Schausteller-Jubiläum Rudolf von der Gathen amüsiert seit 50 Jahren auf Kirmesplätzen sein Publikum
Gegen Mitternacht nach einem 18-Stunden-Tag als Kaufmann, Organisator, Handwerker, Animateur und Routenplaner in den Wohnwagen zurückkehren. Noch ein Butterbrot essen. Im Gespräch mit der Ehefrau den Tag Revue passieren lassen. Sich an die Freude auf den Gesichtern so vieler Besucher erinnern und mit den Gedanken schon voraus in die nächste Stadt eilen, bevor es ein paar Stunden Schlaf gibt.
Das ist für Rudolf von der Gathen das pure Glück. Der 68-Jährige, der an seinem Geburtstag im März auch sein 50-Jahr-Jubiläum im Schaustellergewerbe gefeiert hat, lebt mit Ehefrau Monika in einem komfortablen, selbst ausgebauten Haus in Lind. Zuhause aber sind die beiden auf Kirmesplätzen im Rheinland und in ganz Deutschland.
Von der Gathen entstammt einer Schaustellerfamilie, deren Ursprünge sein verstorbener Bruder bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt hat. Damals habe ein amüsierter Fürst die Gaukler-Familie mit dem Adelsprädikat „von“ ausgezeichnet. Als Puppenspieler, Spaßmacher, später mit selbst gebauten Buden und Karussells haben die von der Gathens sich auf Kirmessen und Jahrmärkten einen klingenden Namen gemacht.
Bezahlt wurde lange eher mit Naturalien als mit Geld. Noch sein Vater Harry, der nach dem Krieg mit einer Eisbude und einer selbst gebauten Kinderschaukel von Stadt zu Stadt zog, hat oft genug Schaukelkarten gegen Zucker getauscht, den er für die Eisbereitung brauchte.
„Der Rudi“, wie von der Gathen genannt wird, hat wie seine Brüder nie einen anderen Lebensplan als den Schaustellerberuf gehabt. Das gelte genauso für seine Frau, seinen Sohn, zwei Töchter und drei Enkel. „Es gibt nichts Schöneres“, sagt der seit 31 Jahren bewährte Vorsitzende der Gemeinschaft Kölner Schausteller. Die Mischung aus Freiheit, Risiko, Plänen und stetiger Veränderung macht sein Leben reich, die Schausteller sind seine große Familie.
Nach dem frühen Tod des Vaters wurde von der Gathen 1964 für großjährig erklärt, bekam an seinem 18. Geburtstag zeitgleich den Führerschein und den Gewerbeschein und trat in die Schaustellergemeinschaft ein. Zuerst reist er mit einer vom Vater gebauten Schießbude, damals eine tolle Attraktion. Dann stieg er ins Verlosungsgeschäft ein.
Mit den ersten Ersparnissen daraus erfüllten sich Rudi von der Gathen und seine Frau Monika, Tochter einer Bochumer Schaustellerfamilie, ihren Traum: ein Fahrgeschäft. Es handelte sich um eine Überschlagschaukel, die von der Gathen aber wegen des hohen Personalaufwandes bald wieder verkaufte.
Er kehrte zurück zur Verlosung und die Jugendlichen umlagerten seinen Wagen, um Transistorradios oder Mini-Fernsehgeräte zu gewinnen. Es folgten ein rasantes Flieger-Karussell und ein Großverlosungswagen, auf dem „Mönchisches“ und andere fernsehbekannte Spielzeuge Kinderherzen höher schlagen ließen. Später kam der Einstieg ins Automatengeschäft. Mit attraktiv präsentierten Automatenspielen, bei denen es von Gesetz wegen Sachpreise, aber keine Geldgewinne geben darf, sind die Eheleute von der Gathen und weitere Familienmitglieder seither unterwegs.
Die 30 Spielwochen währende Saison beginnt mit der Münsteraner Send und endet im November, erstes Kölner Glanzlicht ist traditionell die Frühjahrskirmes. Natürlich freut sich von der Gathen als Mitveranstalter auf dieses Fest in seiner geliebten Heimatstadt und auf die Menschen, die der Kirmesbesuch froh macht. „Es gibt kein preiswerteres Vergnügen, das sich der Mensch gönnen kann und soll“, sagt er mit Hinweis darauf, dass schon das Staunen auf dem Rummelplatz, ohne jeglichen Eintritt, ein Glückserlebnis sei.
In Köln werden Schaustellern die Arbeit aber durch besonders viel Bürokratie und Gebühren erschwert. Zu den überall gestiegenen Kosten für Anschlüsse und Standgeld komme hier noch eine Automatengebühr hinzu. Und die Musik, für die jeder Schausteller Gema-Gebühren entrichte, bedürfe es noch einer Extra-Erlaubnis.
Für das Schaustellergewerbe gelte seit der Euro-Einführung eine Inflationsrate von 80 Prozent, hat er errechnet. Überall machten den Kollegen wachsende Auflagen, die Verdrängung an den Stadtrand und das geänderte Freizeitverhalten vieler Menschen zu schaffen. Statt ganzer Familien besuchten jetzt vorwiegend Jugendliche die Feste. Die Romantik von einst, als der kleine Rudi jede Woche eine andere Schule besuchte und dort für wenige Tage König der Kinder war, sei verflogen.
Von der Gathens Kinder haben weitgehend und die Enkel ausnahmslos Schulen in der Heimatstadt besucht. „Bildung ist sehr wichtig, die Zeiten haben sich geändert“, sagt das Familienoberhaupt. Auch für die Nachkommen gelte aber: Zur Ehe suche man sich unbedingt den Spross einer Schaustellerfamilie. Da stimmt Ehefrau Monika lebhaft zu. Sich mitten im Kirmesradau, nur umgeben von Wohnwagenwänden, ein Leben lang behüteter zu fühlen als im schönsten Eigenheim – das können nur Schaustellerkinder.
Kölner Stadt-Anzeiger 8. April 2014
Abschrift vom originalen Zeitungsartikel © Margit Ramus
Quellen | Kölner Stadt-Anzeiger 8. April 2014 |