schoeneseifen

Maria Schoeneseifen wurde 1926 als Tochter der Kölner Schausteller Maria und Josef Milz geboren. Die Eltern reisten mit einer Schießbude im Kölner Raum und in Rheinland-Pfalz. 
Maria Schoeneseifen erzählte früher oft, dass es den Schaustellern nach der Machtergreifung der Nazis nicht schlechter gegangen sei; eine Diskriminierung als Schaustellerin habe sie als junges Mädchen nicht erlebt.
Der Familie Milz ging es in diesen Jahren finanziell und sozial gut. 
Von den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und der Propagandamaschinerie der Nationalsozialisten haben die Schausteller insofern profitiert, als dass der Besucherstrom auf den Volksfesten drastisch anstieg. 

Nach Kriegsbeginn wurde es schwieriger, aber bis 1943 wurden immer noch große und kleinere Kirmesveranstaltungen durchgeführt. 
Erst in den beiden letzten Kriegsjahren fand die Familie Milz mit vier Kindern in Baumbach im Hunsrück bei einem befreundeten Großbauern Unterschlupf. Sie wohnten weiterhin in ihrem Wohnwagen und hatten ihre Geschäfte in der Scheune untergestellt. 
Von Baumbach aus fuhr die Mutter übers Land und tauschte Stoffe und Kurzwaren, die sie in den Vorkriegsjahren in größeren Mengen eingekauft hatte, gegen Lebensmittel ein. Dadurch musste die Familie Milz nie Hunger oder große Entbehrungen erleben. 
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs ging es direkt wieder los. Die Menschen auf den Dörfern und in den Städten erfreuten sich an den ersten kleinen Volksbelustigungen.

Informationen aus Festschriften

Der Aufschwung in den ersten Jahren nach der Machtergreifung wird auch in Festschriften von Volksfesten fast überall thematisiert. Diskriminierung, Verfolgung und Unterdrückung werden nicht angesprochen.
Die Nationalsozialisten nutzten die Volksfeste zu Propagandazwecken, dazu gehörte auch die Vorliebe für Fahneneinmärsche und die Beflaggung der Volksfeste und Weihnachtsmärkte.

Zu Kriegsbeginn entschieden Städte, Verwaltungen oder sonstige Veranstalter über die Fortführung oder Einstellung der Volksfeste, unabhängig von ihrer Größenordnung.

Cranger Kirmes

Allgemein fällt auf, dass die Berichterstattung über diese Jahre oft nur wenige Zeilen umfasst. In Crange wird darauf hingewiesen, dass fundierte Quellen nicht mehr zugänglich seien: 

„Leider fehlen für die Zeit von 1933-1945 die Berichte, da die Zeitungen aus diesem Abschnitt der deutschen Geschichte von den Alliierten beschlagnahmt wurden.“ (Turkowski 1969. S. 29)

Waltraud Turkowski beschreibt, wie die Schausteller einen Beitrag zur Bekämpfung der großen Arbeitslosigkeit Anfang der 1930er Jahre leisteten:
„Neben dem Vergnügen brachte die Kirmes etlichen Arbeitslosen von Wanne-Eickel  die Möglichkeit, das Stempelgeld aufzubessern, sie wurden von den Schaustellern engagiert, um beim Auf- und Abbau, beim Anschaukeln, Losverkaufen usw. mitzuhelfen.“ (Turkowski 1969. S. 28)

In der gleichen Quelle ist zu lesen, dass der Zirkus der kleinwüchsigen Menschen den Nationalismus  überlebt hat.

„Am 5.08.1948 berichtet die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), dass sich die Cranger Kirmes wieder mit vielen Attraktionen ganz groß präsentiert. Unter anderem waren vertreten: […] Lilliput-Zirkus.“ (Turkowski 1969. S. 31)

Annakirmes in Düren

Einziger Kommentar zur dieser Zeit:
„1931 übernahm dann Franz Schillings im Grundstücks- und Vermessungsamt die Verantwortung für die Annakirmes, und es ist sein Verdienst, 1946 mit 68 Schaustellern die Annakirmes wieder aus der Taufe zu heben.“ (Zens/Böhmer 1988. S. 42)

Münchner Oktoberfest

Florian Dering schreibt, dass das Münchner Oktoberfest durch die Nationalsozialisten überraschend wenig Veränderungen erfahren habe. Zwar sei das Zentral-Landwirtschaftsfest nach 1933 aufgelöst worden, was aber dem Zulauf zum Oktoberfest wenig Abbruch getan hat.
Erst von 1939 bis 1945 fiel das Fest wegen des Zweiten Weltkrieges aus. (Dering/Eymold 2010. S. 168) Dazu können Sie mehr lesen: 
1933-1940: Hakenkreuze auf der Theresienwiese

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Augsburger Plärrer 

In Augsburg findet der Plärrer ohne Unterbrechung von 1878 bis zur Gegenwart statt.
Die chronologisch fortlaufende Liste in der Festschrift  125 Jahre Augsburger Plärrer untermauert die Erzählungen von Maria Schoeneseifen:

1932: „Das Augsburger Volksfest  wächst Jahr für Jahr. Achterbahn, Steilwandfahrer und Krokodilschau gehören zu den Attraktionen.“
1934: „Nationalsozialistische Stadtverwaltungen übernehmen hier und dort — beispielsweise in Nürnberg — die Ausrichtung des Volksfestes. Altdeutsche Traditionen und historisches Volksgut im Sinne der NS-Propaganda spielen auf dem Rummel zunehmend eine wesentliche Rolle.“
1938 „Der Plärrer ist so groß wie nie zuvor.“ 
Von 130 Schaustellern mit 36 großen Geschäften wird berichtet. 
1939 nehmen 135 Schaustellerunternehmen am Plärrer teil.
1940 geht es abwärts. „Kriegsbedingt ist mancher Schausteller an der Plärrerteilnahme verhindert.“
1941 „Noch läuft das Volksfest.“
1942 werden auf einem Teil des Geländes Barackenlager für Gefangene und Ausgebombte erstellt.
1943 „Zum letzten Mal findet unter NS-Herrschaft im August ein Plärrer statt.“
1944 wird „die Festfläche erheblich eingeschränkt.“
1945 „Nur ein Notplärrer mit gerade mal an die zehn Schausteller findet statt.“
1946 „Auch im ersten Nachkriegsjahr fällt der Plärrer bescheiden aus.“
1947 „Es geht aufwärts, die Zahl der Geschäfte steigt auf über 50 und es gibt ein Bierzelt.“  (Augsburger Plärrer 2003. S.98f)

Nürnberger Volksfest

Ähnlich schreibt die Nürnberger Volksfestzeitung:
Zwischen den beiden Weltkriegen, heißt es, dass das Münchner Oktoberfest, die Dresdner Vogelwiese, der Hamburger Dom und der Bremer Freimarkt ebenso wie das Nürnberger Volksfest vom Publikum gestürmt wurden.
1933 steht in der Volksfestzeitung in einem offiziellen Grußwort:
„Unsere Behörden stehen den Bestrebungen des ambulanten Gewerbes nicht mehr diametral gegenüber, sondern unterstützen seine Belange und erkennen seine Existenzberechtigung voll an.“
Nach der Mobilmachung 1939 fanden noch zwei Jahre Ersatzvolksfeste bis 1941 statt. (Morawski 1998. S.93 f)

Krefeld Winter-Luna-Park

Bereits im Herbst 1939 fand die Herbstkirmes auf dem Sprödertalplatz nicht mehr statt.
Aber am 2. November 1940 wurde in den Räumen der Königsburg, die ursprünglich als Ball- und Veranstaltungssäle bei Sportveranstaltungen genutzt worden waren, ein Winter-Luna-Park, kurz WI-LU-PA, eröffnet.
Es musste eine Eintrittskarte gekauft und für die Nutzung der Fahrgeschäfte zusätzlich bezahlt werden. Das Angebot an Fahrgeschäften und sonstigen Schaustellergeschäften umfasste: „Selbstfahrer von Tusch, dazu Schiffschaukel, Bodenkarussell, Blinker, Verlosungsstände, Verkaufsbuden und einem Fisch-Imbiss von Stolzenberg.“ (Fuchs Krefeld 1991. S. 34)
Bei den Blinkern und Verlosungen gab es begehrte Haushaltsartikel ohne Bezugsscheine, zu gewinnen.
Am 21. Juni 1943 wurde der WI-LU-PA von einem Bombenangriff zerstört. Kurz zuvor hatten einige Schausteller ihre Geschäfte abgebaut und nach Kevelar in Sicherheit gebracht. Deshalb konnte der Auto-Selbstfahrer von Tusch den Krieg unbeschadet überstehen.

1944 wurden die „rummelplatzähnlichen“ Vergnügungen durch eine Verordnung eingestellt. 

Sim-Jü in Werne

„Obwohl die NSDAP-Ortsgruppe keine direkte Einflussnahme auf den Simon-Juda-Markt ausübte, wurden ab Mitte der 30-er Jahre – wie anderenorts ebenfalls üblich – die Unternehmen der Schausteller häufig mit Hakenkreuz-Fähnchen geschmückt, […]“ (Schulz 1987. S. 149)
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Kölner Karneval-Kirmes-Veranstaltungen und Ostervolksfest

Für Köln stehen der Verfasserin wichtige Quellen zur Verfügung.
Vor dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln wurden einige Anfragen, Zusagen, Teilnehmerlisten und polizeiliche Verordnungen aus den Jahren 1933 bis 1936 von der Verfasserin kopiert und gescannt. Sie geben Aufschluss über die damaligen Kölner Schausteller und deren Geschäfte. Diese wichtigen Zeugnisse jener Zeit können in der unteren Galerie eingesehen werden. Weitere Informationen zu Köln finden Sie hier: Volksfeste zu Karneval in Köln und Volksfeste zu Ostern in Köln im Nationalsozialismus

Der Komet

Im Jubiläumsbuch zum 100-jährigen Bestehen der Schausteller Fachzeitschrift Der Komet im Jahre 1983 schreibt Der Komet und zitiert aus der Ausgabe 2498. 50. Jahrgang, aus dem Aufsatz: Das Volksfest als neutraler Boden“ folgendes:

„Deswegen gebietet uns der Selbsterhaltungstrieb – ganz abgesehen von unseren persönlichen politischen Einstellungen – die Volksfeste zu einem absoluten neutralen Boden zu machen. Volksfeste dürfen nicht zu parteipolitischen Tummelplätzen werden…
Wir haben gerade vor ein paar Wochen geschrieben, dass wir die Stärke des deutschen Volksfestes darin sehen, dass es ein Beruhigungsfaktor in dem Gärungsprozess der politischen Strömung ist. Es kann nicht dringend genug geraten werden, durch Vermeidung alles, was die Anhänger anderer Parteien aufreizen könnte, auch in Zukunft dafür zu sorgen, dass Volksfeste, Messen und Märkte unbedingt das bleiben, was sie seit Jahrhunderten waren: friedliche Ausruheplätze für das Volk, etwas Außerordentliches, etwas Nichtalltägliches, etwas zur flammenden Begeisterung unserer Jugend. Ein Volksfest muss ein wirkliches Fest für das ganze Volk bleiben, nur darin liegt seine Stärke.
Von dieser – sagen wir – rein äußeren Einstellung des Wandergewerbes bleibt unberührt eines jeden innere Einstellung zur Politik. Das ist Privatsache jedes einzelnen, sie wird sich gestalten nach Lebensauffassung und Temperament des Individuums.“ (Der Komet: Volksfeste und Märkte 1983. S. 181)

© Margit Ramus

Anfragen Karneval 1933

Alle Dokumente wurden mit Genehmigung des Historisches Archivs der Stadt Köln ins Archiv eingestellt. Dort werden sie geführt unter der Signatur: Bestand 771 (Marktverwaltung) A 66 Kirchweih und Schützenfeste, Karneval. Laufzeit 1931-1938.

Interessant sind die Sprache und der Inhalt der Anfragen, jeweils unter dem Dokument zu lesen.

 

 

  • Dering, Florian; Eymold, Ursula (Hrsg.): Das Oktoberfest 1810 – 2010.
    Offizielle Festschrift der Landeshauptstadt München. München 2010.
  • Morawski, Ronald: Schausteller mit Elan ins nächste Jahrtausend, Nürnberg 1998.
  • 125 Jahre Augsburger Plärrer 2003. Hrsg. Schilffarth, Walter Kurt; Bublies, Wolfgang: Eine Zeittafel für 125 Jahre. 
  • Turkowski, Waltraud: Die Cranger Kirmes, Ursprung, Entwicklung und heutige Bedeutung. Hrsg. Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel e.V. 1969.
  • Schulz, Rainer: 625 Jahre Simon-Juda-Markt Werne. 1987. S. 149
  • Dokumente des Historisches Archivs der Stadt Köln. Dort werden sie geführt unter der Signatur: Bestand 771 (Marktverwaltung) A 66 Kirchweih und Schützenfeste, Karneval. Laufzeit 1931-1938.
  • Der Komet: Volksfeste und Märkte 1983

 

 

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