- Deutschland im Jahre 2021
- Ein Blick zurück! Wir wollen uns erinnern.
- Schausteller und Volksfeste im Osten
- Schausteller und Volksfeste im Westen
- Gründung der BRD und der DDR und ihre Folgen für die Schausteller
- Gesetzliche Regelungen für das Schaustellergewerbe in der DDR und der BRD
- Praktische Probleme und ihre Bewältigung
- Stromversorgung, Ware und Mobilität
- Fachzeitungen in Ost und West
© Margit Ramus
Deutschland im Jahre 2021
in diesem Jahr erinnern wir uns in Deutschland an eine Mauer, die vor sechzig Jahren errichtet worden war und unser Land von 1961 bis 1989 teilte. Aber bereits 16 Jahre zuvor, nach Ende des Zweiten Weltkriegs, hatte sich das Leben vieler Menschen, auch das vieler Schaustellerfamilien, durch die Teilung Deutschlands grundlegend geändert.
Damals erschien zunächst für alle Menschen die Zukunft hoffnungslos, denn fast das ganze Land lag in Trümmern. Viele Männer waren noch nicht wieder aus dem Krieg zurückgekehrt.
Alle Schaustellerfamilien, die in ihrer 1200-jährigen Geschichte schon viele schwere Zeiten in der Entwicklung vom „Fahrenden zum Schausteller der Gegenwart“ hatten bewältigen müssen, schauten mit großer Sorge in die Zukunft ihres Gewerbes, dass sosehr abhängig von den traditionellen großen und kleinen Volksfesten war. Die Überlebenden, egal ob im Osten oder Westen, Norden oder Süden gaben jedoch nicht auf, räumten die Trümmer weg und begannen mit dem Wiederaufbau.
Heute sind die ersten Jahre nach Kriegsende, die damaligen politischen Ereignisse, der Kalte Krieg, der Kampf vieler Schaustellerfamilien um ihre Existenz und das Wiederaufleben der Volksfeste, längst in der gemeinsamen Erinnerung verblasst und aktuelle Probleme sind zu bewältigen.
Inzwischen leben Schaustellerinnen und Schausteller wieder in einem vereinten Deutschland, das in Europa die meisten und traditionsreichsten Volksfeste mit den höchsten Besucherzahlen hat. Wie die letzte marktwirtschaftliche Untersuchung im Auftrag des DSBs im Jahre 2018 ermittelte, fanden vor Beginn der Corona-Pandemie in ganz Deutschland geografisch verteilt etwa 9.750 große und kleine Volksfeste statt, die jährlich von ca.189 Millionen Menschen besucht wurden. Dazu kamen rund 3.000 Weihnachtsmärkte mit etwa 159 Millionen Besuchern.
Dies wird auch in naher Zukunft wieder so sein, denn in vielen Städten und Gemeinden erleben Menschen schon seit Jahrhunderten für einen begrenzten Zeitraum bei kostenlosem, offenem Zugang zu ihrem nicht „eingegrenzten“ Festplatz freudige Abwechslung vom Alltag. Ohne Zweifel fördern Volksfeste den kulturellen Austausch und die Integration, sie stärken das Heimatgefühl und pflegen das Brauchtum.
In den letzten beiden Jahren entbehrten die Menschen schon wieder einmal, nun durch eine Pandemie bedingt, den Bummel über den Festplatz. Sie vermissten die spannende Mischung von bunten Bildern, die Geräusche, die Gerüche, den Nervenkitzel, zusammengefasst den Reiz des Zusammenspiels von Dynamik und einer fast vergessenen Romantik. Denn die Volksfestkultur in Deutschland ist trotz aller Zerstörungen durch dem Zweiten Weltkrieg und seine Folgen wieder einzigartig und lebendig. Deshalb ist es gut und sehr erfreulich, dass nun im Herbst 2021 die ersten Volksfeste, zwar manche in abgespeckter Form, aber endlich wieder stattfinden.
Ein Blick zurück! Wir wollen uns erinnern.
Bereits am 1. April 1936 waren alle beruflichen Organisationen der Schausteller in der „Wirtschaftsgruppe ambulantes Gewerbe“ zwangsvereinigt und anschließend der „Joseph Goebbels Reichskulturkammer“ unterstellt und in der „Reichsgruppe Handel“ zusammengefasst worden. Alle Traditionsfahnen der Schaustellerverbände in Ost und West wurden in weiser Voraussicht versteckt, damit sie nicht verbrannt werden konnten. Dadurch wurden sie für die kommenden Generation der Schausteller als besonderen Schatz bewahrt.
Schon bald nutzten die Nationalsozialisten die Volksfeste zu Propagandazwecken mittels Fahneneinmärschen und Beflaggung der Festplätze. Für Schausteller galt jedoch schon seit dem Mittelalter die Maxime, dass Volksfeste größtenteils auf neutralem Boden stattfinden und nicht zu Spielplätzen der Politik werden sollen. Deshalb setzten sie während des Nationalsozialismus trotz Auflagen, vor allem bei der äußeren Gestaltung der Plätze und Geschäfte, nach Möglichkeit ihre Arbeit bis Anfang der 1940er Jahren fort. Ältere Schausteller erzählten oft, dass es dem Schaustellergewerbe in den ersten Jahren der Machtübernahme durch die Nazis, auch ohne Parteibuch, nicht schlecht gegangen sei. Sie galten als Randgruppe im Regime und fielen sozusagen durch ein Raster.
Als das Kriegs-Geschehen näher rückte wurden die meisten Volksfeste eingestellt und einige Schaustellerfirmen versteckten vorsorglich ihre Geschäfte auf dem Land oder anderswo.
Nach Kriegsende waren, je nach Region, viele Karussells zerstört oder stark beschädigt. Aber in nur wenigen Wochen bauten die Schaustellerfamilien in allen Besatzungszonen ihre teilweise notdürftig reparierten Karussells und Buden zwischen den Trümmern wieder auf. Sie brachten damit den Überlebenden und Heimkehrenden ein wenig Freude in die Herzen und ließen die Kinderaugen strahlen.
Rolf Orschel, ein „Kirmesfotograf“ aus Suhl in Thüringen, hat einen wichtigen und interessanten Beitrag in einem 2005 erschienen Sonderband der Kirmes & Park Revue „Kirmes Special. Schausteller und Volksfeste der DDR“ geleistet. Orschels Recherchen erleichtern den Rückblick in die Situation des Schaustellergewerbes in der sowjetisch besetzten Zone und späteren DDR von 1945 bis zum Mauerfall.
Ein persönliches Gespräch der Verfasserin mit der ehemaligen Karussellmalerin, eine in der DDR anerkannte Berufsbezeichnung, Andrea Patzer-Schröder, bei einem Besuch in Chemnitz, spätere Telefonate mit ihr sowie die Sichtung des von ihr gesammelten Foto- und Zeitungsmaterials zeigen auf, wie es dem Schaustellergewerbe hinter dem „Eisernen Vorhang“ tatsächlich ergangen war. War es genauso gut, war es besser oder schlechter als in der damaligen BRD? Eine sehr spannende Frage.
Hilfreich waren dabei Gespräche auch der Verfasserin mit einigen Schaustellerinnen und Schausteller aus den neuen Bundesländern, z.B. Frau Gisela Topf und Herrn Karl Welte, denen die Zeit vor der Wende noch in guter Erinnerung ist. Interessant war auch die Lektüre des „Handbuchs des Schaustellers, Taschenbuch für das Schaustellerwesen in der Deutschen Demokratischen Republik“, vorliegende Ausgabe von 1967.
Um die Entwicklung im Osten und die im Westen auf Unterschiede, Gemeinsamkeiten und Schnittstellen zu untersuchen, bietet sich an, die Zeit noch einmal zurückzudrehen.
Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg und Deutschland wurde in vier Besatzungszonen aufgeteilt.
Schausteller und Volksfeste im Osten
In der sowjetischen Besatzungszone, kurz SBZ genannt, begann nach Kriegsende die Verstaatlichung von Eigentum und Produktionsformen, die als nicht sozialistisch angesehen waren. Viele Betriebsausstattungen wurden als Reparationsleistung in die Sowjetunion abtransportiert. Auch die Schausteller befürchteten, dass ihre Geschäfte konfisziert werden könnten. Doch die Sowjets hatten kein Interesse an Karussells und anderen Schaustellergeschäften. Aber sofort nach Kriegsende befahlen sie den Schaustellern kleine Volksfeste aufzuziehen, die allerdings nur den russischen Besatzungssoldaten zugänglich und am Abend für die Schaustellerinnen nicht ungefährlich gewesen sein sollen.
„Schausteller der ersten Stunde“ setzten sich schon bald für die Auflösung dieser Zwangsveranstaltungen ein und es gelang ihnen Volksfestplätze, für jedermann geöffnet, vielerorts wieder aufzubauen. Einige wenige sollen hier beispielhaft genannt werden.
Ludwig Rausch, der im Mai 1945 auf Befehl der sowjetischen Militäradministration das erste Nachkriegsvolksfest in Berlin-Treptow organisierte, gelang es in Kürze, viele für jedermann offene Veranstaltungen zu organisieren; dazu gehörten auch die III. Weltfestspiele 1951 in Berlin.
Franz Baer zog im November 1946 in Cottbus ein Volksfest auf, dem sich ein kleiner Weihnachtsmarkt anschloss.
Paul Traue organisierte 1946 im Harz eine Volksfesttournee, der sich 12 Schaustellerfamilien anschlossen.
Ernst Malfertheiner kümmerte sich nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft um seine Kollegen, deshalb wurde er 1950 zum Fachberater der Industrie- und Handelskammer in Gotha bestellt. Orschel schreibt, dass Ernst Malfertheiner später im „Zentralen Arbeitskreis Schausteller“ beim Ministerium für Kultur sehr viel für die Volksfeste geleistet hat.
Georg Berger setzte sich ebenfalls für den Wiederaufbau der Volksfeste ein. (Vgl. Orschel S.6ff)
Horst/Heinz Müller hatte sein Riesenrad von Beginn an immer wieder repariert und modernisiert. Zu seinen schönsten Erinnerungen gehörten die III. Weltfestspiele 1951 in Berlin, als sich sein Riesenrad und 64 Fahrgeschäfte für unzählige Mädchen und Jungen aus vielen Ländern drehten. (Ute Krebs Freie Presse 25.01.1985 S. 5)
Schausteller und Volksfeste im Westen
In den von den West-Alliierten verwalteten Teilen Deutschlands fand das wirtschaftliche Leben in wenigen Jahren in die vorher gewohnten Bahnen zurück und der allgemeine Wiederaufbau führte zum Wirtschaftswunder der 1950/60er Jahre. Wie vor Kriegsbeginn organisierten die Schaustellerfirmen als private Einzelunternehmen ihre eigenen Reiserouten.
Tradition und Wertigkeit der Volksfeste waren weiterhin gefragt; die Menschen wollten den Krieg vergessen, sie spürten die wiederkehrende Lebensfreude, suchten Zerstreuung beim Besuch der Volksfeste und wollten die traditionellen Feste der Kirchengemeinden, Kommunen und Schützenvereine wieder aufnehmen. Zu erwähnen ist, dass später auch im Westen sogenannte „Deutsch-Amerikanische Volksfeste“ ins Leben gerufen wurden. Eines des bekanntestes wurde am 29.07.1961vom Public Affairs Office der US-Streitkräfte als Baustein für die Deutsch-Amerikanische Freundschaft in Berlin eröffnet. In Verbindung mit den amerikanischen US-Stützpunkten wurden in Folge viele solcher Veranstaltungen durchgeführt, z.B. in Bitburg in der Eifel.
Gründung der BRD und der DDR und ihre Folgen für die Schausteller
Am 7. Oktober 1949 wurde die „Deutsche Demokratische Republik“ gegründet und in 14 Bezirke / Verwaltungsbereiche aufgeteilt: Rostock, Schwerin, Neubrandenburg, Potsdam, Frankfurt/Oder, Magdeburg, Halle, Leipzig, Cottbus, Erfurt, Gera, Dresden, Chemnitz (1953 in Karl-Marx-Stadt umbenannt) und Suhl. Ost-Berlin hatte einen Sonderstatus, wurde aber wie ein Bezirk der DDR behandelt
Am 23. Mai 1949 wurde die „Bundesrepublik Deutschland“ gegründet und in 11 Bundesländer unterteilt.
Die völlig verschiedenen Wirtschaftssysteme in der Deutschen Demokratischen Republik im Osten und in der Bundesrepublik Deutschland im Westen wurden wegweisend für die Zukunft des Schaustellergewerbes.
In der DDR wurde die staatlich organisierte Planwirtschaft und in der BRD die soziale Marktwirtschaft eingeführt.
Mit der Gründung der DDR ging der Kampf um die vor dem Krieg gewohnte Ausübung des Schaustellergewerbes weiter. Die Landwirtschaft wurde kollektiviert, die Industrie verstaatlicht und der Sozialismus aufgebaut. Die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten aufgelösten Schaustellerverbände blieben im Osten weiterhin verboten.
Laut Orschel soll schon bald eine hitzige und gemeine Pressekampagne gegen Schausteller und Volksfeste eingesetzt haben, in der die Existenzberechtigung der Volksfeste in Frage gestellt wurde. Orschel zitiert die „Neue Zeit vom 03.07.1950: [dass] „den Besuchern auf den niveaulosen Rummelplätzen nur durch platte Betäubung und der Vortäuschung falscher Tatsachen das Geld aus den Taschen gezogen wird.“ (Orschel S. 15)
Bis weit in die 1960er Jahre wurde vom Staat der Hass gegen das Schaustellergewerbe geschürt. Die unterschiedlichsten Hetzkampagnen beeinträchtigten das Leben der Schaustellerfamilien sehr. Die Angst, enteignet zu werden und das die privatwirtschaftlichen Volksfeste eingestellt wurden, begleitete sie viele Jahre. Auch einzelne Schaustellerfirmen sollen in der Presse niedergemacht worden sein, indem man das Geschäft negativ darstellte, z.B. das Laufgeschäft „Eldorado“ eines Berliner Schaustellers.
Aber ungeachtet all dieser unschönen Verlautbarungen strömten die Menschen allerorts auf die Volksfeste. Häufig war der Ansturm auf die wenigen, oft nur spärlich dekorierten Karussells, auf den Volksfesten kaum zu bewältigen.
Im Westen Deutschlands gab es durch die soziale Marktwirtschaft günstigere Startbedingungen, denn der freie Wettbewerb und das Privateigentum waren garantiert. Aber für die Schaustellerfamilien war es ebenfalls nicht einfach ihr altes Leben wieder aufzunehmen. Die Not war bei allen Menschen sehr groß, zunächst ging es überall ums nackte Überleben.
Dennoch jubelten schon bald überall die Menschen den Schaustellern zu und freuten sich über die kleinste Kirmes, die anfangs zwischen den Trümmern aufgebaut wurde. Zum Beispiel fand in Augsburg 1945 nur ein „Notplärrer“ mit gerade mal zehn Schaustellern statt und auch im darauffolgenden Jahr fiel der „Plärrer“ bescheiden aus. Erst 1947 ging es aufwärts, die Zahl der Geschäfte stieg auf über 50 und ein Bierzelt wurde aufgebaut. (Augsburger Plärrer 2003. S.98f)
Am 5.08.1948 berichtete die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ), dass sich die „Cranger Kirmes“ wieder mit vielen Attraktionen ganz groß präsentiere. (Turkowski 1969. S. 31)
In der DDR trat im Juni 1956 eine „Verordnung über die Regelung der Gewerbetätigkeit in der privaten Wirtschaft“ in Kraft. Dadurch blieb das Schaustellergewerbe zwar privatwirtschaftlich, wurde aber dem Bereich Kultur unterstellt, um die Planung und Gestaltung der sozialistischen Volksfeste in das gesellschaftliche Leben einzugliedern. Im Bereich Kultur war in jedem der 14 Bezirke ein „Bezirksarbeitskreis Schausteller“ eingerichtet. Er war dem Staat unterstellt und ausgewählte bezirksansässige Schausteller wurden als Vertreter der Schaustellerfamilien dazu eingeladen. „Diese Arbeitskreise waren politisch-fachliche Beratungsgremien. Sie hatten hauptsächlich die Aufgabe, die kulturelle Wirksamkeit des Schaustellergewerbes spürbar zu erhöhen und verstärkt in das Leben der DDR zu integrieren.“ (Orschel S. 23)
Zeitzeugen berichten, dass sich der Anschluss an den Bereich Kultur in einigen Bezirken langfristig beruhigend für das Schaustellergewerbe erwies. Mit der Zeit erkannte auch der Staat, dass es kaum Freizeitangebote für die DDR-Bürgerinnen und -Bürger gab.
Schaustellervereine oder -verbände waren jedoch nicht erlaubt. Karl Welte, Vorsitzender des „Vereins selbständiger Gewerbetreibender, Markt- und Messereisender e.V. gegr. 1885“ (VSG), erzählte der Verfasserin eine recht abenteuerliche Geschichte über den Verein.
Nachweislich haben sich die Magdeburger Schausteller im Jahre 1885 organisiert und sind demnach der zweitälteste Schaustellerverein hinter dem in Hamburg. Nachdem das Schaustellergewerbe 1956 dem Bereich Kultur unterstellt worden war, wurde Edgar Schröder als Vorsitzender des noch nicht aufgelösten Vereins VSG Mitglied im Kulturbund der DDR. Als die „Bonzen“ in Magdeburg feststellten, dass hinter dem VSG ein Schaustellerverein steckte, war die Entrüstung groß und die Auflösung wurde angeordnet. Edgar Schröder soll alles auf eine Karte gesetzt haben und gedroht haben, nach Berlin zu fahren und dort eine Staatsratseingabe zu machen, dass man einen Verein schließen wollte, der die werkseigenen Genossen unterstützte. Die hohen Herren machten einen Rückzieher und akzeptierten den Verein unter der Bedingung, dass er in der Öffentlichkeit nicht aufzutreten hatte und die Fahne abgegeben werden sollte, die aber noch immer verschwunden war. Es blieb der einzige organisierte Schaustellerverein in der damaligen DDR mit jährlich stattfindender Jahreshauptversammlung, auf der die Fahne von unsichtbaren Hand Einzug in den Versammlungsraum fand. Bei einem plötzlichen Kontrollbesuch flog die Fahne schnell aus dem Fenster in den Hinterhof und wurde später wieder versteckt.
Nach dem Mauerfall belohnte der DSB unter Harry Wollenschläger die mutige Tat von Edgar Schröder mit einem Ehrenwimpel für die Fahne, die die DDR überstanden hatte.
Im Westen war die 1936 von den Nationalsozialisten gegründete „Wirtschaftsgruppe ambulantes Gewerbe“ nach Kriegsende sofort aufgelöst worden, und es entstanden zunächst Regionalverbände, die teilweise ihre Wurzeln in den vor der Machtübernahme der NS-Diktatur bundesweit tätigen Berufsorganisationen hatten.
Am 13. Januar 1950 trafen sich in Herford die Schausteller Otto Bigesse, Wilhelm Bethel Krameyer, Josef Schippers, Walter Oeser und Otto van der Ville sen. zur Gründung des „Deutschen Schaustellerbunds e.V. (DSB)“ unter dem ersten Vorsitzenden Otto Bigesse.
Die Gründer schworen damals:
„Wir geloben, niemals mehr dem Begriff der großen Masse nachlaufen zu wollen und uns immer daran zu erinnern, dass wir eine von der Not zusammengeschweißte Familie sind, die besonders in der heutigen Zeit zusammenhalten muss, um den Erfolg für unseren Beruf zu erringen, den wir dringend brauchen.“ (DSB Website)
Eine zweite Dachorganisation der Schausteller bildete sich 1952 als Hauptvereinigung des „Ambulanten Gewerbes und der Schausteller in Deutschland e.V.“ (HAGD). Auf dem Gründungsverbandstag in Gelsenkirchen wurde Bernhard Petermann aus Solingen zum ersten Präsidenten der HAGD gewählt. Auf dem zweiten Bundesverbandstag im Jahr 1953 in Bremen fiel die Wahl auf Peter Biermann. Im Jahre 1993 wurde die HAGD in „Bundesverband Deutscher Schausteller und Marktkaufleute e.V.“ (BSM) umbenannt.
Die auf regionaler, kommunaler oder Landesebene tätigen Schaustellervereine oder -verbände schlossen sich in Folge einer der beiden Dachorganisationen DSB oder HAGD/BSM an.
Die beiden Schaustellerdachverbände vertreten die Interessen aller bundesweit lebenden Schaustellerinnen und Schausteller, setzen sich für die Erhaltung der traditionellen Volksfeste ein und bemühen sich um die Anerkennung der Volksfeste als deutsches Kulturgut. Einmal im Jahr wird von den Dachverbänden zu speziellen Fachtagungen eingeladen.
Gesetzliche Regelungen für das Schaustellergewerbe in der DDR und der BRD
Rolf Orschel schreibt: „Die Gewerbeausübung der privaten DDR-Unternehmen wurde umfassend überwacht […].“ (Orschel S.37)
Am 1. Januar 1957 wurde eine überarbeitete Verordnung herausgegeben, in der die gesetzliche Vorgaben für das Schaustellergewerbe in der DDR geregelt waren.
Die Gewerbeordnung setzte gewisse Bedingungen zur Genehmigung einer Gewerbeanmeldung voraus.
Orschel berichtet von einer strengen Regelung: Zunächst einmal sei ein entsprechendes „volkswirtschaftliches Bedürfnis“ erforderlich gewesen. Zudem musste der Antragsteller geeignet und zuverlässig sein und über ein eigenes Geschäft verfügen. Beizubringen seien zudem Nachweise über den Erwerb des Geschäftes, die Geschäftsart und die Erfüllung der arbeitsschutzmäßigen, baugesetzlichen sowie hygienischen Voraussetzungen. (Orschel S. 37)
Mit der neuen Verordnung hätten Außenseiter kaum noch eine Chance gehabt, einen Schaustellerbetrieb zu gründen, da die Antragsteller nun auch hätten nachweisen müssen, dass Familienangehörige bereits in diesem Gewerbe tätig waren und ab wann welche Geschäfte von ihnen betrieben worden waren.
Dennoch hat es auch im Osten Quereinsteiger gegeben, die durch Heirat oder durch handwerkliches Können in das Schaustellergewerbe einsteigen wollten.
Orschel schreibt weiter, dass außerdem ein Schulabschluss und eine abgeschlossene handwerkliche Lehre Voraussetzung für die Erlangung einer Reisegewerbekarte gewesen seien.
Bis in die siebziger Jahre seien die Gründung eines eigenen Unternehmens für den Schaustellernachwuchs nur schwer durchzusetzen und ein makelloser Leumund sowie die richtige Geschäftsart wichtige Voraussetzungen gewesen. Falls ein Überangebot der beantragten Geschäftsart bestand, sei der Antrag abgelehnt worden und die Gewerbegenehmigung zudem immer nur für ein Kalenderjahr ausgestellt worden. Nach dem Tod des Gewerbetreibenden hätten der Ehepartner oder die Erben den Betrieb zunächst weiterführen können, aber nach sechs Monaten sei die Genehmigung automatisch erloschen. (Orschel S. 37)
Diese Ausführungen von Orschel sind auch im „Handbuch des Schaustellers“ auf den Seiten 20 – 23 nachzulesen. Allerdings ist dort nichts über einen abgeschlossenen Schulbesuch oder eine Lehre zur Erlangung der Gewerbeanmeldung zu lesen. Dies wird auch in Gesprächen mit Zeitzeugen nicht als Voraussetzung bestätigt.
Die Gespräche mit Schaustellern der ehemaligen DDR ergaben, dass in den einzelnen Bezirken unterschiedlich mit den Verordnungen umgegangen worden war. Manche Behördenmitarbeiter seien großzügig gewesen und dem Schaustellergewerbe wohlwollend gegenübergetreten, manche hätten sich sehr kleinlich und streng an jegliche Verordnung gehalten. Eine Zeitzeugin berichtet, dass trotz aller Schwierigkeiten die Schaustellerfamilien Mittel und Wege fanden, auch ihren Kindern eine Gewerbegenehmigung zu beschaffen.
Karl Welte erzählte, er selbst habe 1970 seine Gewerbegenehmigung sofort bekommen, obwohl er keinen abgeschlossenen Schulabschluss hatte. Aber er bestätigte, dass die bereits erwähnte Existenzangst und die damit verbundene Furcht, dass sie enteignet werden könnten, dazu führte, dass die Schausteller ihre Kinder bis zum Ende der Schulpflicht zur Schule geschickt hätten, um ihnen im Anschluss eine handwerkliche Lehre zu ermöglichen, damit sie schlimmstenfalls nicht ohne eine Erwerbsmöglichkeit dagestanden hätten. Karl Welte selbst hatte seinen Schulabschluss nachgemacht und neben seiner Tätigkeit als Schausteller eine KFZ-Schlosserlehre absolviert.
Sicher ist, dass auch in der DDR die Schaustellerkinder oft mehrfach die Schule wechselten. Dies wurde jedoch durch die in allen Bezirken identischen Schulbücher und Lehrpläne wesentlich erleichtert. In den Wintermonaten wurden verschiedene Kurse in Politik, Buchführung, Marktwirtschaft usw. angeboten, an denen jeweils mindestens ein Familienmitglied zur Teilnahme verpflichtet war.
In den achtziger Jahren sind dann die Regeln zur Ausübung des Schaustellergewerbes etwas gelockert worden.
Im Westen Deutschlands setzt die Ausübung des Reisegewerbes nach § 55 der Gewerbeordnung lediglich eine gewerbliche Niederlassung mit festem Wohnsitz sowie ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis voraus. Alle Schaustellerinnen und Schausteller üben also ihren Beruf als mittelständische Gewerbetreibende aus, und die Volksfeste werden nach den in §§ 60b bzw. 68 der Gewerbeordnung sowie nach in den Gemeindeordnungen der Länder festgelegten Regeln durchgeführt. In allen Regionen gab und gibt es ebenfalls Quereinsteiger, z.B. Bäcker oder Metzger, deren Nachkommen noch heute Waffelbäckereien oder Imbissgeschäfte betreiben.
Der Nachweis einer abgeschlossenen Schulbildung war und ist nicht erforderlich und nicht selten wurde die Schule vorzeitig abgebrochen um im elterlichen Geschäft mitzuhelfen. Aber seit vielen Jahren richtet sich der Fokus auf die stetige Verbesserung der schulischen und beruflichen Bildung aller Schaustellerkinder und -jugendlichen. Um die Zukunft des jungen Schaustellernachwuchs zu sichern, werden staatliche geförderte Programme wie „Schule Unterwegs“ und „BeKoSch – Berufliche Kompetenz für Schausteller“ angeboten.
Praktische Probleme und ihre Bewältigung
Kurz nach Kriegsende werden die Probleme der Schaustellerfamilien in Ost und West zunächst ähnlich gewesen sein. Es gab auf beiden Seiten kaum Ersatzteile zum Reparieren der Geschäfte. Es fehlten Farben, Elektroartikel und vieles mehr.
Viele Schaustellerfirmen hofften, dass sie nach Ende des Krieges ihre beschädigten Geschäfte schnell wieder in den Karussellbaufirmen repariert bekommen würden, im Osten begründet durch die Tatsache, dass der Karussellbau vor dem Krieg seinen Schwerpunkt in Thüringen gehabt hatte. Dies hätten die Kommunisten als Gewerbezweig nutzen können.
Aber es kam anders. Die „Caroussel Fabrik Friedrich Heyn“, die Karusselbaufirma Gundelwein und andere kleinere Firmen hatten zwar den Krieg überstandenen und wollten auch Reparaturaufträge erfüllen, aber um alle Aufträge ausführen zu können, fehlte ihnen das entsprechende Material. An den Neubau von Karussells war vorerst gar nicht zu denken. Karl Welte erzählte, dass die Firma Gundelwein der Mercedes unter den Karussellbauern im Osten gewesen sei. Ein Gundelwein-Karussell zu besitzen, sei ein Privileg gewesen. Als Gundelwein 1955 verstaatlich werden und ab sofort nur noch Landmaschinen produzieren sollte, flüchtete Gundelwein in den Westen, wo er später verstarb. Das letzte fertiggestellte Karussell soll die „Walzerfahrt“ von Welte gewesen sein. Karl Welte begann zu schwärmen, als er sich an dieses Schmuckstück erinnerte. Aber nicht nur er, sondern alle privaten Eigentümer pflegten ihre Geschäfte in besorgter und liebevoller Weise.
Da es in der Mangelwirtschaft so gut wie keine Ersatzteile zu kaufen gab, entwickelte sich ein abenteuerlicher Tauschmarkt von selbst gefertigten oder nicht mehr benötigten Ersatzteilen, Farben, Leuchtmitteln usw. Es sollen auch manche Geschäfte in Eigenbau in Hinterhöfen oder Garagen gebaut worden sein, z.B. ein Calypso.
Anregungen bekamen die Schaustelle durch das verbotene Westfernsehen, dessen Nutzung durch die Antennenrichtung auf den Wohnwagen des Öfteren aufflog, weil dies gelegentlich von Kontrolleuren überprüft wurde. Karl Welte erzählte, dass er durch seine Verwandtschaft gelegentlich an eine Ausgabe der westdeutschen Fachzeitschrift „Der Komet“ gekommen sei. Man habe jede Zeile verschlungen und das verbotene Westwerk an die Kollegen weitergereicht.
Über den von Orschel erwähnten Karl Backhaus aus Berlin-Hohenschönhausen, der wie Franz Gundelwein ein ehemaliger Mitarbeiter vom Karussellbaufabrikant Fritz Bothmann gewesen sein und sich 1917 als Karussell- und Maschinenbauer selbstständig gemacht haben soll, gab es keine weiteren Informationen. Backhaus soll als einer der wenigen bald wieder mit 7 Mitarbeitern (vor dem Krieg sollen es 27 gewesen sein) neben unzähligen Reparaturen auch Aufträge für Neubauten angenommen haben. (Orschel S. 9)
Neben den privatwirtschaftlichen Fahrgeschäften der Schausteller gab es auch Fahrgeschäfte die dem DDR-Staatszirkus gehörten. Der VEB (Volkseigener Betrieb) Staats-Zirkus war am 1. Januar 1960 auf Anordnung des Ministeriums für Kultur gegründet worden und ihm unterstellt. Ursprünglich war es ein Zusammenschluss von drei ehemaligen privaten Zirkussen: Barlay, Berolina und Busch. 1961 kam der Zirkus Aeros dazu. Aufgrund der Wünsche und Bedürfnisse des Volkes nach modernen Karussells erwarb dieser VEB einige Fahrgeschäfte aus dem Westen. Aus den Niederlanden zwei Twister und einen Telekombat, aus Italien zwei Babyflieger der Firma Lutz, von Schwarzkopf eine Sprungschanze und zwei Holzachterbahnen. Diese Geschäfte sollen von staatlichen Mitarbeitern betrieben worden, allerdings ziemlich schnell heruntergekommen sein.
Im Jahre 1978 schrieb die Handels- und Gewerbekammer der DDR für die Berufsgruppe Schausteller einen Wettbewerb aus. Eine 100prozentige Modernisierung und Rekonstruktion der Fahrgeschäfte lautete einer der Schwerpunkte des sozialistischen Wettbewerbs. Das Alter der Karussells könnte man einen der wunden Punkte nennen. Schließlich drehten die Gondeln und Wagen ihre Runden seit Jahr und Tag auf Jahrmarkt und Volksfest und stammten oftmals aus Großvaters Zeiten. Joachim Schlund, Bezirksratsmitglied für Kultur, würdigte damals die Leistungen der Schausteller, die einen wichtigen Beitrag für das Wohlbefinden und die Freude der Bürger leisteten. Außerdem sei es ihnen zu verdanken, dass sich die privaten Fahrgeschäfte trotz ihres Alters im Vergleich zu anderen Bezirken in sehr gutem Zustand befänden, was nicht zuletzt dem Fleiß und handwerklichen Geschick der Schausteller zu verdanken sei. (Bericht über Bezirksarbeitstagung: Beliebte Zukunft mit Zukunft 1987)
„Wer nichts braucht, weiß gar nicht, was es alles nicht gibt.“ (Welte)
Aber den ostdeutschen Schaustellerfamilien war schon bewusst, was sie alles nicht hatten: keine modernen Karussells, keine Kräne zum Aufbauen, keine modernen Zugmaschinen oder sonstigen Wagen. Der Mangel war schon ein Problem, dagegen war Geld zu verdienen ganz einfach. Alle Kosten waren niedrig. Das Schaustellergewerbe wurde vom Staat subventioniert, Standgelder, Löhne, Stromkosten usw. waren sehr gering. Es gab nicht so viele Geschäfte, deshalb gab es keinen Konkurrenzkampf untereinander und keine Platzsorgen, jeder hatte sein Reisegebiet usw.
Aber trotzdem waren sie in vielen Entscheidungen eingeschränkt, z.B. brauchte Karl Welte für die Erneuerung der Gondeln seiner Walzerfahrt den Nachweis einer Dringlichkeit für Polyester. Dazu musste das Chemie-Ministerium in Halle sein Einverständnis geben.
Im westlichen Teil des Landes war während des Krieges bei den Herstellern von Karussells und anderen Schaustellergeschäften die Arbeit eingestellt worden. Z.B. wurden bei Hans Hennecke, anstelle von Kinderkarussells Munitionskisten sowie weiteres Versorgungsmaterial für die Regierung angefertigt. Nach dem Krieg begannen zunächst die Reparaturarbeiten. Ähnlich ging es anderen Firmen, z.B. der Firma Achtendung in Köln, der Firma Stork in Soest usw.
Auch die Firma Heinrich Mack begann in der schwierigen Zeit des Wiederaufbaus nach Ende des Krieges zunächst mit Reparaturen. Der Bau von Autoskootern und Wagen setzte jedoch bald wieder ein.
Die Firma Willi Dietz Fahrzeugbau erlebte ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg eine enorme Nachfrage nach Verkaufs- und Ausspielungswagen.
Innerhalb weniger Jahren entwickelte sich dann bei Heinrich Mack und anderen Firmen, die Auftragslage explosionsartig und unzählige moderne Fahr-, Hoch- und Belustigungsgeschäfte sowie Spiel- und Verkaufsgeschäfte wurden entwickelt, gebaut und in die ganze Welt versandt. Zu diesem Erfolg trugen auch die Schaustellerinnen und Schausteller mit ihrer Kompetenz, ihrer Innovationsfähigkeit in Planung, Konstruktion und Dekoration, die sie den Herstellern und Malern ihrer Schaustellergeschäfte übermitteln, bei.
Stromversorgung, Ware und Mobilität
Kurz nach dem Ende des Krieges gab es ein weiteres Problem: die Stromversorgung für die Volksfestplätze, denn die Stromnetze waren vielerorts durch die Bombardierungen noch stark beeinträchtigt. In der sowjetischen Besatzungszone gab es Strom zum Betreiben z.B. der Karussells nur mit Sondergenehmigungen, die mit den zuständigen Elektrizitätswerken ausgehandelt werden mussten.
Im Westen fanden sich schnell Lösungen, um die Karussells ans Laufen zu bringen. Anfangs sollen noch Dampfmaschinen zur Stromversorgung und später auch eigene Stromaggregate eingesetzt worden sein.
Gewinne für Spielgeschäfte wie Verlosungen, und Schießbuden waren im Osten im Anfang nur schwer zu beschaffen.
Wie im Handbuch der Schausteller zu lesen ist, gab es später einige Firmen die alles für Schausteller – Spiel- und Verkaufsgeschäfte anboten.
Es scheint auch Ausnahmen gegeben haben. So wurde 1987 auf der Schaustellerkonferenz in Karl-Marx-Stadt diskutiert, dass ein zentralisierter Einkauf der Ware nur über die GHG (Großhandels Gesellschaft) mit Sitzen in Leipzig und Erfurt möglich sei. Dort gab es unter staatlicher Registrierung und Verteilung alles, was für Spiel- und Verkaufsgeschäfte benötigt wurde. Lose, mit immer der gleichen Anzahl Gewinne in sicher verschlossenen Verpackungen, Kunstblumen und weiße Röhrchen, Magazine und Bleikugeln für die Luftgewehre, Würfel, Ringe oder Bälle für Ball- oder Wurfgeschäfte und sogenannte Kleingewinne. (Dynastien in bunten Wagen. Neue Zeit 31.01.1987)
Fahrpreise, Verkaufspreise und sämtliche Preise für Spielgeschäfte waren durch den EVP, dem staatlich einheitlichen Verkaufspreis vorgeschrieben. Die Erhöhung eines Fahrpreises musste beim Rat des Bezirks beantragt und begründet werden.
Lebensmittel, Getränke oder „echter Kaffee“ für Verkaufsgeschäfte waren kaum aufzutreiben und stark überteuert, deshalb war die Anzahl von Imbiss- und Ausschankgeschäften bis zum Mauerfall in allen Bezirken fast gleich null.
Sicherlich war die Warenbeschaffung im Westen ebenfalls schwierig, denn in allen Besatzungszonen war z.B. die Lebensmittelknappheit noch nicht ausgestanden. Aber die Lieferfirmen sprossen in wenigen Jahren aus dem Boden. Anfangs wurden auch viele Haushaltartikel verlost. In den 1950/60er Jahren kam es zu enormen Produktionen von Puppen, sogenannten Paradepuppen, heute auch als „Kirmespuppen“ im Internet zu finden, mit wunderschönen Kleidern, die kreisförmig drapiert waren. Dann kamen Laufpuppen auf den Markt und eine Vielzahl von bunten Plüschtieren, die ebenfalls an den Verlosungsbuden ausgespielt wurden.
Bedeutend schlechter als bei den Kollegen im Westen stand es um die Mobilität in der DDR innerhalb der bisher bewährten Reisegebiete der einzelnen Schausteller.
Für die wenigen Zugmaschinen, die nicht beschlagnahmt oder noch betriebsfähig waren, gab es kaum Diesel oder er wurde knapp rationiert abgegeben. Bereits im Winter musste die Menge des benötigten Kraftstoffes angemeldet werden. Wenn z.B. 5000 Liter beantragt wurden, konnte man von Glück reden, wenn Dieselmarken für etwa 3000 Liter zugeteilt wurden. Aber es gab immer wieder Tankwächter, die gegen ein kleines Entgelt zusätzliche Liter abgaben.
Der Transport von Kirmesgeschäften mit der Eisenbahn war, genau wie im Westen möglich, aber im Osten aufgrund des Waggon-Mangels fast nicht durchführbar. Eine Wartezeit auf dem Verladebahnhof von zwei Tagen war nicht unüblich.
Trotzdem schafften es die Schausteller von einem Platz zum anderen zu gelangen und wurden in fast allen Städten und Gemeinden von der Bevölkerung mit offenen Armen und großer Freude empfangen.
Auch im Westen erforderte die Mobilität in den ersten Jahren spezielle Fähigkeiten zur Beschaffung von Diesel und anderen Brennelementen. Außerdem gehörte ausreichend Erfahrung im Verladen der teils älteren Schaustellerwagen auf die Bahn dazu. Überliefert sind auch Zugmaschinen, z.B. ein Hanomag oder ein Lanz-Bulldog, die mit einem Holz- oder Gasbrenner angetrieben wurden. Nicht unüblich war, dass mehrere Wagen – Wohn- oder Packwagen – einfach hintereinander gehängt wurden und von nur einer Maschine mit 25 km maximaler Geschwindigkeit gezogen wurden. Teilweise waren die Familien alle zusammen während der Fahrt in einem Wagen. Ging es bergauf, sprangen die jungen Leute heraus und schoben von hinten mit dem Hebelbaum oder den Händen an. Ging es bergab, liefen sie mit einem Klotz in der Hand an beiden Seiten der Wagen entlang. Im Falle, dass die Wagen zu schnell wurden, konnte mit den Klötzen gestoppt werden. (Frühere Erzählungen von Maria Schoeneseifen, Mutter der Verfasserin)
Schausteller in Ost und West
Den DDR-Zeitungsberichten der 1980er Jahre und vieler Gesprächen der Verfasserin mit Zeitzeugen ist zu entnehmen, dass es auch in der DDR für viele jungen Leute keine langen Überlegungen brauchte, das elterliche Geschäft fortzuführen. Ausschlaggebend war und ist die Liebe und Verbundenheit von Schaustellerinnen und Schaustellern zu ihrer Tradition und ihrer Identität als Teil des Schaustellergewerbes sowie die Begeisterung für die Volksfestkultur.
Der Schausteller Siegfried Jacobi bestätigte am 10.12.1988 in der „neue Zeit“, dass er sich keinen schöneren Beruf als den des Schaustellers vorstellen könne. Sein Herz würde nach vierzig Jahren immer noch im Rhythmus des Rummels schlagen. Sein Vater habe 1928 den Familienbetrieb mit dem Kauf einer Bothmann Luftschaukel gegründet. Inzwischen würden seine Fahrgeschäfte mit drei Zugmaschinen transportiert. „Drei Generationen, Eltern, Kinder und Enkel, leben in Wohnwagen mit fließend warmem und kaltem Wasser, Radio, Fernsehen, Heizung, Waschmaschine.“ (Neue Zeit 10.12.1988 S. 8)
Im gleichen Bericht heißt es auch: „Die Generationen leben dichter beieinander, lernen voneinander, Rücksicht zu üben, Verständnis aufzubringen, miteinander auszukommen, weil sie sich brauchen, die Jungen und die Alten, deren Rat befolgt wird, nicht nur aus gewohntem Gehorsam, sondern aus Achtung vor einem schaffensreichen Leben mit seinen Erfahrungen.“(ebd.)
Auch in der DDR gaben die Eltern ihr Wissen und Können sowie ihre Erfahrungen auf nicht schriftlichem Wege an ihre Kinder weiter. „Disziplin, Hilfsbereitschaft, Kraft, technisches und kaufmännisches Können bilden wichtige Voraussetzungen. Ein Schausteller muss in vielen Berufen zu Hause sein. Aber vor allem ist seine Zuverlässigkeit gefragt.“ (ebd.)
1985 sagte Horst Müller der „Freien Presse“ in einem Artikel mit dem Titel „Richtige Schausteller werden auf der Reise geboren“: „Ich kann nicht wegbleiben. In den Orten warten die Leute auf uns. Verstehen Sie, eine Art Berufsehre ist das, dabei zu sein und den Menschen Freude zu bereiten. Dafür nimmt man manche Entbehrung auf sich“. (Freie Presse 25.01.1985 S. 5)
In der DDR haben die Schaustellerinnen und Schausteller also genau wie ihre Kollegen in der BRD im Familienverbund gearbeitet und ihr Wissen ihren Kindern weitergeben.
Auch im Westen wurde und wird der Nachwuchs neben dem öffentlichen Schulbesuch schon früh spielerisch in vielerlei praktische Berufe eingeführt. Später geben die jungen Leute Wissen, Können und Erfahrungen auf nicht schriftlichem Wege an ihre Kinder weiter. Auch ohne eine spezifische Ausbildung beherrschen Schausteller eine Vielzahl verschiedener Handwerkstechniken. Schaustellerinnen und Schausteller müssen offen sein für alles Neue, immer wieder Machbarkeiten prüfen, alle an einem Strang ziehen und zusammenhalten, um die Turbulenzen, die das Leben auf den Festplätzen mit sich bringt, zu meistern. Inzwischen prägen neben dem unternehmerischen Wagemut Verhandlungen mit Veranstaltern, Umweltschützern und Kommunen das Leben und Schaffen der ganzen Familie. Dieser flexible Umgang mit den je nach Örtlichkeit unterschiedlichen Bedingungen wird von Generation zu Generation weitergegeben und hat das Schaustellergewerbe positiv verändert.
Eine weitere Gemeinsamkeit findet man in der Betreuung der Schaustellerfamilien durch die katholische oder evangelische Circus- und Schaustellerseelsorge. Taufen, Kommunion, Firmungen, Konfirmationen oder Hochzeiten werden noch heute oft unter dem Dach eines Autoskooters zelebriert. Der evangelische Schausteller-Pfarrer Klaus Biehl fuhr viele Jahre mit seiner Frau Margit mit seinem Wohnwagen als „Kirche auf Räder“ auf viele Volksfestplätze der DDR. Er betreute etwa 5000 Schaustelleinnen und Schausteller, spendete Sakramente und segnete in seiner Amtszeit etwa 640 Fahrgeschäfte.
Die Betreuung durch beide christlichen Kirchen hat eine lange Vergangenheit. Heute betreut die Katholische Circus- und Schaustellerseelsorge im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz im vereinten Deutschland 40.00 Schausteller und Zirkusleute. Daneben gibt es auch seit über 60 Jahren eine Evangelische Circus- und Schaustellerseelsorge (CSS) in Deutschland. Zu ihrer mobilen Gemeinde gehören etwa 23.000 Menschen aus der Schaustellerbranche und den Zirkussen.
Fachzeitungen in Ost und West
Im Dezember 1986 erschien die erste Ausgabe eines „Mitteilungsblatt SCHAUSTELLER“ des Beirats der Schausteller beim Ministerium für Kultur der DDR. Dort heißt es in der 1. Ausgabe Nr. 1, 1. Jahrgang Dezember 1986
„In eigener Sache
Schausteller teilen sich bekanntlich gern mit, im Gespräch während der Bauwoche auf diesem oder jenem Platz, in der Kantine oder aber auch im Winter bei einem zufälligen Zusammentreffen, vielleicht in der Heimatstadt.
Ab sofort jedoch gibt es eine Möglichkeit des Mitteilens mehr, dieses Blättchen nämlich, das nur heute mit dieser ersten Ausgabe im Umfang von lediglich vier Seiten erscheint, künftig aber wenigstens zweimal in Jahr allen Interessierten — und dies können in erster Linie wohl nur die Schausteller selbst sein — insgesamt acht Seiten einräumt zum Austausch von Meinungen und Erfahrungen, zum Vermitteln von Nachrichten oder einfach als Tribüne zum allgemeinen Gedankenaustausch.
Sicher trägt sich solch ein Blatt nur durch eine ständige und rege Mitarbeit aller Betroffenen, wozu neben den Schaustellern selbst natürlich auch die Räte der Bezirke, Räte und Platzverwaltungen der verschiedensten Städte und nicht zuletzt auch die Dienststellen der Handels- und Gewerbekammer zu rechnen sind.
Wünschen wir also uns — denn wir selbst sind ja die künftigen Leser — ein informatives und interessantes und durch unsere eigene Mitarbeit gestaltetes Mitteilungsblatt „Schausteller“!
Im Westen berichtete auch in den Kriegsjahren und danach die im Jahre 1883 gegründete erste Fachzeitschrift der Schausteller „Der Komet – Fachblatt für das Reisegewerbe und den Markthandel in Pirmasens.“ Die Devise lautete:
„Um unseren Zweck vollständig zu erreichen, haben wir uns entschlossen, dass unser Organ nur ganz speziell unsere Interessen vertreten soll. Nichts von Politik, Nationalität, Partikularismus, Konfession und Parteistellung!“
Noch immer wird die Vernetzung der Schaustellerinnen und Schausteller untereinander und mit den Berufsorganisationen, den Städten und Kommunen durch die älteste Fachzeitschrift der Schausteller gesichert.
Schaustellertagungen im Osten und Westen
1987 fand in Karl-Marx-Stadt nach einer Unterbrechung wieder eine Schaustellerkonferenz des Ministeriums für Kultur der DDR in der Stadthalle statt, zu der die Handels- und Gewerbekammer des Bezirkes eingeladen hatten.
Dazu schrieb Bodo Zabel, Leiter der Abteilung Unterhaltungskunst im Ministerium für Kultur, als Vorsitzender des Beirats in dem neu gegründeten Schausteller-Mitteilungsblatt folgende Ankündigung:
„Die erste Ausgabe unseres Mitteilungsblattes „SCHAUSTELLER“ erscheint unmittelbar vor der Schaustellerkonferenz des Ministeriums für Kultur, die am 2. Februar 1987 in der Stadthalle Karl-Marx-Stadt stattfindet.
Mit dem XI. Parteitag der SED und seinen auf das Wohl des Volkes und die Sicherung des Friedens gerichteten Orientierungen sind auch dem volkseigenen und privaten Schaustellerwesen bei der weiteren Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft neue Aufgaben gestellt. […], um das bisher Erreichte zu werten und die besten Erfahrungen breit zu verallgemeinern, wird diese Konferenz durchgeführt.“
Auf der Konferenz informierte Bodo Zabel die Schausteller über aktuelle Themen, wie Fahrpreise, Mindest-Entlohnung für Arbeitskräfte, Ersatzteile, Glühlampen sowie neue Auflagen der strengen technischen Sicherheitsprüfungen der Fahrgeschäfte, die alle zwei Jahre durchgeführt wurden, ähnlich den westdeutschen TÜVs.
Der Umsatz soll angesprochen worden sein, der sich pro Betrieb seit 1964 anscheinend verdoppelt hatte, sowie die Zahl der Volksfeste. Sie war von rund 300 im Jahr 1975 auf inzwischen 600 angestiegen und die Besucherzahlen sollen die Millionengrenze überstiegen haben.
Thematisiert wurde auch die Vorbereitung und Realisierung der „Kät“ in der Stadt Annaberg-Buchholz im kommenden Jahr. Sie sollte als fester Planbestandteil unter Einbeziehung der Betriebe und Einrichtungen – natürlich auch in enger Zusammenarbeit mit den Schaustellern —, die ihren Erfahrungsschatz jederzeit gratis zur Verfügung stellen, durchgeführt werden. (Bericht über Bezirksarbeitstagung: Beliebte Zukunft mit Zukunft 1987)
Die Konferenz hatte bereits am Abend zuvor begonnen mit der Einladung in den „Klub Riesenrad“ mit musikalischer Unterhaltung. Auch eine Modenschau für die Damen war im Programm. Die Konferenz endeten mit einem festlichen Ball im großen Saal der Stadthalle.
Seit den 1950er laden im Westen DSB und im BSM zu jährlich stattfindenden Schausteller-Delegierten Tagungen in Eigenregie ein. In spezifischen Fachsitzungen werden Probleme, Sachfragen und Neuerungen diskutiert. Es gibt einen Empfang der Damen und einen Jugendball am Abend. Auch die Delegiertentagungen werden immer mit einem Festakt am letzten Abend beschlossen.
Fazit
Zum Abschluss der Gegenüberstellung der Entwicklung des Schaustellergewerbes im Osten und Westen von 1945 bis zum Mauerfall ist es mir als westdeutscher Schaustellerin nicht möglich, die Frage zu beantworten, ob es dem Schaustellergewerbe hinter dem „Eisernen Vorhang“ genauso gut, besser oder schlechter als in der damaligen BRD ergangen war. Zeitzeugen erzählten mir, dass Leben sei nicht einfach gewesen, aber einige Schaustellerinnen und Schausteller hätten sich auch gut im kommunistischen Regime eingelebt, sich der Kontrolle durch das System, die gleichzeitig auch ein Schutz nach außen gewesen wäre, untergeordnet. Letztendlich sei es ihnen allgemein nicht so schlecht ergangen und nicht alle seien unzufrieden gewesen. Sicherlich gibt es noch viel über diese Jahre der deutschen Volksfest Kultur zu berichten.
Mehr dazu wird in einem weiteren Beitrag zu einigen Schaustellerfamilien sowohl aus dem Osten, als auch aus dem Westen zu finden sein, die heute gemeinsam im vereinten Deutschland die Volksfeste bereichern.
Ich hoffe, dass der Blick zurück in die Zeit des geteilten Deutschlands, Ihnen genau wie mir, ein zufriedenes Gefühl vermittelt, dass wir als Schaustellerinnen und Schausteller diese Jahre gemeistert haben und heute gemeinsam, frei in unseren Entscheidungen, zusammenleben und arbeiten können.
© Margit Ramus
Quellen | Orschel, Rolf: Schausteller und Volksfeste der DDR In: Kirmes Special Sonderband der Kirmes & Park Revue 2005. |