Liebe Newsletterleserinnen und -leser ,
das Jahr 2020 neigt sich dem Ende zu.
Wenn wir das Jahr im Rückspiegel betrachten, war es ein Jahr, welches für die meisten Menschen mit Erwartungen begonnen hat, die sich schnell in Sorgen und schließlich für viele in Existenzängste gewandelt haben. Andere haben in den vergangenen Monaten vielleicht durch Rückblicke in das eigene Leben und das Auffrischen längst in Vergessenheit geratener Freundschaften auch so manches Schöne erlebt.
Nun haben wir Weihnachten. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten für viele Schaustellerinnen und Schausteller eine Adventszeit ohne Einnahmen auf den üblichen Weihnachtsmärkten gehabt zu haben.
Als ich am 1. Adventssonntag in aller Frühe wach wurde, erfüllte mich ein seltsames Gefühl. Es würde, seit 1980 das erste Mal, ein Sonntag im Advent ohne Anspannung und Arbeit werden. Ich schaltete die Kaffeemaschine an, öffnete die Rollläden und schaltete alle kleinen Lichter in meinem Wohnzimmer und an meinem Tannenbaum an. Auch meine Lieblingsweihnachts-CD setzte mit der instrumentalen Version von „White Christmas“ ein. Draußen war es noch dunkel. Mit meinem Kaffee und einer wolligen Decke machte ich es mir auf dem Sofa gemütlich. Es war schon alles für den Heiligabend dekoriert. Seit einigen Jahren machte ich dies immer vor dem Beginn des Weihnachtsmarktes, weil ich in der letzten Adventswoche meist abends total erschöpft in Bett gefallen war.
Etwas melancholisch wanderten meine Gedanken zurück in eine Zeit, als vieles noch ganz anders war. Es gab noch keine Weihnachtsmärkte und das „Wintergeld“, von dem die Schaustellerfamilien die Zeit ohne Einnahmen überbrückten, musste eigentlich bis Pützchens Markt angespart sein. Meine Mutter sammelte den ganzen Sommer das „kleine“ Geld, manchmal kamen auch ein paar Fünfmarkstücke in die große „Hustelinchendose“ im Kleiderschrank. Wenn die Dose gut gefüllt war, kam das Geld ungezählt in kleine Jutesäcke unters Bett. Erst nach Ende der Saison wurde an vielen Abenden sortiert, gerollt und gezählt.
Damals, im Jahr 1959, standen wir mit unserem Wohn- und Küchenwagen auf einem ehemaligen Trümmergrundstück in Köln-Kalk. Meine Großeltern und die Familie Pyllmann mit ihrer Tochter Marion, die nur ein Jahr jünger als ich war, überwinterten ebenfalls dort.
Es war der Tag des Heiligabends. Nur der Adventskranz, das mit Alufolie zugeklebte Fenster der Wohnwagentür und der noch ungeschmückte Baum, der neben der Veranda stand, wiesen auf die kommenden Weihnachtstage hin. Nach dem Backen der Plätzchen, die das Christkind über Nacht natürlich abgeholt hatte, war die ganze Woche in allen Wohnwagen Hausputz gehalten worden. Unser Vater schüttelte immer den Kopf, wenn meine Mutter die beiden Wohn- und Küchenwagen auseinandernahm und alles schrubbte, was zu schrubben war. Nun wurde in der Küche gekocht und die letzten Vorbereitungen für das Weihnachtsessen getroffen. Alles roch so lecker.
Endlich begann es draußen langsam dunkel zu werden.
In der Küche stand auf dem Kohleofen ein großer Topf mit heißem Wasser. Meine Mutter stellte eine riesige Blechbadewanne mitten auf den Küchentisch und goss das warme Wasser hinein. Ich durfte zuerst in die Wanne. Meine Mutter wusch mir die langen Haare und spülte sie mit Essigwasser ab, damit sie einen besonderen Glanz bekamen. Als nächstes kam mein dreijähriger Bruder in das Wasser, er machte schon mal Pippi hinein, deshalb durfte ich immer zuerst baden. Plötzlich hörten wir draußen das Klingeln einer kleinen Glocke. (Mein Vater übernahm jedes Jahr diese Aufgabe.)
Mucksmäuschenstill wurde es in der Küche, sogar mein Bruder hielt im Zappeln inne. Flüsternd erzählte meine Mutter, dass das Christkind um den Wohnwagen fliegen würde und sicherlich durch die Oberlichter schaute, um zu sehen ob wir auch brav seien. Dann lief sie hinaus und kam ganz aufgeregt wieder hinein. In den Händen hielt sie zwei Schlafanzüge und neue Pantoffeln für meinen Bruder und mich, die das Christkind schon mal für uns dagelassen hatte. Es blieb viele Jahr das gleiche Ritual.
Nachdem wir noch ein Butterbrot gegessen hatten, mussten wir ins Bett. Die Heilige Nacht wurde für uns Kinder die längste Nacht des Jahres. Die Bescherung fand bei uns immer erst am Weihnachtsmorgen statt. Endlich eingeschlafen, sah ich im Traum unsere Eltern gemeinsam mit dem Christkind den Baum und das ganze Wohnzimmer schmücken und natürlich die Geschenke bringen.
Am Weihnachtsmorgen waren wir so aufgeregt. Wir warteten in Sonntagskleidung auf unseren Opa. Endlich saß er wie jedes Jahr auf dem kleinen Hocker hinter der Tür im Wohnzimmer in seinem braunen Wolljackett mit dem in beigen, großen Stichen eingefassten Revers. Dann hörten wir Weihnachtsmusik und die Tür wurde geöffnet. Da stand er, der wunderschön geschmückte Tannenbaum, und wir sahen die großzügig gefüllten Weihnachtsteller und unsere Geschenke. Nachdem ich wie in jedem Jahr ein Gedicht aufgesagt hatte, durften wir auspacken...
Draußen wurde es langsam hell. Über sechzig Jahre sind seit jenem Weihnachtsfest vergangen.
Ich fühlte mich ein bisschen traurig in Erinnerung an all die vielen schönen und auch traurigen Weihnachtsfeste in meinem Leben. Großeltern, Eltern, mein Sohn und auch so viele Freunde sind schon nicht mehr da. Auch Marion ist nun fast zwanzig Jahre tot. Sie alle würden sicherlich gerne noch unter uns sein und die Schwierigkeiten unserer Zeit mit uns meistern.
Auch wenn die Sorgen groß sind und die Zukunft ungewiss, sollten wir uns an schöne Weihnachtsfeste erinnern. Das Leben geht weiter, was immer auch geschieht. In diesem Sinne wünsche ich uns allen Gesundheit, Mut für die Zukunft und besinnliche Weihnachtstage.
Margit Ramus
PS. Vielleicht haben Sie über die Festtage Zeit wieder mal ein bisschen im Archiv zu schnuppern. Viele neue Beiträge sind eingestellt und andere ergänzt worden.
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