Liebe Newsletterleserinnen und -leser ,
am 9. März 2022 hat die Expertenkommission der UNESCO die „Volksfestkultur in Deutschland“ als immaterielles Kulturerbe zum dritten Mal abgelehnt.
Im Jahre 2013 reichte der Deutsche Schaustellerbund e.V. eine Bewerbung zur Anerkennung der „gelebten Volksfestkultur in Deutschland“ als immaterielles Kulturerbe bei der UNESCO ein. Im Dezember 2014 erhielt der DSB sodann die Absage der UNESCO, mit der Begründung, dass die Aufnahme der "gesamtdeutschen" Volksfestkultur für fragwürdig gehalten werde, der Einbezug aller Schaustellerinnen und Schausteller der Bundesrepublik Deutschland in die Antragstellung angezweifelt wurde und letztendlich das kommerzielle Interesse im Vordergrund zu stehen schien.
2017 gaben DSB und BSM mir, als Gründerin des Kulturgut Volksfest-Archivs, ihre Zustimmung, gemeinsam mit dem Markt- und Schausteller Museum Essen, diesmal in Vertretung aller Schaustellerinnen und Schausteller bundesweit, einen neuen Antrag einzureichen.
Am 22.10.2019, nach eineinhalb Jahren intensiver Arbeit war es dann soweit. Der von Brigitte Aust, Andrea Stadler, beide ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Markt- und Schausteller Museums Essen, und mir gemeinsam verfasste Antrag zur Aufnahme mit dem Titel: „Volksfestkultur in Deutschland und die Kunst der Schausteller“ wurde auf den Weg gebracht.
Am 19.03.2021 kam die Ernüchterung. Die Expertenkommission der UNESCO stellte den Antrag erst einmal zurück und empfahl eine Überarbeitung.
Die Kommission bemängelte die Angaben zur „differenzierten historisch-kritischen Reflektion der Geschichte und Entwicklung der Kulturform“ und die nicht ausreichend dargestellte „lokale und regionale Identitätsstiftung“ sowie die geplanten „Erhaltungsmaßnahmen“. Außerdem sei nicht genügend deutlich erläutert worden, wer die Trägerinnen und Träger der Volksfestkultur sind.
Ich war davon überzeugt, dass es doch möglich sein musste, die Geschichte und Entwicklung der „außergewöhnlichen Volksfestkultur in Deutschland“ sowie das Leben und Arbeiten der Schausteller wissenschaftlich fundiert, aber gleichzeitig auf lebendige und natürliche Weise zu erzählen, um die Anerkennung als immaterielles Kulturerbe möglich zu machen.
Es war einen weiteren Versuch wert.
Nachdem vom DSB, BSM und den Verantwortlichen des Markt- und Schausteller Museums Essen die Zustimmung zu dem von mir überarbeiteten Antrag und zur Kürzung des Namens der Kulturform in "Volksfestkultur in Deutschland" einstimmig erfolgt war, wurde der Antrag am 10. Mai 2021 erneut eingereicht.
Nun hat das Expertenkomitee auch diesen überarbeiteten Antrag nicht angenommen.
Die Ausführungen zur „differenzierten historisch-kritischen Reflektion der Geschichte und Entwicklung der Kulturform“ und zur „lokalen und regionalen Identitätsstiftung“ trafen offensichtlich auf Zustimmung der Kommission.
In der Begründung der Ablehnung heißt es jedoch, dass anhand der vorgelegten Bewerbungsunterlagen nicht auszumachen sei, mit welchen konkreten Erhaltungsmaßnahmen die Weiterentwicklung und der Erhalt der Volksfestkultur auch in der Zukunft gewährleistet sein würde. Es sei anzunehmen, dass sich die Bewerber nicht ausreichend mit der Geschichte der Volksfeste und deren Kontinuitäten in der Zukunft auseinandergesetzt hätten und außerdem der Antrag der komplexen Frage der Trägerschaft nicht gerecht würde.
Für mich ist diese Entscheidung nicht nachvollziehbar, denn die wichtigsten Maßnahmen zur Erhaltung der Volksfestkultur in Deutschland wurden konkret erläutert. Auch wurde deutlich herausgearbeitet, dass alle Antragsteller eine Priorität darin sehen, die unterschiedlichen Bräuche und Rituale, die auf den sakralen oder weltlichen Ursprung der Feste hinweisen, deren Gründungen nicht selten seit dem Mittelalter beurkundet sind, kontinuierlich und auf kreative Weise zu pflegen und für die kommenden Generationen zu bewahren. Es wurden ebenfalls noch einmal eingehend die Arbeit und das Leben der Schaustellerinnen und Schausteller als Trägerinnen und Träger der Volksfeste beschrieben.
Letztendlich wird als Grund der Absage angegeben, dass der „Grad der Kommerzialisierung der Volksfestkultur“ unklar bleibt. Das scheint mir nach wie vor die entscheidende Ursache für den negativen Bescheid zu sein.
Ich kann mir jedoch die Bemerkung nicht verkneifen, dass auf der anderen Seite die „Deutsche Brotkultur“ als immaterielles Kulturerbe anerkannt worden ist, wobei im Bäckereigewerbe ebenfalls ein hohes kommerzielles Interesse festzustellen ist.
Sicherlich werden die Schaustellerinnen und Schausteller nach der erneuten Zurückweisung nicht den Kopf einziehen, sondern auf unterschiedliche und gewohnte Weise daran arbeiten, die Tradition der deutschen Volksfeste zu erhalten und das Brauchtum zu pflegen.
Ich trage meinen Teil dazu bei, indem ich weiterhin am Ausbau des im Jahre 2017 gegründeten deutschen digitalen Kulturgut Volksfest-Archivs arbeite und regelmäßig Beiträge, die die Volksfestkultur und die Schaustellerfamilien thematisieren, in der Schausteller-Fachzeitschrift Der KOMET veröffentliche.
Auch ohne die nationale Anerkennung als immaterielles Kulturerbe der UNESCO sind ohne Zweifel alle Schaustellerinnen und Schausteller davon überzeugt, dass die großen und kleinen Volksfeste ein zu schützendes Kulturgut sind und dafür werden die Schaustellerfamilien weiterhin auch in Zukunft selbst Sorge tragen.
Aber die offizielle Anerkennung wäre schön gewesen!
In diesem Sinne wünsche ich allen Schaustellern einen guten Start in die neue Saison und allen Leserinnen und Lesern dieses Newsletters weiterhin viel Freude beim Stöbern auf kulturgut-volksfest.de und: möge der furchtbare Krieg in der Ukraine bald zu Ende sein.
Margit Ramus
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