Historische Schaustellergeschäfte A - Z

1860er Jahre Etagenkarussells

Name(n) des Geschäftes Etagenkarussell
Typologische Bauaufgabe Kindergeschäft
Bauform Rundbau
Baujahr ab den 1860er Jahren
Hersteller Eigenbau ? >> Bothmann u.a.
Maler unbekannt
Dekorationsstil Neubarock
Dekorationsthema Märchen und Liedgut
Bauherr / Inhaber Horn; Sartorio,  u.a.

Einführung 
Florian Dering schrieb 1986, dass die erste Erwähnung des Etagenkarussells, auch Doppelstockkarussell genannt, in die 1860er Jahre zurückführt. Über die Erbauer und den Verbleib dieser frühen Karussells ist nichts bekannt. Einige wenige Fotos gibt es noch. 
Die Etagenkarussells, die Fritz Bothmann zugeschrieben werden können und noch in Betrieb sind werden in eigenen Artikeln vorgestellt. Zu ihnen gelangen sie am Ende der Seite über einen Link.
Angemerkt wird, dass auch die gegenwärtigen Inhaber das Baujahr ihres Bothmann-Karussells oft um die Mitte des 19. Jahrhunderts angeben. Sicher ist, dass Bothmann erst im Mai 1883 seinen Betrieb gegründet hat. 

Etagenkarussell der Familie Horn

Baubeschreibung
Zweigeschossiger Rundbau mit Schmuckdachkante. Die Übergänge der spitzgiebelartig geformten Bildtafeln der Schmuckdachkante sind mit Skulpturen bekrönt. Die obere Plattform ist durch ein umlaufendes Ziergitter gesäumt. Eine Treppe führt in die untere Einstiegsebene. In die untere Ebene sind Pferde, venezianische Gondeln und Trillergondeln ein gestellt.

Dekoration
Die Malerei der Schmuckdachkante ist auf der Abbildung nicht mehr zu erkennen. Die auf den Blenden der Übergänge der einzelnen Bildtafeln aufgestellten Skulpturen sind nicht mehr zu definieren. Das Besondere an der Dekoration ist die Fülle an quer behängen aus Stoff. Mit Quasten und langen Fransen am geraden, unteren Abschluss verkleiden sie die sternförmig angeordneten Ausleger der Dachkonstruktion. Zusätzlich sind rundbogige Behänge diagonal dazwischen gehängt. Spitzenbesetzte Lampions, aus denen kleine Carbon-Lampen herausschauen, unterstreichen in den Abendstunden die Dekoration mit gedämpftem Licht. Feine Spitzen mit stilisierten Mustern und Fransen in zarten Materialien, die aus der Renaissance bekannt sind, grenzen als Vorhangbögen den inneren Stützenkranz der unteren Ebene ein. Wappenähnliche Medaillons zieren die umlaufenden Ziergitter der oberen Etage. Unterbrochen werden sie nur von einem Treppenaufgang, der von einer Art Lambrequin, einem französischen Bogenbehang mit Spitzen und Quasten, gesäumt wird.

Besatzung
Einen besonderen Stellenwert in der Dekoration von Boden-­ und Etagenkarussells nehmen die kunstvoll geschnitzten Pferde, Gondeln und Kutschen ein. Dekoration und Besatzung zeigen stilistische Zitate von Barock- und Rokokoarchitektur sowie der Renaissance.

Kritische Anmerkung
Als Hersteller wurde von der Familie Horn Fritz Bothmann angegeben. Diese Angabe ist eher zweifelhaft. Es passt nicht in Bothmanns Dekorationsschema, wie ein Vergleich mit dem Etagenkarussell der Familie Sartorio aus dem Jahr 1888 zeigt. Bei der Dekoration ergeben sich klare Differenzen. Für Bothmann als Hersteller spricht allerdings der identische Baukörper. Möglicherweise stimmt das frühe Baujahr nicht und das Karussell wurde von Bothmann gebaut, aber von den Inhabern in Eigenregie mit der üppigen stofflichen Dekoration ausgestattet.

Etagenkarussell der Familie Karl Sartorio von 1888

Dekoration 
Auch bei diesem Karussell ist die Malerei der Schmuckdachkante auf der Abbildung nicht mehr zu erkennen. Die Formen der Bildtafeln alternieren nach oben mit spitz- und rundbogigen Abschlüssen. Aufgelegte Kartuschen sind von Voluten und Rankwerk gesäumt. Hier verkleiden ebenfalls stoffliche Querbehänge mit langen Fransen die sternförmig angeordneten Ausleger der Dachkonstruktion. Ein stofflicher Kranz mit geradem Abschluss schließt den doppelstöckigen Rundbau ab. Die innere Arkatur scheint aus festem Material in Bogenform zu sein, sie grenzt die untere Ebene von der oberen ab. Pferde und Gondeln sind nach Form und Gestaltung Friedrich Heyn zuzuordnen.

Provenienz und Verbleib
Nachdem der Sattler, Karl Sartorio 1898 die Schaustellertochter Auguste Dilfert aus Bruchmühlbach geheiratet hatte, erwarb er ein zweistöckiges Pferdekarussell, welches 1888 von Fritz Bothmann gebaut worden war. Sartorio betrieb nebenbei noch ein Jahr die Sattlerwerkstatt, dann ging er ganz auf die Reise. 1988 erwarb er dieses zweistöckige Karussell. Der Fabrikpreis lag je nach Ausführung zwischen 10.350 und 15.750 Mark. Nach dem Tod des Vaters übernahm Karl Sartorio jr. im Jahr 1908 das Etagenkarussell. Über den Verbleib ist nichts bekannt.

© Margit Ramus

Zu den Etagenkarussells schrieb Fritz Peters folgendes:

„Ein „gigantisches“ Unternehmen — Das Doppel- oder Etagenkarussell
Unter dem Namen „Riesenkarussell“ lernten die Bremer während des Freimarkts 1870 ein Doppel- oder Etagenkarussell kennen. Es war ein Fortschritt, dass dieses Belustigungsgeschäft, das bis 1884 alljährlich eintraf, durch ein Pferd in Gang gesetzt wurde: „Dort kann die liebe Jugend für nur 2 Grote länger reiten, als auf anderen Karussells. Im oberen Stockwerk des Karussells zahlt man nur 1 Groten“. Es war in der Art des Bodenkarussells gebaut und mit hölzernen Pferden, Chaisen und schaukelnden Schiffen ausgestattet. Besondere Freude herrschte auf ihm, als es einmal von seinem Eigentümer, Eduard Opitz aus Magdeburg, für eine Stunde den Kindern des St.-Petri-Waisenhauses zur Verfügung gestellt wurde. Unter Beaufsichtigung des Waisenhausvaters und der Lehrer amüsierten sich die jubelnden Kinder zum Ergötzen der zahlreich versammelten Zuschauermenge, die namentlich der prachtvollen Riesenorgel ihre Aufmerksamkeit schenkte“.“ 1878 waren während des Freimarkts sogar zwei solcher Riesenkarussells aufgebaut. Zuletzt ist ein Etagenkarussell zum Freimarkt 1919 erschienen.“ (Peters S. 122)

 

Weitere Etagenkarussells:

1883 Etagenkarussell Stey
1883 Etagenkarussell Hartmann

 

© Ramus 2013. Kat. 02.
Peters, Fritz

 

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